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Wenn die Wolke verschwunden ist

T-Mobile hat gerade – ohne es zu wollen – darauf hingewiesen, welche Risiken das Cloud Computing birgt. „Cloud Computing“ gilt als der große Trend in der Infomationstechnologie. Die Idee ist, Daten in einer virtuellen „Wolke“ zu speichern. Sie liegen nicht mehr auf dem eigenen Rechner, sondern werden in Datenzentren ausgelagert, auf die man immer Zugriff hat – in der Regel zumindest.

Die ersten Cloud-Anwendungen waren Mail-Postfächer bei GMX, Hotmail oder mittlerweile Google. Doch der Trend geht zu mehr: Notizen, Kalender und Kontakte werden längst in der Wolke gespeichert. Das gilt als praktisch, um sich vor Datenverlust zu schützen und alles immer nutzen zu können, schließlich kann von jedem Rechner oder Device auf die Daten zugegriffen werden.

Doch Cloud-Computing birgt Risiken, die noch selten thematisiert werden. Wer sein ganzes digitales Leben in der Cloud und womöglich bei einem Anbieter speichert, kann einfach überwacht werden. Wer kennt sich schon mit den Datenschutzgesetzen den Ländern aus, wo die Rechenzentren stehen?

Auch der Zugang zu den Daten ist nicht wirklich sicher, sind sie meist doch nur mit einem Login-Namen und einem Passwort geschützt. Das aber kann gehackt werden.

Ein anderes Problem zeigt ein Fall in den USA. T-Mobile vertreibt dort den Sidekick, ein kleines Smartphone, Termine, Notizen und Kontakte verwalten kann. In Deutschland war das Gerät als „HipTop“ auf dem Markt. Die Daten des Smartphone werden praktisch in der Wolke abgespeichert. Emails, Kontakte und Notizen liegen normalerweise in einem Rechenzentrum der Microsoft-Tochter „Danger“, die den Sidekick produziert und vertreibt.

Doch die Wolke ist gerade verschwunden. Kunden können auf ihre Daten nicht mehr zugreifen und T-Mobile musste nun verkünden, dass diese womöglich verschwunden sind. Ein Server-Fehler wird als Ursache genannt. In der bisherigen Geschichte des Cloud Computing ist es das größte bekannte Desaster. Und alles, was T-Mobile tun kann, ist eine Warnung an die Kunden: „Sidekick-Kunden, solange dieser Service unterbrochen ist, bitte NICHT die Batterie aus dem Gerät nehmen, einen Reset machen oder zulassen, dass es keinen Strom mehr hat.“

Unfreiwillig startet T-Mobile damit eine notwendige Verbraucherinformations-Kampagne zu den Risiken der Cloud.

 

Abstimmen, was läuft

Paranormal Activity ist ein Low Budget Film. Die Macher um Oren Peli haben angeblich nur 10 000 Dollar  für den Dreh des Horror-Films ausgegeben. Im Spätprogramm und auf Festivals hat der Film trotzdem in kürzester Zeit eine Menge Menschen begeistert. Einige bezeichnen ihn gar schon als einen würdigen Nachfolger des Gruselschockers Blair Witch Project. Auch Blair Witch war ein Lowbudget-Film, spielte weltweit aber mehr als 248 Millionen US-Dollar ein.

Paranormal Activity hat es indes bislang kaum in die großen Kinos geschafft. Und das soll sich nun ändern. Die Veranstaltungsseite Eventful.com gibt den Film jetzt zur Abstimmung frei. Die Seite verspricht, Paranormal Activity käme in die Kinos, wenn nur genügend Kinofans ihr Interesse bekundeten. Der Film solle in all jenen Städten gezeigt werden, in denen genügend User für den Film gestimmt hätten.

Das könnte sogar hinhauen: In L.A. wollen ihn derzeit 28 000 Menschen sehen. New York liegt mit knapp 20 000 Stimmen an zweiter Stelle. In Berlin wünschen sich den Film immerhin noch 86 Menschen in die Lichtspielhäuser.

Um abstimmen zu dürfen, muss man allerdings sein Alter und eine Email-Adresse angeben. Wozu braucht die Seite das? Eventful würde an die Mailadresse dann auch die weiteren Hinweise zum Kinostart versenden, heißt es. Wer sich nicht einloggt, darf jedenfalls nicht mitstimmen.

