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Erfolg sieht anders aus

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat neue Sanktionen gegen den Iran beschlossen. Washington feiert dies als Erfolg. Doch worin der bestehen soll, ist unklar. Ja, es ist den USA gelungen, die bis dahin zögerlichen Staaten Russland und China für die Resolution zu gewinnen. Das ist auf den ersten Blick ein Erfolg. Doch bei genauerem Hinsehen relativiert er sich. Denn die Sanktionen selbst sind weit davon entfernt das zu sein, was US-Außenministerin Hillary Clinton noch vor einigen Monaten als „lähmend“ bezeichnete.

Sicher, die Sanktionen zielen jetzt direkt auf die Revolutionsgarden, auf Wissenschaftler, die für das iranische Nuklearprogramm arbeiten, auf die iranische Nationalbank. Doch Iran hat bisher immer große Kreativität bewiesen, wenn es darum ging, sich diesen „Härten“ anzupassen. Vor allem aber ist der Energiesektor von Sanktionen nicht betroffen. Das haben China und Russland verlangt. Im Energiesektor ist Iran jedoch verwundbar. Ausserdem sind gewisse russische Firmen vom Sanktionsbeschluss ausgenommen — das war eine Bedingung der Russen für ihre Zustimmung.

Härte sieht anders aus, Erfolg auch. Eher schon offenbart der Beschluss eine wachsende Schwäche der Supermacht USA gegenüber seinem Gegenspieler Iran. Von den 14 Mitgliedern des Sicherheitsrates haben nämlich zwei dagegen gestimmt, Brasilien und die Türkei, der Libanon hat sich enthalten. Die Gegenstimmen kommen nicht überraschend. Brasilien hat vor wenigen Wochen einen Abkommen zwischen der Türkei und dem Iran vermittelt, wonach Iran Uran, das es für medizinische Zwecke braucht,  zur Anreicherung in die Türkei exportieren soll.

Das Abkommen hat für großes Aufsehen gesorgt,  denn es wurde an der UN und vor allem den USA vorbei verhandelt. Die USA haben es  sofort als „unbrauchbar“ bezeichnet. Tatsächlich fußt das Abkommen auf einer älteren Idee der Internationalen Atomagentur der UN in Wien. Danach sollte es Iran erlaubt werden, Uran für medizinische Zwecke zu exportieren, um es angereichert re-importieren zu können. Allerdings sollte Iran dafür die eigene Urananreicherung einstellen. Dieser Punkt fehlt in dem Abkommen mit der Türkei. Von einem Anreicherungsverbot im Iran ist darin nicht die Rede.

Inhaltlich also war die Einschätzung der USA durchaus zutreffend, doch das Abkommen mit der Türkei ist weniger wegen des Inhaltes von Bedeutung, seine Bedeutung liegt im Symbolischen. Zum ersten Mal sind zwei neue Spieler im iranischen Nuklearpoker aufgetaucht. Spieler mit denen — das ist das wichtige —  Iran zu reden bereit ist. Brasilien und die Türkei auf der Bühne, das bedeutet willkommene Bewegung in einem verfahrenen Stück.

Denn was sind die Alternativen? Das Regime in Teheran hat sich bisher von Sanktionen nicht beeindrucken lassen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.  Weitere Sanktionen? Das kann man machen. Aber was wird nach der fünften, sechsten oder sieben Sanktionsrunde kommen? Krieg? Möglich. Darum ist jeder Gesprächskanal, der sich Richtung Teheran öffnet, von Bedeutung. Man sollte ihn nicht vorschnell wieder zuschütten. Der Schlüssel zur Lösung freilich bleibt in Teheran. Wenn das Regime sich geschlossen dafür entscheidet, eine Bombe zu bauen, dürfte es wohl kaum aufzuhalten sein.

 

Burqa mal anders

Den belgischen Abgeordneten,  denen nichts besseres eingefallen ist, als die Burqa zu verbieten, wäre folgender Werbespot eines deutschen Lingerieproduzenten zu empfehlen. Vielleicht hätte die Abgeordneten die Burqa etwas differenzierter betrachten können. Das jedenfalls wäre zu wünschen.

