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Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Kurz und klein (5): Schauspieler, Drogendealer, Knastinsassen

++++Schauspieler++++

Während sich der umstrittene Wikileaks-Gründer Julian Assange in dieser Woche mit Antisemitismusvorwürfen herumschlagen musste, wurde bekannt, dass Steven Spielberg an der Verfilmung der Assange-Story interessiert sein soll. Zumindest hat seine Produktionsfirma Dreamworks gerade die passenden Rechte erworben. Natürlich kursierten gleich erste Schauspielernamen im Netz. Mr. Bourne-Identity Matt Damon wird hoch gehandelt. Aber auch der gebürtige Australier und Galdiator-Darsteller Russel Crowe ist angeblich im Gespräch. Eventuell sollte man die Wikileaks-Verfilmung dann allerdings eher als Historiendrama anlegen. Ob in der römischen Antike oder im englischen Mittelalter wäre noch zu debattieren. Fehlt eigentlich nur noch jemand, der den ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ins Spiel bringt. Dann könnte man die Wikileaks-Verfilmung auch als Science-Fiction in die Kinos bringen.

++++Drogendealer+++

Unterdessen starrt die Welt nach Libyen. Der dortige Diktator bringt aktuell die Luftwaffe gegen die Revolution in Stellung (siehe auch Das Drehbuch der Revolution). Andere Weltregionen geraten da schon mal aus dem Blick – zumindest aus europäischer Perspektive. Aber auch anderswo rumort es kräftig. In Mexiko zum Beispiel. Was umgehend Auswirkungen auf die mexikanischen Beziehungen zu den USA hat. Denn die schätzen die dortigen Aktivitäten der mexikanischen Regierung im bürgerkriegsähnlichen Drogenkrieg gegen die großen Mafiakartelle neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen zufolge eher desolat ein. Im Zuge eines Staatsbesuchs des mexikanischen Präsidenten Calderon im weißen Haus, kam es dementsprechend zu dem, was im Nachrichtensprech gerne Austausch von Meinungsverschiedenheiten genannt wird und nichts anderes ist, als ein handfester Krach der amerikanischen Nachbarn.

++++Knastinsassen+++

Auch die Anklage gegen die vermeintliche Wikileaksquelle Bradley Manning in den USA ist zwischenzeitlich um sage und schreibe 22 Punkte erweitert worden. Die US-Justiz scheint an dem inhaftierten Obergefreiten der US-Army nicht nur ein Exempel statuieren zu wollen, sondern gleich mehrere Dutzend. Offenbar gilt in Sachen Whistleblower das Prinzip Abschreckung. Beschämenderweise wurde gleichzeitig bekannt, dass Manning wiederholt gezwungen wurde, Tage und Nächte nackt in seiner Einzelzelle zu verbringen. Nicht gerade das, was man von einem Rechtsstaat erwartet, der seit Kurzem die Machthaber im arabischen Raum zu Diktatoren erklärt hat und ihnen wegen Menschenrechtsverletzungen die Legitimationen abspricht.

 

Das Drehbuch der Revolution

Ben-Ali ist weg. Mubarak ist weg. Gadhafi wankt. Jetzt geraten die Saudis in den Blick. Eine Revolution und ihre Etappen. Seit Wochen rast eine Umwälzung durch Arabien. Mit einer Dynamik, wie wir sie eigentlich nur aus Drehbüchern kennen. Denn auch Filmplots werden gestaucht erzählt, um den flüchtigen Zuschauer bei Laune zu halten. Figuren werden überzeichnet, Situationen dramatisiert und Spannungsbögen verstärkt.

Aber die Geschichte, die uns hier dargeboten wird, ist real, der Plot atemberaubend. Mit schnellen Schnitten wird in kurzer Zeit erzählt, was vor Monaten noch für Jahre unmöglich schien. Dabei sind die Protagonisten teilweise so unrealistisch bizarr, dass man sie keinem Drehbuchautor durchgehen lassen würde. Aber die Wirklichkeit ist gerade mit Hochgeschwindigkeit auf der Überholspur unterwegs. Und die US-Depeschen, die Wikileaks tagtäglich veröffentlicht, spielen eine wichtige Rolle.

Über die Dekadenz der tunesische Herrscherfamilien berichteten wir hier schon ausführlich (Tunesien: Die erste Wikileaks-Revolution?). Sie machte unter anderem mit der Käfighaltung einiger Löwen zu Unterhaltungs- zwecken von sich reden. Eskapaden dieser Art wirken jedoch eher kleinbürgerlich gegen den Größenwahn des libyschen Gadhafi-Clans (siehe auch Tage des Zorns).