Fragt man nach, welche Firmen den Film später in die Kinos bringen soll, tauchen plötzlich die Namen „Dreamworks“ und „Paramount Pictures“ auf. Nicht unbedingt kleine Verleiher bzw. Filmvertreiber. Das war’s dann wohl mit dem netten Indie-Image.

Am Ende kommen Zweifel auf an der vermeitnlichen Kino-Demokratie. Vielleicht ist das Ganze nur eine geschickte Werbemaßnahme? Vermutlich hat der Verleih so oder so geplant, den Film in den gesamten USA in die Kinos zu bringen. Aber immerhin werden einige Nutzer kurz geglaubt haben, mit ihrer Stimme wirklich Gutes für den Independent-Film getan zu haben. Und vielleicht ist der Film selbst ja auch wirklich gar nicht so übel.

 

Geschäftsmodell: Nett sein zu Piraten

In einem Interview mit Fora.TV beschreibt der WIRED-Chefredakteur Chris Anderson ein Geschäftsmodell, demzufolge man von Netzpiraten durchaus profitieren könne. Verhindern kann man illegale Kopien von Musik, Film, Spielen und Software sowieso nicht, dafür ist das Kopieren technisch zu einfach und zudem äußerst billig zu bewerkstelligen.

Anderson hat jüngst mit seinem Buch „Free“ (hier der Link zum kostenlosen Audiobook) eine Bresche geschlagen für Geschäftsmodelle, die auf einer Kultur des Schenkens beruhen: Langfristig könnten sowohl Unternehmer als auch Künstler davon profitiert, wenn sie ihre Inhalte zunächst kostenlos heraus geben. Passend dazu will Anderson  jetzt auch eine Bresche schlagen für Software-Piraterie.

Als Beispiel nennt er den Software-Hersteller Microsoft. In Entwicklungsländern wie China kursieren derzeit vermutlich mehr illegale Microsoft-Kopien als lizensierte, und mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Der erste Reflex von Microsoft war anfangs, Druck auf Peking auszuüben und auf eine Bestrafung der Software-Piraten zu drängen.

Heute sieht die Situation völlig anders aus. Zwar halten die massiven Urheberrechtsverstöße an, aber Microsoft geht kaum noch ernsthaft gegen die Piraten vor. Bill Gates selbst hat dazu gesagt: „Der chinesische Markt entwickelt sich rasant. Wenn die Chinesen Software stehlen, dann ist es uns am liebsten, wenn sie wenigstens unsere Software stehlen.“

Dank kostenloser Software sänken die Kosten fürs Computing, was die wirtschaftliche Entwicklung beschleunige. Langfristig würden die Chinesen so in die Lage versetzt, für Software auch bezahlen zu können. Und dann wären Millionen bereits Kunde von Microsoft, und an die Produkte des Konzerns gewöhnt. Langfristig hat sich Microsoft damit also einen riesigen, neuen Markt erschlossen.

Heute behandelt Microsoft auch junge Firmen so: Start-ups, die weniger als 3 Jahre auf dem Markt sind und weniger als eine Million Dollar Umsatz machen, können Microsoft-Software kostenlos benutzen. Weil das ihre eigenen Infrastruktur-Kosten reduziert, werden die Firmen schneller in die Lage versetzt, zu expandieren. Und dann viele Lizenzen von Microsoft kaufen, so das Kalkül.

Könnte man diese These nicht auch auf jugendliche Netzpiraten anwenden? In der Tat laden vor allem junge Menschen Musik und Filme herunter. Junge Menschen, die in der Regel nur über ein knappes Taschengeld verfügen. Spielte Geld überhaupt keine Rolle – und wären offizielle Online-Shops benutzerfreundlich genug zu bedienen – trügen sicher viele von ihnen liebend gern dazu bei, dass Autoren und Musiker von ihrer künstlerischen Arbeit vernünftig leben könnten.

