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Dem Yemen droht die Eiserne Faust

Tunesien, Ägypten, Libyen und jetzt der Yemen. Nordafrika ist im Umbruch, aber der Weg zu den geforderten Freiheitsrechten ist mehr als steinig. Während Tunesien Fortschritte auf dem Weg Richtung Demokratie macht, kommt es in Ägypten wenige Wochen nach dem Sturz Mubaraks schon zu heftigen Auseinandersetzungen um die geplante Verfassung und in Libyen hetzt ein grotesker Despot das Militär auf die eigene Bevölkerung.

Auch im Yemen scheinen die Tage des autokratisch regierenden Präsidenten Saleh gezählt. Die Armee stellt sich gegen den Präsidenten. Ein mächtiger General betreibt die Ablösung des verhassten Führers. Nur leider droht mit diesem General ein Nachfolger, dem man keinem Volk der Welt wünscht. WikiLeaks-Depeschen aus dem Jahr 2005, die gerade vom britischen Guardian veröffentlicht wurden, charakterisieren einen korrupten Militär mit großer Affinität zum politisch radikalen Islam. Sein Name Ali Mohsen al-Ahmar, genannt die Eiserne Faust.

 

Kurz und klein (6): Krieg, Protest, Reaktor, Rücktritt

+++Krieg+++

Ist der Krieg in Libyen der erste WikiLeaks-Krieg der Geschichte? Der Papierform nach unterscheidet sich der Waffengang gegen Gadhafi zwar kaum von den Kriegen gegen die Taliban oder Saddam Hussein. Aber eines scheint völlig anders, die transparente Vorgehensweise der US-Regierung. Das jedenfalls ist die Meinung des amerikanischen Journalisten und Bloggers Tom Watson.

Die Gründe für seine steile Theorie sieht Watson überraschenderweise auch bei WikiLeaks. Eine Position, die maximalen Disktinktionsgewinn verspricht, aber nicht durch maximale Logik glänzt. In einem streitbaren Artikel legt er dar, dass es sich bei dem Militäreinsatz in Libyen aus ganz unterschiedichen Gründen um den ersten WikiLeaks-Krieg handelt. Nicht nur die libysche Bevölkerung, die, wie die aufbegehrenden Gesellschaften in Tunesien und Ägypten, aus den US-Depeschen Motive ihrer Proteste bezieht, sondern auch die libysche Führung mit ihrem irrwitzigen Führer Muammar al Gadhafi an der Spitze, hat die Konsequenzen aus den WikiLeaks-Veröffentlichungen gezogen.

Von Beginn an verzichtete der Gadhafi-Clan auf alle Kompromisse und verstärkte sofort nach dem Aufkommen der ersten Proteste die Repressionen. Nach dem Motto: Die Wahrheit über uns Schweinehunde ist sowieso bekannt, was sollen wir noch zimperlich sein. So habe man sich das Schicksal der Ben-Alis und Mubaraks ersparen wollen. Watson geht aber noch weiter, dieser Logik folgend, macht er WikiLeaks für die Eskalation der Gewalt mehr oder weniger mitverantwortlich.

Aber auch die amerikanische Regierung hat ihre Konsequenzen aus dem Cablegate-Desaster gezogen und eine strategische Kehrtwende vollzogen. Überraschend defensive und erstaunlich transparente versuche die US-Administration den Konflikt international abzusichern. So Watson in seinem Artikel.

Mit seiner kühnen Theorie denkt er, nach eigener Aussage, nur zu Ende, was Assange selbst noch vor wenigen Tagen ansprach. Die Bedeutung von Facebook und Twitter im Kontext der nordafrikanischen Revolutionen werde überschätzt, die von WikiLeaks hingegen weitgehend unterschätzt. Aber im Gegensatz zu Assange kommt Watson zu einem anderen Schluss: Der Libyen-Krieg ist bei ihm fast die zwingende Folge der WikiLeaks-Veröffentlichungen. Wenn die Depeschen diesen beanspruchten Anteil an den Unruhen haben, dann haben sie ihn auch an diesem neuen Krieg.