 

Wo ist der Erfolg?

Marjah? Wer kann sich an Marjah erinnern? Ja genau, da war was. Eine Offensive der Nato im vergangenen Februar. 15.000 Nato-Soldaten sollen daran beteiligt gewesen sein und ebenso viele Soldaten der afghanischen Armee.  Zeitweise sah es so aus, als sei Marjah eine Art Stalingrad, eine Schlacht, die die Wende im Krieg bringen würde. Vormarsch, Einmarsch, Befreiung, Halten, gut verwalten. Das waren die Schritte der neuen Nato-Strategie, die in Marjah  zum ersten Mal umgesetzt werden sollten. General Stanley McChrystal hatte diese Strategie erfunden, dafür von seinem Präsidenten Barack Obama 30.000 zusätzliche Soldaten gefordert und auch bekommen. Der General hatte sich  selbst unter Erfolgsdruck gesetzt. Kein Wunder, dass er mit viel Pomp auf Marjah marschieren ließ. „We have governenment in the box, ready to roll in!“, sagte Stanley McChrystal.

Und heute? Was hören wir von Marjah? Nichts bis sehr wenig. Die Taliban sollen vertrieben worden sein. Ein afghanische Nationalflagge ist auf dem zentralen Platz von Marjah gehisst worden. McChrystal war auch zu Besuch und soll über den Bazaar Marjahs geschlendert sein. Und sonst? Funkstille.

Gut, man müsste hinfahren. Aber das – so heißt es – ist immer noch zu gefährlich.  Man könne nur als „eingebetteter Journalist“ mit den Soldaten nach Marjah fahren, was freilich etwas problematisch ist, wenn man sich eine unabhängiges Bild  verschaffen wollte. Überhaupt warum ist es unsicher, wenn es doch befreit ist?

Die Geschichte um Marjah ist gespenstisch. Sie könnte für ganz Afghanistan typisch werden. Irgendwann in einer fernen Zukunft, wenn die Nato das Land verlassen haben wird,  wird man sich fragen: Afghanistan? Da war doch was, oder? Ach ja, Wiederaufbau, Frieden, Demokratie für eine geschundenes Land. Aber kaum einer wird sich erinnern können. Afghanistan wird von der Bildfläche verschwunden sein. Der Westen wird sich anderen zuwenden.

Ein Zynischer Blick? Nein, Marjah docet. Und die jüngere afghanische Geschichte. Nachdem die Afghanen die sowjetischen Soldaten vertrieben hatten, verlor der Westen das Interesse an Afghanistan. Es versank im Dunkel des Bürgerkrieges. Im Bewusstsein des Westens tauchet es nurab un zu auf, wie eine blutiges, Schrecken erregendes Gespenst. Nur, um schnell wieder zu verschwinden.

 

Sechs Gründe für den Abzug

1. Der Einsatz dauert zu lange und fruchtet zu wenig

Seit neun Jahren sind Nato-Soldaten in Afghanistan. Zuerst waren es nur ein paar Tausend, heute sind es 140.000. Das hat in Afghanistan nicht zu mehr Sicherheit geführt, sondern zu mehr Unsicherheit.

2. Ein Ziel ist erreicht

Die USA intervenierten 2001 unter anderem in Afghanistan, um dort al-Qaida zu zerschlagen. Das ist im großen und ganzen gelungen – jedenfalls wenn man den US-Generälen glauben kann.

3. Die Nachbarländer schauen zu

Keines der Nachbarländer in der Region scheint ein Interesse daran zu haben, dass die Nato in Afghanistan gewinnt. Weder der Iran, noch Pakistan, noch China, noch Indien, noch Russland  –  keines diese Länder greift der Nato unter die Arme. Es ist bisher nicht gelungen, die Nachbarländer an einen Tisch zu bringen, um eine regionale Lösung für Afghanistan zu finden. Ohne ihre Mitwirkung wird die Nato keinen Erfolg haben können.