Die Branche klagt gerne über die durch Tauschbörsen entgangenen Einnahmen. Selten ist in den Gewinn-Verlust-Rechnungen der Unterhaltungsindustrie indes von den immensen Umsatzeinbußen die Rede, die die große Gruppe der Nicht-Musikhörer und Nicht-Kinogänger verursacht. Das schlimmstmögliche Szenario für die Branche wäre doch, wenn junge Menschen gar keine Musik mehr hörten, und keine Filme mehr guckten. An Kulturkonsum gewöhnt man die Jugendlichen am besten in frühen Jahren. Und vielleicht werden viele junge Piraten von heute dann schon morgen in der Lage sein, für ihre Leidenschaften auch zu bezahlen.

 

Wollen wir den digitalen Gesellschaftsausschluss?

Die Digitalisierung stellt das traditionelle Urheberrecht vor eine große Herausforderung. Seit Jahren tobt daher ein politischer Krieg um die richtigen Rahmenbedingungen. Zehn Jahre nach Start der ersten Tauschbörse Napster ist immer noch keine Lösung in Sicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass man immer nur gehofft hat, der Geist des Kopierens würde wieder zurück in die Flasche gehen? Was gab es nicht alles für Verschärfungen: Alleine in Deutschland wurde in den letzten Jahren das Urheberrecht gleich zweimal an das „digitale Zeitalter“ angepasst. Dazu kam das Durchsetzungsgesetz, was Rechteinhabern mehr zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeiten gebracht hat. Wovon auch gerne Gebrauch gemacht wird, um neue Geschäftsmodelle auf der Grundlage von Massenabmahnungen zu entwickeln.

Einen Schritt weiter geht Frankreich. In einem erneuten Anlauf hat das französische Parlament das umstrittene HADOPI 2 – Gesetz beschlossen. Das Verfassungsgericht hatte den ersten Versuch zurück gewiesen. Mit dem HADOPI 2 Gesetz soll ein „zivilisiertes Internet“ durchgesetzt werden, was Nicolas Sarkozy als Zielrichtung definierte. Die neue zu schaffende HADOPI-Überwachungsbehörde (Haute autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur Internet) soll zukünftig in Zusammenarbeit mit den Rechteinhabern Tauschbörsennutzer verfolgen. Beim ersten Mal erwischen gibt es eine Warn-E-Mail, bei der Wiederholung einen blauen Brief und beim dritten Mal soll dann das Internet gekappt werden. Das Internetverbot soll bis zu einem Jahr gelten, dazu sind Geldstrafen von bis zu 300.000 Euro und maximal zwei Jahre Gefängnisstrafe geplant.

Das muss man sich mal vorstellen: Für das nicht-kommerzielle Tauschen von Musik oder Filmen soll französischen Bürgern bei einer Wiederholung für bis zu einem Jahr das Internet entzogen werden. Natürlich gilt das für den Anschlussinhaber. Wenn die Kinder Tauschbörsen nutzen und dabei erwischt werden, kommt eben die ganze Familie in den fragwürdigen Genuss, gemeinsam vom digitalen Leben ausgeschlossen zu werden.

Ein Modell für Deutschland?

Die Lobbyisten der Rechteindustrie fordern dies seit zwei Jahren auch für Deutschland. Die CDU hatte die Forderung, die Internet-Zugänge sollen bei Rechtsverstößen notfalls gesperrt werden, für ihr aktuelles Wahlprogramm vorgesehen. Der Satz wurde aber kurz vor Schluss wieder entfernt, weil die öffentliche Kritik zu laut wurde. Nun steht die Forderung nur noch zwischen den Zeilen im Programm. Allerdings steht der französischen Lösung auch deutsches Recht im Weg. Juristen haben aber schon Möglichkeiten vorgestellt, wie Internetsperrungen bei Urheberrechtsverletzungen in Deutschland rechtskonform durchgeführt werden könnten.