+++Protest+++

Weltweit kam es am zurückliegenden Wochenende zu Protestaktionen gegen die Haftbedingungen des ehemaligen Obergefreiten der US-Armee und mutmaßlichen Whistleblower, Bradley Manning. Das Protestbündnis Stand with Bradley hatte in etlichen Städten weltweit zu Demonstrationen aufgerufen.  In Washington kam es zu Protesten vor dem Weißen Haus. Unter anderem wurde dabei einer der berühmtesten Whistleblower der jüngeren Geschichte, Daniel Ellsberg, verhaftet. Ellsberg hatte in den 1970er Jahren für die Veröffentlichung der sogenannten Pentagon Papiere gesorgt. Sie dokumentierten die vorsätzliche Irreführung der amerikanischen Öffentlichkeit durch die US-Regierung während des Vietnamkriegs.

Die Proteste des Wochenendes richteten sich gegen die 22 Anklagepunkte und insbesondere die Haftbedingungen Mannings. Wir hatten mehrfach berichtet. Zu Demonstrationen kam es in zahlreichen Städten der USA zudem in Finnland, Groß Britannien und Österreich. In Deutschland dagegen gab es keine Veranstaltung. Bleibt nur die Frage warum?

+++Reaktoren+++

Es ist seit Tagen bekannt und kann doch nicht oft genug wiederholt werden. Wie WikiLeaks-Depeschen aus den Jahren 2006 und 2008 belegen, waren die Risiken, die Erdbeben für japanische Atomkraftwerke darstellen könnten, seit Jahren nachzulesen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Risiken für andere Atomkraftwerke außerhalb Japans mittlerweile nachgelesen wurden. Inklusive der nötigen Konsequenzen.

+++Rücktritt+++

Die Welt richtet ihre Augen nach Japan und Nordafrika. Über die Bedeutung der Wikileaks-Depeschen dort berichteten wir. Aber auch andernorts ist Cablegate noch immer Ausgangspunkt für lokale oder regionale Krisen. Das Verhältnis der USA zu Mexiko ist zuletzt wiederholt erschüttert worden, nachdem durch veröffentlichte Depeschen zuletzt bekannt geworden war, wie sich der US-Botschafter in Mexiko über die vermeintlich nachlässige Haltung der mexikanischen Behörden im Kampf gegen den organisierten Drogenhandel beschwert hatte. Jetzt musste der Botschafter seinen Posten räumen. Es ist nicht der erste Botschafter den WikiLeaks-Veröffentlichungen seinen Posten gekostet haben. Und es wird nicht der letzte sein.

 

Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Kurz und klein (5): Schauspieler, Drogendealer, Knastinsassen

++++Schauspieler++++

Während sich der umstrittene Wikileaks-Gründer Julian Assange in dieser Woche mit Antisemitismusvorwürfen herumschlagen musste, wurde bekannt, dass Steven Spielberg an der Verfilmung der Assange-Story interessiert sein soll. Zumindest hat seine Produktionsfirma Dreamworks gerade die passenden Rechte erworben. Natürlich kursierten gleich erste Schauspielernamen im Netz. Mr. Bourne-Identity Matt Damon wird hoch gehandelt. Aber auch der gebürtige Australier und Galdiator-Darsteller Russel Crowe ist angeblich im Gespräch. Eventuell sollte man die Wikileaks-Verfilmung dann allerdings eher als Historiendrama anlegen. Ob in der römischen Antike oder im englischen Mittelalter wäre noch zu debattieren. Fehlt eigentlich nur noch jemand, der den ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ins Spiel bringt. Dann könnte man die Wikileaks-Verfilmung auch als Science-Fiction in die Kinos bringen.