4. Die Taliban sind keine Bedrohung für den Westen

Die Taliban sind keine terroristische Organisation mit einer internationalen Agenda. Sie haben eine nationales Ziel — sie wollen die westlichen Truppen aus Afghanistan vertreiben und in Kabul wieder an die Macht kommen. Selbst wenn ihnen die Rückkehr nach Kabul gelingen sollte, die Taliban des Jahres 2010 sind nicht mehr die Taliban des Jahres 2001.

5. Die Legitimation des Einsatzes ist brüchig

Keine deutscher und wohl auch keine europäische Politiker kann begründen, warum Soldaten in Afghanistan sterben sollen, um einen korrupte Regierung aus Wahlfälschern zu schützen. Der Verweis auf vitale Sicherheitsinteressen reicht als Einsatzbegründung nicht aus (Siehe Punkt 3 und 2)

6. Die Existenz der Nato ist nicht bedroht

Die Nato wird einen Rückzug aus Afghanistan überleben. In Afghanistan zu bleiben, bedroht die Nato stärker als alles andere.

 

Ein Sieg und viele Fragen

© PATRICK BAZ/AFP/Getty Images

Die Taliban greifen Hotels in Kabul an; die Nato erobert die  Taliban-Hochburg Marjah,  die afghanische Armee hisst zum Zeichen des Sieges die Nationalflagge über der Stadt; der Bundestag beschließt die Verlängerung des Afghanistan-Mandats und gleichzeitig die Aufstockung des Truppenkontingents. Das sind drei Nachrichten an einem Tag. Ihre Botschaft ist dieselbe: Der Krieg intensiviert sich in Afghanistan.

Das war zu erwarten, doch in welche Richtung schlägt das Pendel aus?

Ist Marjah wirklich ein Sieg? Und wenn ja, wird er von Dauer sein? Werden mehr deutsche Soldaten helfen, den Krieg zu entscheiden, oder sinkt Deutschland noch tiefer in den afghanischen Sumpf? Sind die Angriffe der Taliban auf Hotels in Kabul Verzweiflungstaten, oder sind sie ein Zeichen der Stärke?

Eindeutige Antworten können wir nicht geben. Sicher ist nur eines: Die Zeit spielt in die Hände der Taliban. Sie müssen nicht siegen, sie müssen nur weiterkämpfen, ein Jahr noch, zwei, vielleicht auch drei. Sie werden schon allein deshalb weiterkämpfen, weil sie  im Unterschied zu den Soldaten der Nato keine Heimat haben, in diese sie zurückkehren könnten. Ob es nun gelingt, Teile der Taliban auf dem Verhandlungswege zu gewinnen, ist mehr als fraglich. Doch auch hier ist der Faktor Zeit entscheidend. Warum sollen sie heute über etwas verhandeln, was sie in ein paar Jahren zu einem viel günstigeren Preis bekommen können? Warum sollen sie sich heute einlassen auf einen Kompromiss mit der Regierung in Kabul, wenn sie sie morgen schon stürzen könnten?

Die Taliban haben Zeit, die Nato hat keine. Denn ihr geht die Luft aus. Der beschlossene Rückzug der Holländer 2010 ist nur das dramatischtes Beispiel dafür. Schlecht ist das nicht. Man sollte die „Schwäche“ der Nato nämlich als den Anfang vom Ende der Nato als globale Interventionsmacht interpretieren.

Das transatlantische Verteidigungsbündnis, ursprünglich als antisowjetisches Bollwerk konzipiert, hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges zum weltweit aktiven militärischen Arm des Westens umdefiniert. Der Kosovo Krieg 1999 war der erste Testfall, Afghanistan ist der größte und wichtigste. Wenn also die Nato in Afghanistan zerbricht, dann ist es diese eine Nato als globale Interventionsmacht – nicht das Verteidigungsverbündnis.