Während die Söhne Gadhafis ja bereits einschlägig bekannt sind, zeigt sich ihr Vater in diesen Tagen nicht nur als schillernder Halunke und Menschenfeind, sondern auch wieder als Mann mit einer Vorliebe für verstörende Auftritte. Seine groteske 20-Sekunden-Ansprache in einer theaterreifen Kulisse, zwischen Ruinen, Autoteilen und einem Regenschirm ist dem Zuschauer noch präsent (man war überzeugt Ausschnitte einer Beckett-Inszenierung aus den 80er Jahren zu sehen), da legte er gestern bereits nach. Während sein Land auseinanderbricht, erklärt der Mann mit der Neigung zur Fanatsieuniform in einem Gespräch mit dem amerikanischen Fernsehsender ABC in aller Seelenruhe, dass sein Volk ihn liebe und bereit sei, für ihn zu sterben. Derartige Äußerungen in einem von Bürgerkriegsszenen erschütterten Land, dürften bestenfalls noch als Anschauungsmaterial für Studenten der Psychopathologie dienen.

Aber die Bizarrerien der arabischen Herrscher sind längst noch nicht alle bekannt. Unser Revolutionsfilm ist erst in Teilen erzählt. Und den Wikileaks-Depeschen kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie sind zwar nicht der Plotkicker, jenes Ereignis, das eine Geschichte in Gang bringt. Aber sie haben die elementare Funktion, uns die Background-Storys zu erzählen. Denn so wie jede gute Drehbuchfigur eine Geschichte hat, die weit über die erzählte Zeit des Films hinausgeht, so haben auch die arabischen Herrscher jeweils eine Geschichte, die weit über die aktuelle Umsturzsituation hinausgeht. Und diese Geschichten legen uns die US-Depeschen dar, die Wikileaks wohl dosiert veröffentlicht. Es sind Geschichten aus jener Zeit, in denen die Diktatoren der arabischen Welt noch Staatsmänner waren, mit denen man gute Geschäfte machen konnte.

Die Background-Geschichten erzählen uns das, was die Diplomaten, Dienste und dementsprechend jene Politiker des Westens, die sich jetzt mit Abscheu distanzieren, schon seit Jahren wussten. Ob es nun Bahrains Kronprinz ist, über den durch Wikileaks-Depeschen unlängst bekannt wurde, dass er sich nicht gerade als Fan der Demokratie versteht (by the way: so hübsch codiert, kommt ein autoritärer Anspruch selten daher). Oder unsere Buddys aus Saudi Arabien, die überraschender Weise doch nicht das sind, was man lupenreine Demokraten nennen könnte. Das Maß an Rücksichtslosigkeit, Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit entspricht wohl dann doch eher dem, was es ist – einer absolutistischen Monarchie. Und sie sind es, auf die wir jetzt unsere Hoffnungen setzen. Zumindest was die stabile Versorgung des Westens mit Erdöl angeht, da der Kollege Größenwahn aus Tripolis sich erstmal für einen blutigen Kampf gegen sein eigenes Volk entschieden hat.

Bleibt nur noch die Frage, um was für eine Art Film es sich handelt. Komödie und Liebesfilm scheiden aus. Kommen nur noch Groteske, Drama und Tragödie in Betracht. Sie haben die freie Wahl.

 

Kurz und klein (4): Assange-Chat, Open Channel und Wikileaks-Teetassen

+++Assange-Chat+++

Die Entscheidung des britischen Gerichts war noch ganz frisch. Julian Assanges Auslieferung nach Schweden wurde für zulässig erklärt. Da chattete der Wikileaks-Gründer bereits live mit der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet. Das englische Transkript des Chats gibt es bei WLCentral. Unter anderem wurde er gefragt, wie er mit der Gerichtsentscheidung umgehen wird, ob er sich als Freiheitskämpfer definiert, welche weiteren Veröffentlichungen bevorstehen, inwieweit er sich und Wikileaks in die arabischen Aufstände involviert sieht. Assange beteuerte seine Sorge vor einer Auslieferung an die USA und wiederholt: Wikileaks wird weiter existieren, auch wenn er persönlich an seiner Arbeit gehindert werden sollte.

Assange hat sich aber natürlich nicht nur in Chats, sondern auch vor den Kameras der Weltöffentlichkeit geäußert und klar gestellt, dass er die Entscheidung nicht akzeptieren werde:


Unterdessen hat der britische Telegraph noch eine ganz praktische Timeline der Vorwürfe zusammengestellt. Wann Assange was wo und wie verbrochen haben soll. Angeblich jedenfalls.

Auch empfehlenswert in diesem Kontext: Der Blogger und Rechtsanwalt Glenn Greenwald von Salon.com äußerte sich bei Democracy Now! zur Gerichtsentscheidung. Democracy Now! ist das US-Politmagazin im nicht kommerziellen Rundfunk.  Der Talk mit Greenwald beginnt etwa ab Minute 14. Es geht allerdings nicht nur um die Entscheidung zur Auslieferung, sondern auch um den HBGary-Skandal, den wir hier schon unter dem Titel Guerillakrieg im Netz diskutiert haben.