++++Drogendealer+++

Unterdessen starrt die Welt nach Libyen. Der dortige Diktator bringt aktuell die Luftwaffe gegen die Revolution in Stellung (siehe auch Das Drehbuch der Revolution). Andere Weltregionen geraten da schon mal aus dem Blick – zumindest aus europäischer Perspektive. Aber auch anderswo rumort es kräftig. In Mexiko zum Beispiel. Was umgehend Auswirkungen auf die mexikanischen Beziehungen zu den USA hat. Denn die schätzen die dortigen Aktivitäten der mexikanischen Regierung im bürgerkriegsähnlichen Drogenkrieg gegen die großen Mafiakartelle neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen zufolge eher desolat ein. Im Zuge eines Staatsbesuchs des mexikanischen Präsidenten Calderon im weißen Haus, kam es dementsprechend zu dem, was im Nachrichtensprech gerne Austausch von Meinungsverschiedenheiten genannt wird und nichts anderes ist, als ein handfester Krach der amerikanischen Nachbarn.

++++Knastinsassen+++

Auch die Anklage gegen die vermeintliche Wikileaksquelle Bradley Manning in den USA ist zwischenzeitlich um sage und schreibe 22 Punkte erweitert worden. Die US-Justiz scheint an dem inhaftierten Obergefreiten der US-Army nicht nur ein Exempel statuieren zu wollen, sondern gleich mehrere Dutzend. Offenbar gilt in Sachen Whistleblower das Prinzip Abschreckung. Beschämenderweise wurde gleichzeitig bekannt, dass Manning wiederholt gezwungen wurde, Tage und Nächte nackt in seiner Einzelzelle zu verbringen. Nicht gerade das, was man von einem Rechtsstaat erwartet, der seit Kurzem die Machthaber im arabischen Raum zu Diktatoren erklärt hat und ihnen wegen Menschenrechtsverletzungen die Legitimationen abspricht.

 

Das Drehbuch der Revolution

Ben-Ali ist weg. Mubarak ist weg. Gadhafi wankt. Jetzt geraten die Saudis in den Blick. Eine Revolution und ihre Etappen. Seit Wochen rast eine Umwälzung durch Arabien. Mit einer Dynamik, wie wir sie eigentlich nur aus Drehbüchern kennen. Denn auch Filmplots werden gestaucht erzählt, um den flüchtigen Zuschauer bei Laune zu halten. Figuren werden überzeichnet, Situationen dramatisiert und Spannungsbögen verstärkt.

Aber die Geschichte, die uns hier dargeboten wird, ist real, der Plot atemberaubend. Mit schnellen Schnitten wird in kurzer Zeit erzählt, was vor Monaten noch für Jahre unmöglich schien. Dabei sind die Protagonisten teilweise so unrealistisch bizarr, dass man sie keinem Drehbuchautor durchgehen lassen würde. Aber die Wirklichkeit ist gerade mit Hochgeschwindigkeit auf der Überholspur unterwegs. Und die US-Depeschen, die Wikileaks tagtäglich veröffentlicht, spielen eine wichtige Rolle.

Über die Dekadenz der tunesische Herrscherfamilien berichteten wir hier schon ausführlich (Tunesien: Die erste Wikileaks-Revolution?). Sie machte unter anderem mit der Käfighaltung einiger Löwen zu Unterhaltungs- zwecken von sich reden. Eskapaden dieser Art wirken jedoch eher kleinbürgerlich gegen den Größenwahn des libyschen Gadhafi-Clans (siehe auch Tage des Zorns).