P.S.: Das Foto soll die Eroberung Marjahs zeigen. Bei der Betrachtung fragt man sich: Was? Das ist Marjah? Ein Feld, eine Lehmmauer, ein paar Hütten? Wo ist eigentlich das Zentrum? Gibt es dieses Zentrum? Wo sind die Regierungsgebäude? Wo soll die Regierung residieren, die Nato-Befehlshaber in Afghanistan, Stanley McChrystal,  mit sich bringen will: „In the box, ready to roll in!“ – wie er sagte. Hat Marjah wirklich 80.000 Einwohner?  Hat die Nato 15.000 Soldaten in Marsch gesetzt, um eine Fahne über diesem Feld zu hissen?

 

Die Versuchung Krieg

Der iranische Präsident Machmud Achmadineschad bedroht Israel, unterdrückt die Opposition und provoziert die internationale Gemeinschaft. Da ist es nicht leicht, die Ruhe zu bewahren. Besonders schwierig wird es, wenn der Verdacht sich weiter erhärtet, dass Iran an einer Bombe bauen könnte. Gerade eben übersandte die IAEA dem UN–Sicherheitsrat einen Bericht, wonach Iran an Atomsprengköpfe bastle. Damit werden neuerliche Sanktionen gegen Iran nötig.

Die Machthaber in Teheran müssen nämlich spüren, dass ihre Zweideutigkeiten in der Nuklearfrage eine Preis haben. Wer als Unterzeichner des NPT-Vertrages, wie Iran einer ist, auf Dauer nicht voll mit der IAEA kooperiert, der muss Konsequenzen zu spüren bekommen. Doch im Augenblick ist nicht nur von Sanktionen die Rede, sondern auch von Krieg. „Bomb Iran“ – dieser Spruch findet Anklang, nicht nur unter strammen Rechten Amerikas. Krieg als Lösung einer verfahrenen Situation. Krieg als deus ex machina. Das kennen wir.

Im Irak schien Krieg eine einfache Lösung, um den Diktator Saddam Hussein loszuwerden und den Irak wieder für den Westen  „aufzuschließen“.  Krieg schien auch das Allheilmittel, um al-Qaida in Afghanistan loszuwerden.

Krieg ist eine blutige Versuchung.

Es gibt dabei mindestens vier gute Gründe, dieser Versuchung zu widerstehen.

1. Eine Krieg macht eine atomar bewaffneten Iran wahrscheinlicher. Das iranische Atomprogramm, falls es denn wirklich gibt, kann durch einen Krieg nur gebremst aber nicht gestoppt werden. Sollten Bomben auf Iran fallen, werden die Machthaber in Teheran ein solches Progamm eher beschleunigen.

2. Krieg bedeutet den Tod der Opposition. Wenn sich das Land im Krieg befindet, dann werden die Iraner sich hinter ihre Regierung stellen. Bestimmt nicht aus Begeisterung, aber aus dem Gefühl heraus, keine Alternative zu haben.

3. Krieg ist unkalkulierbar. Ist das Monster entfesselt, entwickelt es ein Eigenleben

4. Es gibt eine Alternative zum Krieg: Eindämmung. Diese Politik war auch gegenüber der atomar bewaffneten Sowjetunion erfolgreich. Sie brauchte aber viel Geduld und große Entschlossenheit.

 

Drogen

Afghanistan ist weltweit größter Opiumproduzent, inzwischen grassiert auch die Heroinsucht. Vom Mohnfeld in der Provinz bis zum Junkie in Kabu.  Eine Fotogeschichte von mir dazu finden Sie hier

Eine sehr lesenwerte und beunruhigende Geschiche zum Thema Drogenanbau hat einer der besten deutschen Afghanistankenner, Thomas Ruttig,  in der taz geschrieben

 

Fragen an die Propagandamaschine

Generäle sind es gewohnt, dass man sie beim Wort nimmt. Das wollen wir tun.