Die Forderung, Tauschbörsennutzern das Internet zu sperren, ist irrsinnig, unverhältnismässig und unvernünftig. Und darüber hinaus gibt es zahlreiche ungelöste Problemstellungen:

1. Hier wird eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gefordert, ohne jegliche Überprüfung auf Rechtsstaatlichkeit und mit Umgehung jeglicher rechtsstaatlicher Instanzen.
2. Die von den privaten Ermittlern übermittelte IP-Adresse muss nicht unbedingt die richtige sein.
3. Die Sanktion trifft den Anschlussinhaber und nicht unbedingt den Rechtsverletzter.
4. Es gibt bereits strafrechtliche und zivilrechtliche Ansprüche für Rechteinhaber. Ohne jegliche Evaluation der neuen Maßnahmen soll jetzt sofort noch mehr durchgesetzt werden.
5. Kunden verlieren das Vertrauen in ihre Provider. Provider werden zur Verantwortung gezogen und sollen als Kontrollinstanz agieren.
6. Was ist mit Triple- und Quadruple-Play-Anschlüssen? Wird dann auch das Telefon gekappt?
7. Was ist bei Irrtümern? Falsche Zuordnungen von IP-Adressen zu Anschlussinhabern kommen vor, Zahlendreher passieren. Wer haftet? Wer ist Ansprechpartner?
8. Die Eskalationsstufe trägt nicht dazu bei, dass die Frage gelöst wird, wie Kreative im digitalen Zeitalter vergütet werden können.

Im Jahre 2009 vom Internet ausgeschlossen zu werden, kommt einer digitalen Todesstrafe gleich. Vernünftiger wäre es, neue Technologien und den medialen Wandel zu umarmen und innovative Geschäftsmodelle dafür zu entwickeln. Und den Künstlern ist sicherlich durch Rahmenbedingungen wie einer Kulturflatrate besser geholfen, als wenn die eigenen Fans vom Internet ausgeschlossen werden. Wo sollen sich die Fans denn sonst über (neue) Musik und Künstler informieren?

 

Government 2.0: Eine wiederkehrende Vision

Tim O‘ Reilly gilt als geistiger Vater des Mitmach-Internets, auf ihn geht die Formel vom Web 2.0 zurück. Jetzt propagiert er die Mitmach-Politik 2.0. Moderne Technik wird mehr Basisdemokratie ermöglichen, ist er überzeugt.

Allerdings hat er dabei so einiges vergessen, nicht zuletzt den Bürger selbst. Der sich weder durch Hunderte von Gesetzestexten wälzen will, noch in der Lage ist, sich mit vielen unterschiedlichen Themen auf dem Niveau eines professionellen Politikers zu befassen. Zudem übersieht O‘ Reilly, dass die vermeintlichen Visionen so neu gar nicht sind.

Mit Government 2.0 beschreibt er den Ansatz, das gesamte Wissen von Regierung und der Verwaltung anzuzapfen, um es der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Die These: Haben die Bürger erst Zugang zu allen verfügbaren Informationen, und sind erst die Schnittstellen zum Regierungswissen eingerichtet, dann kann der Bürger auch direkt mitregieren. Government stellt die Plattform, die den Nutzer technisch in die Lage versetzt, Teil der Entscheidungsprozesse zu werden. Als erstes konkretes Beispiel für diese Entwicklung steht data.gov. Die US-Regierungsplattform beruht auf dem großen Engagement der Bürger selbst.

O’Reilly gehört zu einer größeren Gruppe prominenter Fürsprecher, die basisdemokratische Möglichkeiten des Internets nutzen wollen, um die klassischen, politischen Strukturen aufzubrechen, darunter auch Cory Doctorow, Clay Shirky, Lawrence Lessig.

O’Reilly legt in seiner Definition von Government 2.0 großen Wert darauf, dass er nicht von der Nutzung technischer Werkzeuge durch Regierung und Regierungsorganisationen als PR- und Wahlkampfsinstrument spricht. Das ganze hat auch nichts mit der Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben zu tun, die normalerweise unter dem Namen eGovernment firmieren. Es geht vielmehr um neue Kommunikationswege und die Transparenz von Informationen.

Er setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, welche Auswirkungen das Konzept von Schwarmintelligenz und Cloudcomputing auf Staaten und deren Regierungsformen haben kann. Einfach gesagt und schon hundert mal gehört: „The Internet as (nearly) perfect mechanism for bringing people together for collective action“ – Das Internet als (fast) perfekter Mechanismus, um Leute zu gemeinsamen Aktionen zusammenzubringen.