Während die Söhne Gadhafis ja bereits einschlägig bekannt sind, zeigt sich ihr Vater in diesen Tagen nicht nur als schillernder Halunke und Menschenfeind, sondern auch wieder als Mann mit einer Vorliebe für verstörende Auftritte. Seine groteske 20-Sekunden-Ansprache in einer theaterreifen Kulisse, zwischen Ruinen, Autoteilen und einem Regenschirm ist dem Zuschauer noch präsent (man war überzeugt Ausschnitte einer Beckett-Inszenierung aus den 80er Jahren zu sehen), da legte er gestern bereits nach. Während sein Land auseinanderbricht, erklärt der Mann mit der Neigung zur Fanatsieuniform in einem Gespräch mit dem amerikanischen Fernsehsender ABC in aller Seelenruhe, dass sein Volk ihn liebe und bereit sei, für ihn zu sterben. Derartige Äußerungen in einem von Bürgerkriegsszenen erschütterten Land, dürften bestenfalls noch als Anschauungsmaterial für Studenten der Psychopathologie dienen.

Aber die Bizarrerien der arabischen Herrscher sind längst noch nicht alle bekannt. Unser Revolutionsfilm ist erst in Teilen erzählt. Und den Wikileaks-Depeschen kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie sind zwar nicht der Plotkicker, jenes Ereignis, das eine Geschichte in Gang bringt. Aber sie haben die elementare Funktion, uns die Background-Storys zu erzählen. Denn so wie jede gute Drehbuchfigur eine Geschichte hat, die weit über die erzählte Zeit des Films hinausgeht, so haben auch die arabischen Herrscher jeweils eine Geschichte, die weit über die aktuelle Umsturzsituation hinausgeht. Und diese Geschichten legen uns die US-Depeschen dar, die Wikileaks wohl dosiert veröffentlicht. Es sind Geschichten aus jener Zeit, in denen die Diktatoren der arabischen Welt noch Staatsmänner waren, mit denen man gute Geschäfte machen konnte.

Die Background-Geschichten erzählen uns das, was die Diplomaten, Dienste und dementsprechend jene Politiker des Westens, die sich jetzt mit Abscheu distanzieren, schon seit Jahren wussten. Ob es nun Bahrains Kronprinz ist, über den durch Wikileaks-Depeschen unlängst bekannt wurde, dass er sich nicht gerade als Fan der Demokratie versteht (by the way: so hübsch codiert, kommt ein autoritärer Anspruch selten daher). Oder unsere Buddys aus Saudi Arabien, die überraschender Weise doch nicht das sind, was man lupenreine Demokraten nennen könnte. Das Maß an Rücksichtslosigkeit, Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit entspricht wohl dann doch eher dem, was es ist – einer absolutistischen Monarchie. Und sie sind es, auf die wir jetzt unsere Hoffnungen setzen. Zumindest was die stabile Versorgung des Westens mit Erdöl angeht, da der Kollege Größenwahn aus Tripolis sich erstmal für einen blutigen Kampf gegen sein eigenes Volk entschieden hat.

Bleibt nur noch die Frage, um was für eine Art Film es sich handelt. Komödie und Liebesfilm scheiden aus. Kommen nur noch Groteske, Drama und Tragödie in Betracht. Sie haben die freie Wahl.

 

Sprechblasen der Weltpolitik

Man wird das Gefühl nicht los. Auch wenn von einer dramatischen Situation die Rede ist. Auch wenn historische Augenblicke behauptet werden. Auch wenn von Entschlossenheit und  Entschiedenheit gesprochen wird. Artikulationen von Staatsmänner kommen oft nicht über das Niveau der Sprechblase hinaus. Weltpolitik erscheint immer wieder als Comicstrip. Zugegebenermaßen manchmal sogar noch finsterer, wie im Falle Berlusconis, der nur noch als Operettenfigur zu bezeichnen ist. Was läge da näher, als Weltpolitik in Comicform zu erzählen? Genau das hat The Atlantic getan. Und zwar mit den interessantesten US-Depeschen, die Wikileaks bisher veröffentlicht hat. Zwar kann man darüber streiten, ob die Auswahl der Atlantic-Redaktion tatsächlich die interessantesten Storys ausgewählt hat, aber entstanden ist definitiv eine wunderbare Serie von Cabelgate-Comix. Wie das Beispiel der illustrierten Depesche aus Tripolis, Libyen zeigt.