Als vor einigen Tagen 15.000 Nato-Soldaten begannen, auf die afghanische Stadt Mardschah vorzurücken, um sie den Taliban zu entreißen, sagte der Oberfehlhaber der Nato in Afghanistan, Stanley McChrsytal,: „We’ve got a government in the box, ready to roll in“

Das hat man schon mal gehört. Als die US-Armee 2001 die Taliban aus Kabul vertrieb,  gab es auch eine Regierung, die ihr folgte. Sie war nicht so ganz ready to roll in.  Sie musste  den Umweg über die Petersberger Konferenz nehmen, wo sie vom Westen auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat eingeschworen wurde.   Danach allerdings rollte sie  in Kabul ein und regierte unter dem Präsidenten Hamid Karzai, der sich bald als Schutzpatron einer korrupten Clique entpuppte und nach Kräften Wahlen fälschte. Deswegen ist es durchaus angebracht zu fragen, wie denn die „Regierung“, die McChrsytal nach Mardscha mitbringen will, aussieht. Welche Männer bilden sie? Welche Vergangenheit haben sie? Welche Ausbildung? Mit wem sind sie verwandt? Sind es Paschtunen, Tadschiken, Hazara? Oder ist diese Regierung gemischt?

Das sind Fragen, welche die Bewohner von Mardscha sicher interessieren, wenn sie denn Zeit haben, sich diese Fragen zu stellen. Es wird ja gekämpft in ihrer Stadt. Aber es sind Fragen, die uns auch  interessieren sollten. Immerhin ist das ja eine Regierung, die von westlichen Soldaten installiert wird.

Es ist anzunehmen, dass McChrystal an diese Regierung glaubt. Immerhin ist sie eine zentraler Bestandteil seiner neuen Afghanistan-Strategie, die er in Mardschah zum ersten Mal umsetzt. Da aber auch McChrystal ganz bestimmt das Ausmaß der Korruption in Afghanistan bekannt ist, wird er sich keinen Illusionen hingeben.  Wie kann er dann an die Beamten, die er nach Mardschah karren will, vertrauen? Wir kann er dann für diese Regierung das Leben seiner Soldaten riskieren? Er hat keine Alternative.

Er glaubt wahrscheinlich nicht an ihre Integrität, aber er glaubt an ihre Käuflichkeit.  Das nämlich ist die zentrale Gedanke der neuen Afghanistan-Politik der Nato: Man muss den Afghanen nur genügend Geld bieten, damit sie nicht zu den Taliban überlaufen.

Aber was ist, wenn die Afghanen das Geld nehmen und trotzdem Taliban bleiben?

 

Propagandafeldzug der Nato

Die Nato hat in Afghanistan die größte Operation in dem seit acht Jahren dauernden Einsatz begonnen. Sie zielt auf Mardscha, eine Hochburg der Taliban in Süden des Landes.  Die Generäle haben sie „Muschtarak“ getauft, was soviel wie „gemeinsam“ heißt. Die Nato  geht nämlich gemeinsam  mit Einheiten der afghanischen Armee gegen die Taliban vor.

„Muschtarak“ ist die erste konkrete Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie der Nato. Sie zielt darauf ab, mit überwältigender Gewalt die Taliban in ihren Zentren zu treffen und  zu vertreiben.  Den einmarschierenden Soldaten folgen Beamte der afghanischen Regierung, die sofort daran gehen sollen, die eroberten Städte zu verwalten – gut zu verwalten, damit die Menschen auch erleben können, dass es ihnen unter der Regierung besser geht als unter den Taliban. Die Nato-Soldaten sollen im Unterschied zur vorangegangenen Operationen auf Dauer in den eroberten Zentren bleiben. So weit der Plan. „Muschtarak“ wird begleitet von einer sorgfältig vorbereiteten Medienkampagne.  Sie bringt das hervor, was von einer Propagandamaschine zu erwarten ist: Die Nato eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Tatsache, dass manchmal etwas schief geht wie die Tötung von zwölf Zivilisten durch zwei Raketen,  die ihre Ziele verfehlt haben,  wird übertönt von den Jubelmeldungen aus den Presseabteilungen der Militärs.