O’Reillys Idealismus vermag mitzureißen, wirft aber trotz seiner guten Beispiele auch Fragen nach der Machbarkeit auf.

Außerdem fragt man sich: Hatten wir das nicht schon? Bereits Anfang der 1990er Jahre gab es mit dem Konzept der Cyberdemokratie eine ganz ähnliche Vorstellung von direkter Demokratie über elektronische Kanäle. 1997 fasste der Autor Rainer Rilling das Konzept in dem Beitrag „Auf dem Weg zur Cyberdemokratie“ das Ziel dieses Konzepts wie folgt zusammen: „Direkte Demokratie, Dezentralisierung, Erweiterung des Einflusses von Individuen und kleinen Gruppen, Abbau von Hierarchien und Massenorganisationen, leichter Zugang zu und Veröffentlichung von Information, weltweite Kommunikation, kurz: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollen mit den Netzen einhergehen.“

Schon damals versprach man sich von den Kommunikationsoptionen des Internets eine ungebremste Evolution des öffentlichen Raums direktdemokratischen Zuschnitts. Parteien und Verbände, so prognostizierten die Befürworter, würden in diesem Zusammenhang zunehmend überflüssig: Jeder einzelne könne und werde sich in der Cyberdemokratie direkt in den politischen Prozess einschalten, so jedenfalls die Theorie.

In der Praxis wurde die These, dass das Netz unmittelbar zu neuem basisdemokratischen Aktivismus motiviere (Mobilisierungsthese), bisher eher widerlegt als belegt.

Dennoch müssen offene Plattformen, freier Zugang zu staatlichen Informationen, Transparenz und Informationsfreiheit elementare Bestandteile zukünftiger Netzpolitik sein. Sie sind Grundvoraussetzung für eine liberale Netzgesellschaft. Der falsche Weg wäre allerdings, sich dabei allein auf das Netz als abgeschlossenen, politischen Raum zu konzentrieren.

Daher muss sich Netzpolitik erst einmal fragen lassen, inwiefern die neuen digitalen, politischen Räume überhaupt in der Lage sind, die klassischen Strukturen der Politik so zu ändern, dass neue Entscheidungssituationen entstehen können.

Hat der Bürger im Netz überhaupt ein Interesse daran, direkt politisch Einfluss zu nehmen? Bedingt die Vision nicht erstmal die Revitalisierung der Öffentlichkeit à la Demokratie 2.0? Diese und andere Fragen wurde schon 1997 vernachlässigt und werden bisher auch bei dem Ansatz von Government 2.0 erstmal getrost ignoriert.

 

Bundestag.de: Öffnet unsere Daten

Der Bundestag hat in diesem Sommer seine Webseiten modernisiert. Alles schön und bunt. Leider strich man nur die Fassade an. So verpasste man die Chance, einen wichtigen Schritt nach vorne zu gehen und einen Zugriff auf die Datenschätze unserer parlamentarischen Demokratie zu schaffen. Was gibt es nicht alles auf der Seite zu finden: Plenarprotokolle, Videoaufzeichnungen der Debatten, Tagesordnungen und vieles mehr. Leider teilweise nur schwer durchsuchbar und nur manuell auswertbar.

Was man mit den Daten machen kann, zeigt beispielsweise ein Web-Angebot des ZDF: Im Parlameter finden sich zu verschiedenen Bundestags-Abstimmungen viele Visualisierungen mit aufbereiteten statistischen Daten. Nicht nur stehen dort die Namenslisten der Abgeordneten, die für einen Kriegseinsatz in Afghanistan stimmten. Man kann sich die Abstimmungs-Ergebnisse gleich genauer anschauen: Wie viele weibliche Abgeordnete über 40 stimmten dafür oder wie viele männliche Abgeordnete unter 50, die überdurchschnittliche Nebeneinkünfte haben? Diese Daten liegen auch auf bundestag.de. Theoretisch zumindest – Sie werden die Schätze aber nicht so leicht heben können. Im Falle des Parlameters werden die Daten händisch vom ZDF, bzw. einem Dienstleister des ZDF, „veredelt“. Und dann visualisiert dargestellt.