 

Die Familie des Diktators

Die Lage in Libyen eskaliert. Der seit Jahrzehnten herrschenden Diktator Muammar al-Gadahfi verliert die Kontrolle. In Tripolis und anderswo brennen Regierungsgebäude. Einer der vielen Söhne des Diktators droht im Staatsfernsehen mit einem Kampf bis zum letzten Mann.

Der britische Guardian hat nun zahlreiche Depeschen zusammengestellt, die einen Einblick in die Diktatorenfamilie Gadahfi geben. Wer nach Abgründen sucht, ist hier richtig. Allen sei noch mal in Erinnerung gebracht, dass die EU-Staaten noch vor Tagen mit dem libyschen Staat über die sogenannte Flüchtlingsproblematik verhandelten. Man hatte dem Herrscher weitere Millionen bereit stellen wollen. Ihr Verwendungszweck: Das Wegfischen von afrikanischen Flüchtlingen auf ihrem Seeweg nach Europa.

Heute Abend wurden offenbar Demonstranten aus Flugzeugen beschossen. Die Europäische Union diskutierte gleichzeitig Sanktionen. Eine Entscheidung gab es nicht.

 

Wikileaks ist tot! Es lebe das Whistleblowing

Vor wenigen Wochen machte ein Kondom die Runde. Es war ganz offenbar gebraucht. Jemand hatte es dennoch aufbewahrt. Später wurde es dann fotografiert, jetzt ist es ein Beweisstück und zirkuliert durch die Presse. Weltweit. Eine eher seltene Karriere für ein Präservativ. Aber die sexuellen Praktiken eines gewissen Julian Assange machen es möglich.

Weltberühmtes Kondom

Soweit kolportiert wurde, soll jener Julian Assange dieses Kondom vorsätzlich beschädigt haben, um einen gefühlsechteren Geschlechtsverkehr ausüben zu können. Was, so wurde weiter kolportiert, nicht ganz im Sinne der temporären Partnerin war.

Ein Drama biblischen Ausmaßes jedenfalls, das sich da vor wenigen Monaten in Schweden ereignete. Vollkommen klar, dass umgehend Titelseiten freigeräumt wurden. Was könnte es Wichtigeres geben, als über jenes shakespear’sche Dramoulette zu berichten?

Und der Mann mit dem zerrissenen Kondom spielte mit, bediente die Mechanismen des Boulevards, schwadronierte von einer Einkerkerung in Guantanamo oder gleich von der drohenden Exekution durch die US-Regierung.

Soweit, so uninteressant. Angereichert von Insiderauskünften, die die Ränkespiele des ehemaligen Zweimann-Betriebs Wikileaks in ein neues Licht rücken wollen, lenkt dieses Boulevardgetöse nur noch ab.

Es ist längst an der Zeit, wichtigere Fragen zu diskutieren. Wird es eine dauerhafte Whistleblowingkultur geben? Was kommt nach Wikileaks? Welche Erben sind in Sicht? Was wird sie von Wikileaks unterscheiden? Können sie dazu beitragen, eine lokale oder regionale, eine nationale oder internationale Leakingkultur zu etablieren? Welche Gefahren drohen? Wie stellen die unterschiedlichen Plattformen den wichtigen Quellenschutz sicher? Wer trennt bedeutende Dokumente, die auf politische oder wirtschaftliche Verbrechen hinweisen von hinterhältigen Denunziationen?

In den nächsten Wochen werden hier ausgewählte Plattformen ausführlicher vorgestellt. Hier schon mal eine erste Übersicht.