Man muss daran erinnern, dass es KEINE unabhängige Berichterstattung aus dem Kampfgebiet gibt. Wir sind also fast ausschließlich auf die Informationen angewiesen, die uns die Kriegsparteien liefern – in dem Fall vor allem der Nato.  Das wird gerne vergessen.
Was tun? Die Propaganda mit Fragen löchern.  Warum zum Beispiel behauptet die Nato, dass die Taliban völlig überrascht worden seien, wenn doch sie gleichzeitig sagt, sie hätte die Zivilbevölkerung via Radio und Flugblätter vor dem Angriff gewarnt, um ihr die Chance zu geben, sich in Sicherheit zu begeben? Warum sagt die Nato, sie habe die Taliban überwältigt, wenn sie gleichzeitig sagt, es gebe kaum Kämpfe? Warum sollten die afghanischen Beamten, die der Nato auf den Fuß folgen, weniger korrupt sein als ihre Regierung in Kabul? Warum sollen die Bewohner Mardschas glauben, dass die Nato auf Dauer bleiben wird, wenn US–Präsident Barack Obama doch den Abzug beginnend 2011 festgelegt hat?

Je lauter das Propagandagetöse, desto mehr muss man solche Fragen stellen.

 

Griechisches Drama in Bad Harzburg

Die Griechen bereiten dem Rest der Europäer ziemliche Kopfschmerzen. Zuerst schummeln sie sich mit Hilfe einer amerikanischen Bank in den Euro, dann häufen sie so viele  Schulden an, dass  eben dieser Euro vor den ungläubigen Augen der anderen Europäer zu zerbröseln beginnt wie ein mürber Kuchen. Die griechische Misere ist deshalb auch eine deutsche.

Wer das nicht glaubt, sollte einen Abstecher in die schöne, ruhige, stille, tief verschneite, bei Nacht dunkle, bei Tag grauhelle deutsche Stadt Bad Harzburg machen, die nach Auskunft des Tourismusbüros im Sommer geradezu mediterran sein soll, aber jetzt ist nicht Sommer, sondern tiefster, eisiger Winter. Der Bahnhof Bad Harzburgs ist klein und doch auf eine seltsame Weise prächtig, mit bemalten bunten Glasfenstern und einem ebenso bunten Kiosk, der alle Zeitungen dieser Welt zu verkaufen scheint, selbst die Goslarsche Zeitung, das Lokalblatt. Die Hauptstrasse führt vom Bahnhof leicht ansteigend an munteren Geschäften vorbei, die selbst in winterdunkler Nacht ihre strahlende Gelassenheit nicht verlieren. Und da waren sie, die Griechen. In weniger als zehn Minuten kam ich an vier griechischen Restaurants vorbei. Hellas, Artemis, Ilias, Olympia. ­Es kann auch sein, dass sie Artemis, Odysseus, Ilias und Kreta heißen. Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Doch ich sah hinter den Fenstern viele griechische Statuen, bemalte Vasen, Säulen, Friese, Muscheln, Fischernetze, Anglerhaken und was sonst griechische Restaurantbesitzer für griechisch halten. Die gesamte griechische Klassik, unser zivilisatorisches Gen, war schamlos ausgestellt. Als ich mich an den Fenstern der Ilias vorbeugte, um eine halbnackte Griechin aus Gips zu betrachten, da schien mir, als ginge ein Schauer über ihren Rücken, sie zitterte und bebte. Sie fürchtete sich wohl vor der Kälte draußen, oder die Wut packte sie bei dem Gedanken an ihren griechischen Herren, der sie an dieses Fenster zwang, wo sie immerzu auf Bad Harzburg schauen muss und auf das gegenüberliegende Restaurant Hellas, wo ihr Widerpart hinter dem Fenster stand, eine ebenso schlanke, gipserne Griechin mit totenbleichen Gesicht.