Theoretisch könnte das jeder machen. Alleine der Aufwand ist zu groß. Durch die Bereitstellung einer offenen Schnittstelle (Technischer Begriff: Open-API) zum Angebot von bundestag.de könnte jeder mit etwas Programmierkenntnissen dieselben Daten bergen. Und ganz neue Projekte und Visualisierungen daraus erschaffen. Und vielleicht Antworten auf viele Fragen finden: Welche Abgeordneten erhalten von welchen Lobbygruppen Nebeneinkünfte und ist ein Einfluss auf ihre Tätigkeit und Abstimmungsverhalten erkennbar? Wer ist der faulste Abgeordnete in einem bestimmten Ausschuss und wer am fleißigsten? Vielleicht ist zuviel Transparenz nicht gewollt – vermutlich steht einer solchen Öffnung aber eher technische Unwissenheit im Wege.

Während andere Staaten die transparente und offene Regierung auf die Tagesordnung setzen, malen wir die Fassaden an. Es ist Zeit für die Zukunft: Öffnet unsere Daten und fangt bei bundestag.de an.

 

Spott an

Für Politiker ist es heikel, dieses Internet, da hat der Kollege Knüwer von nebenan völlig Recht. Doch scheint es den ein oder anderen unter ihnen zu geben, der langsam auch die Chancen begreift (oder der eine gute Werbeagentur hat, die das für ihn tut). Denn, sie existieren inzwischen tatsächlich, die nicht ganz so einschläfernden, nicht völlig peinlichen Wahlwerbespots:

Der hier zum Beispiel, ein Versuch der SPD in Naturfilmen viralem Marketing. Weder Parteilogos noch –köpfe tauchen darin auf, dafür ein „schwarz-gelber Pfeilgiftfrosch“, der sich gern in der Nähe von Atomkraftwerken aufhalte, zu vierjährigen Lähmungen und heftigem Ungleichgewicht führen könne und dessen einziger Feind der „rote Steinfrosch“ sei.

Clever ist die Idee der SPD, zu zeigen, was allein mit ein paar Zeilen Text an Aussage möglich ist. Gleichzeitig gefährlich, zeigt der Spot doch auch, wie leicht sich politische Haltungen umdrehen lassen, allein durch andere Betonung und umgekehrte Reihenfolge.

Die Grünen versuchen das jetzt auch und haben dafür den Humoristen Loriot geplündert und seinen Spot „Macht nix“ umgeschrieben. Das ist lustig. Allerdings nicht ganz so lustig wie die Sachen, die beim vergangenen Bundestagswahlkampf 2005 unter dem Motto „die Natur schlägt zurück“ liefen. Damals durften Filmemacher, Videoregisseure oder Werbefilmer im Auftrag der Partei Spots entwerfen und die ließen dann einen Hasen mit einem Baseballschläger Umweltsünder niedermachen oder eine Blume einen rumsauenden Autofahrer verdreschen.

So eine Plattform hat auch die FDP. Auf „liberal viral“ bei myVideo kann jeder Spots im Namen der Partei einstellen. Das wirkt dann aber schnell mal unfreiwillig komisch. Wie bei Guido Westerwelle, der mit einer Nadel bewaffnet die Wortblasen der anderen Parteikader zersticht. Lustig ist das nur, weil der FDP-Chef gerne mal Beinamen wie „Dampfplauderer“ oder „Politclown“ bekommt.

Da sind seine Nachwuchskräfte besser, fallen die JuLis doch durch etwas auf, was im politischen Betrieb selten ist: Selbstironie.

 

Sozialer Druck in sozialen Netzwerken

Warum ist man Mitglied bei einem der vielen sozialen Netzwerke? Um sich mit seinen Freunden zu treffen? Ja, aber nicht nur. Eine aktuelle Studie aus Österreich zeige, dass der soziale Druck dabei inzwischen eine nicht unerhebliche Rolle spiele. Das berichtet futurezone vom ORF. Genutzt würden die Portale „vor allem zur Selbstdarstellung“, zitiert die Seite direkt im Anschluss den Leiter der von einer Mobilfunkfirma in Auftrag gegebenen Studie, Gereon Friederes.