Eine herausragende Bedeutung kommt natürlich OpenLeaks.org zu. Allein schon weil das Portal des Wikileaks-Dissidenten Daniel Domscheit-Berg momentan internationale Aufmerksamkeit erfährt. Es unterscheidet sich in seinem Ansatz fundamental von Wikileaks, da es keine eigenständige Publikation der eingehenden Whistleblowing-Dokumente beabsichtigt. OpenLeaks versteht sich als Mittler zwischen Geheimnisverrätern und anderen Organisationen – von Menschenrechtsgruppen über Gewerkschaften bis hin zu konventionellen Medien. Die Organisationen können sich bei OpenLeaks akkreditieren. Der Whistleblower kann im Gegenzug nicht nur Dokumente anonym hinterlegen, sondern auch Wünsche äußern, welcher Organisation seine Dokumente zuerst zugehen sollen.

Auch die Transparency-Unit des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera wurde in den vergangenen Wochen international bekannt. Gemeinsam mit dem britischen Guardian hatte die Transparency Unit geheime Dokumente der Nahost-Friedensverhandlungen veröffentlicht. Überraschende Verhandlungspositionen und -strategien der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde kamen ans Licht. Al Jazeera ist der bisher eindeutigste Beleg für Aktivitäten größerer Medien auf dem Gebiet des Whistlebowings.
Die New York Times und der Spiegel sollen jedoch ebenfalls über eigene Whistleblowingstrukturen nachdenken.

Einen Schritt weiter ist da bereits die WAZ-Mediengruppe mir ihrem Angebot derwesten-recherche.org. Das Angebot zielt vor allem auf die Verbreitungsregion der meisten WAZ-Zeitungen in Nordrhein-Westfalen. Ein attraktiver Ansatz, da viele Informationen oft nur eine regionale Relevanz besitzen und bei einem weltweiten Player wie Wikileaks unter Umständen untergehen würden.

Lokales Leaken ist auch das Thema der Seite BayernLeaks.de. Auch Brusselsleaks.com verfolgt den Ansatz einer regionalen Spezifizierung – allerdings im weltpolitischen Maßstab. Die Seite will sich auf Themen der europäischen Union fokussieren.

Portale wie RuLeaks, TuniLeaks, BalkanLeaks, KanariLeaks und IndoLeaks sind ebenfalls auf Regionen oder Länder spezialisiert. Allerdings beschränken sie sich teilweise auf die Auswertung bekannter Dokumente wie etwa bereits veröffentlichte US-Botschaftsdepeschen.

Einen ganz anderen thematischen Kontext bedient dagegen die Seite GreenLeaks. Dokumente, die Umweltzerstörungen oder Klimagefährdungen belegen, sollen auf GreenLeaks publiziert werden können.

Bleiben noch Portale mit einem breiteren Profil. Zum einen das bereits seit einigen Jahren existierende Cryptome.org. Die Macher von Cryptome arbeiteten anfangs mit Julian Assange zusammen, distanzierten sich dann aber nach diversen Konflikten. Bekanntheit erlangte Cryptome unter anderem mit der Veröffentlichung geheimer MI6-Dokumente.
Ebenfalls ohne thematische Spezifizierung arbeitet das Portal GlobaLeaks.

Neben den originären Leakingsportalen gibt es eine ganze Reihe weiterer Portale und Blogs, die im Umfeld von Wikileaks und Co arbeiten. Crowdleak.net gehört zu den bekanntesten Beispielen. Hier soll die Crowd nach unentdeckten News in bekannten Leaking-Dokumenten recherchieren. Auch die Depeschensuchmaschine Cablegatesearch.net will die Schwarmintelligenz nutzen, um die Auswertung der Depeschen ertragreicher zu gestalten.
Seiten wie WLcentral.org oder Leaknews.de verstehen sich dagegen eher als Nachrichtenseiten zu Whistleblowingthemen.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das deutsche Whistleblowing-Netzwerk. Theorie und Praxis des Leakens werden dort umfangreich diskutiert.