Verwunderlich ist der Befund nicht, belegt er doch nur, wie verbreitet diese Netzwerke inzwischen sind und wie wichtig sie für immer mehr Menschen werden. Dass der soziale Druck steigt, etwas zu nutzen, was alle nutzen, scheint nur zu verständlich. Ob das zu etwas Sinnvollem führt, ist eine andere Frage, bewirkt dieser Druck doch gern, dass man Dinge tut, die man eigentlich nicht will oder ohne ihn nicht tun würde.

Es hätte sich daher gelohnt zu untersuchen, was diejenigen in den Netzwerken dann machen. Und ob sie darin eine Bereicherung oder eine Last sehen. Doch scheint die Studie ihren Gegenstand nicht allzu tief untersucht zu haben.

Was die zweite Aussage über Selbstdarsteller angeht, gibt sie die Realität wohl nur stark vereinfacht wieder. Selbstdarstellung ist ein wichtiger Aspekt, auch dazu gibt es Studien. Allerdings kann, was so aussieht, auch etwas anderes sein. So hatte das Hans-Bredow-Institut bei einer Untersuchung des Nutzungsverhaltens unter Jugendlichen im vergangenen Jahr festgestellt, dass Aufwachsen heute bedeutet, mit Identitäten „spielen“ zu können. Was wie Selbstdarstellung wirkt, ist damit oft wohl der Versuch, dieses gesellschaftliche Spiel zu erlernen oder es mitzuspielen.

Oder noch anders: In unserer Gesellschaft ist es wichtig, mit verschiedenen Identitäten umgehen zu können – Arbeit, Sport, Freundeskreise – überall bewegen wir uns ein wenig anders und stellen uns im möglichst besten Licht dar. Das Internet macht das nur sichtbar. Genau wie die Tatsache, dass Mobilfunkfirmen vielleicht nicht die besten Sponsoren sind für die laut Eigenwerbung „erste umfassende Studie“ zu sozialen Netzwerken in Österreich.

 

Für digitale Bürgerrechte auf die Straße gehen

Am Samstag fand wieder eine Großdemonstration für digitale Bürgerrechte in Berlin statt. Unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ hatten erneut mehr als 150 Organisationen und Inititiativen aufgerufen, gegen Überwachung und Internetzensur auf die Straße zu gehen. Die Demonstration setzt ein klares Zeichen gegen die Vorratsdatenspeicherung, die heimliche Online-Durchsuchung oder den Aufbau einer Zensurinfrastruktur.

Die ersten „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen wurden 2006 vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Berlin initiiert. Damals wurde von Seiten der Politik immer darauf hingewiesen, dass Protest im Netz wenig bringen würde und dass man doch auch auf der Straße sichtbar sein sollte. Das probierten wir aus: Während zur ersten Demonstration nur rund 100 Menschen kamen, konnte 2007 mit ca. 15.000 Teilnehmern ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Im vergangenen Jahr kamen schon mehrere zehntausend Teilnehmer und diesen Samstag fast 25.000.

Nun kann man sich fragen, ob im Jahre 2009 Demonstrationen auf der Straße, zumal für digitale Bürgerrechte, noch was bringen? Der Aufwand ist enorm: Während man im Netz mit wenig finanziellen Ressourcen zeit- und ortsunabhängig Protest organisieren kann, braucht man für die Straße viel Geld und Zeit. Ein Bündnis will organisiert und gepflegt werden. Dazu benötigt man eine Bühne mit entsprechender Technik, Gespräche mit der Polizei und Behörden und natürlich viele Flyer, Poster und Transparente zur Werbung und Mobilisierung. Diese müssen auch verteilt und aufgehängt werden. Dazu ist alles abhängig vom Wetter: Regnet und stürmt es zum Zeitpunkt der Demonstration, kommen nur wenige. Scheint dagegen wie in den Vorjahren die Sonne, bietet sich für Viele eine schöne Gelegenheit für einen Spaziergang durch Berlin mit zahlreichen Gespräche und Eindrücken. Positiver Nebeneffekt, wenn alles gut geht: Die Bilder von (zehn-)tausenden Menschen auf der Straße, die kreativen und bunten Protest zeigen und eventuell sogar ein kurzer Hinweis in den Abendnachrichten.

Und wir erreichen damit unsere Eltern-Generation. Ansonsten bleibt uns natürlich noch das Netz. Im Vorfeld bekamen wir ein schönes Mobilisierungs-Video in Form eines Kino-Trailers von Alexander Svensson zugeschickt:

Freiheit statt Angst – der Trailer from Alexander Svensson on Vimeo.

 

Vom schwierigen Umgang mit dem Internet

Neue Kulturtechniken führen leicht zu Missverständnissen. Ein schönes Beispiel dafür liefert gerade die niedersächsische Polizei: „Die Entdeckung Deines Lebens“, steht als Slogan auf der Website des Freunde-Finder-Tools „aka-aki“, und das ist geradezu unheimlich treffend. Denn aka-aki, mit dessen Dienst man andere Nutzer in seiner Umgebung sehen und etwas über deren Interessen erfahren kann, hatte Besuch von der Polizei. Die wollte etwas mehr über einen der Nutzer erfahren. Eine Menge mehr. Glaubt man den Aussagen der Betreiber, wünschten die Beamten sich „wohl komplette Bewegungsprofile in Echtzeit“. Kostenlose Handy-Ortung also für Vergangenheit und Zukunft.

Das Vergehen des Betreffenden: Er hatte in einer „Statusmeldung“ auf seinem Profil seinen Unmut über die Welt geäußert. Wie bei anderen Netzwerken auch kann man bei akaaki in seine derzeitige Stimmung angeben und der Betreffende muss mieser Laune gewesen sein, hatte er doch sinngemäß alle Menschen auf der Welt zum Teufel gewünscht. Irgendjemand in Niedersachsen fühlte sich dadurch bedroht, erstattete Anzeige und traf auf einen Staatsanwalt, der sofort die Kavallerie losschickte und nun „wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ ermittelt.

Die Leute von akaaki können nicht begreifen, wie eine solche Profilmeldung so missverstanden werden kann. Schließlich würde in solchen doch alles Mögliche geschrieben und selbstverständlich nie so ernst gemeint. Ihr Anwalt hält das Ganze sogar in zweierlei Hinsicht für dämlich: „Das war eine Statusmeldung in einem Sprich-mich-an-Tool, da hat offensichtlich jemand vergessen, das Zwinkerauge mitzulesen“, sagt Maximilian Conrad. Und er habe auch noch geglaubt, dank GPS im Mobiltelefon sei eine einwandfreie Identifizierung der Nutzer möglich. In einer Großstadt wie Berlin könne das aber schon mal schwierig werden, den einen der X Handybenutzer im Umkreis von zwanzig Metern zu finden, der gemeint ist.

Neben diesem, sagen wir, Unverständnis für neue kulturelle Ausdrucksformen, hat der Fall aber noch eine Dimension: Wenn die Polizei in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jemanden finden wollte, klingelte sie an seiner Wohnungstür. Wenn derjenige dringend gesucht wurde, vielleicht auch noch an der Tür seiner Eltern und der seines Chefs. Fand man ihn dort nicht, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben in der Hoffnung, irgendein Streifenpolizist werde ihn schon irgendwo entdecken. Heutzutage jedoch klingeln Polizisten nicht mehr auf gut Glück, sondern kommen offensichtlich lieber mit einem Durchsuchungsbeschluss zum sozialen Netzwerk Deines Vertrauens.

Abgesehen davon, dass aka-aki die geforderte Überwachung mit seinen Daten weder leisten kann noch will, ist es ein hübscher Trick der Beamten. Denn will die Polizei so etwas selbst machen, muss sie eine Hürde überwinden. Paragraf 100 der Strafprozessordnung erlaubt den Einsatz sogenannter IMSI-Catcher zum Finden und Überwachen von Mobiltelefonen nur bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“. In diesem Katalog steht zwar inzwischen einiges, Hehlerei, Computerbetrug oder Steuerhinterziehung beispielsweise, doch braucht es für den Richterbeschluss einen dringenden Tatverdacht. Dass der in diesem Fall gegeben war, kann bezweifelt werden.

Entweder ist der ermittelnde Staatsanwalt also ein technischer Tropf oder ein kreativer Kopf, der versucht, die Grenzen des Gesetzbuches zu dehnen. Beides lässt Schlimmes ahnen.