Natürlich gibt es mittlerweile auch haufenweise Onlinespiele und jede Menge Trash mit Unterhaltungswert zum Thema Whistleblowing im Netz. Dazu in Kürze mehr.

Bleibt am Schluss noch ein erstes Zwischenfazit. Die Vielzahl entstehender Portale deutet auf wachsende Relevanz des Whistleblowings hin. Den Beleg ihrer Bedeutung sind alle Portale noch schuldig. Viele Fragen sind dagegen noch offen. Hat Wikileaks dem Thema Whistleblowing zum Durchbruch verholfen? Oder werden sich Staaten und Unternehmen zukünftig noch massiver schützen? Und – wer ist er eigentlich, der Whistleblower und was sind seine Motive?

Antworten und Ergänzungen gerne und jederzeit!

 

Tage des Zorns

In Libyen ist für heute der Tag des Zorns ausgerufen. Inspiriert von den Umstürzen in Tunesien und Ägypten haben die Initiatoren via Internet zur Großdemonstration gegen den selbsternannten Revolutionsführer Muammar al-Gadhafi aufgerufen. Wer sich über die Gründe des Zorns in Libyen informieren will, kann hier in diversen Depeschen stöbern. Die Depeschensuchmaschine Cablegatesearch.net macht’s möglich.

Unter anderem erklärte diese Depesche, warum die Bevölkerung in Libyen in weiten Teilen frustriert ist. Allerdings kamen die Autoren 2009 noch zu dem Schluss, dass es der Bevölkerung vor allem um ökonomische Reformen geht und nicht um politische Veränderung. Es könnte sich dabei allerdings um einen gewaltigen Irrtum handeln, wie wir vielleicht in wenigen Wochen feststellen werden. Der Brotpreis war schon häufiger Auslöser von Aufständen.

Und momentan bebt ja die gesamte arabische Region vor dem Zorn der jungen, oft perspektivlosen Jugendlichen. Wie die Beispiele Tunesien, Ägypten und momentan Bahrain beweisen. Über die dortige Situation und die Einschätzung der US-Regierung gibt ein Blogartikel des amerikanischen Nachrichtensenders ABC Auskunft, der die entsprechenden Depeschen zusammengetragen hat. Der Titel: The Cozy US-Bahrain Relationship. In Bahrain ist es heute allerdings weniger gemütlich. Während eines Polizeieinsatzes gegen friedliche Demonstranten gab es in Bahrains Hauptstadt Manama mehrere Tote.

 

Kurz und klein (2): Beleidigte, Gefürchtete, Verhörte, Zaudernde

+++Beleidigte+++

Die Liebe war intensiv, aber schon damals nicht ohne Probleme. Jetzt ist sie erloschen und die Verschmähten schmähen einander.

So muss man die mittlerweile erkaltete Beziehung zwischen Wikileaks und den ehedem exklusiv berichtenden Medien New York Times und The Guardian beschreiben. Bill Keller, Chefredakteur der New York Times hatte erst vor wenigen Tagen in einem längeren Essay mit Wikileaks-Gründer Assange abgerechnet. Der Guardian brachte am Wochenende den Netzkritiker Evgeny Morozov in Stellung, um die Bedeutung von Wikileaks zu relativieren. Auch Ian Katz, Deputy Editor des Guardian, breitete am Samstag seine Version der beendeten Kooperation aus. Sensationeller Weise verwies er ausführlich auf die Bedeutung der journalistische Kompetenz des Guardian und seiner Partner, ohne die die publizistischen Erdstöße des letzten Jahres nicht denkbar gewesen wären. In ihrem Artikel Übernachtet und unrasiert beschreibt ZEIT-Autorin Khue Pham übrigens ausführlich, wie die Redakteure der ehemals exklusiven Medienpartner nun in Büchern ihre Versionen der Wikileaks-Saga erzählen.

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