+++Open Channel+++

Die Zahl der Whistleblowing-Portale wächst weiter. New York Times und Spiegel denken über eigene Angebote nach. WAZ und Al Jazeera haben unlängst eigene Seiten gestartet. Jetzt hat auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC nachgelegt.

Mit Open Channel auf msnbc.com ist eine weitere Whistleblowingstruktur eines großen Medienhauses am Markt. Unser Whistleblowing-Index der letzten Woche, mit einer aktuellen Übersicht aller verfügbaren Angebote, wird es hier in Kürze als Update geben.

+++Wikileaks-Teetassen+++

Vor wenigen Tagen ging die Tabelle mit den erfolgreichsten europäischen Fußballclubs rum. Vorne lagen erwartungsgemäß der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United und der FC Bayern München. Es ging allerdings nicht um Tore und Punkte, sondern um Merchandising, also den Verkauf von Clubdevotionalien wie Trikots, Schals, Bettwäsche mit Vereinslogo oder Wimpeln für den Autospiegel. Die Vereine verkaufen ihre Stangenware mittlerweile von Ecuador bis Iserlohn, von Bangkok bis Bernau. Und machen damit jede Menge Geld.

Auch Wikileaks ist jetzt in das Merchandising Business eingestiegen. Nachdem es ja bereits wiederholt Mutmaßungen über eine finanzielle Misere bei Wikileaks gab, scheint man sich neue Ertragsfelder erschließen zu wollen. Ab sofort gibt es die Revolution also hautnah. Der Subversive von Welt kann im Wikileaks-T-Shirts joggen gehen oder aus Teetassen mit Assange-Konterfei Tee Marke Umsturz Second Flash oder Earl Grey als Top Secret Mischung trinken.

 

Die Familie des Diktators

Die Lage in Libyen eskaliert. Der seit Jahrzehnten herrschenden Diktator Muammar al-Gadahfi verliert die Kontrolle. In Tripolis und anderswo brennen Regierungsgebäude. Einer der vielen Söhne des Diktators droht im Staatsfernsehen mit einem Kampf bis zum letzten Mann.

Der britische Guardian hat nun zahlreiche Depeschen zusammengestellt, die einen Einblick in die Diktatorenfamilie Gadahfi geben. Wer nach Abgründen sucht, ist hier richtig. Allen sei noch mal in Erinnerung gebracht, dass die EU-Staaten noch vor Tagen mit dem libyschen Staat über die sogenannte Flüchtlingsproblematik verhandelten. Man hatte dem Herrscher weitere Millionen bereit stellen wollen. Ihr Verwendungszweck: Das Wegfischen von afrikanischen Flüchtlingen auf ihrem Seeweg nach Europa.

Heute Abend wurden offenbar Demonstranten aus Flugzeugen beschossen. Die Europäische Union diskutierte gleichzeitig Sanktionen. Eine Entscheidung gab es nicht.

 

Wikileaks ist tot! Es lebe das Whistleblowing

Vor wenigen Wochen machte ein Kondom die Runde. Es war ganz offenbar gebraucht. Jemand hatte es dennoch aufbewahrt. Später wurde es dann fotografiert, jetzt ist es ein Beweisstück und zirkuliert durch die Presse. Weltweit. Eine eher seltene Karriere für ein Präservativ. Aber die sexuellen Praktiken eines gewissen Julian Assange machen es möglich.

Weltberühmtes Kondom

Soweit kolportiert wurde, soll jener Julian Assange dieses Kondom vorsätzlich beschädigt haben, um einen gefühlsechteren Geschlechtsverkehr ausüben zu können. Was, so wurde weiter kolportiert, nicht ganz im Sinne der temporären Partnerin war.

Ein Drama biblischen Ausmaßes jedenfalls, das sich da vor wenigen Monaten in Schweden ereignete. Vollkommen klar, dass umgehend Titelseiten freigeräumt wurden. Was könnte es Wichtigeres geben, als über jenes shakespear’sche Dramoulette zu berichten?

Und der Mann mit dem zerrissenen Kondom spielte mit, bediente die Mechanismen des Boulevards, schwadronierte von einer Einkerkerung in Guantanamo oder gleich von der drohenden Exekution durch die US-Regierung.

Soweit, so uninteressant. Angereichert von Insiderauskünften, die die Ränkespiele des ehemaligen Zweimann-Betriebs Wikileaks in ein neues Licht rücken wollen, lenkt dieses Boulevardgetöse nur noch ab.

Es ist längst an der Zeit, wichtigere Fragen zu diskutieren. Wird es eine dauerhafte Whistleblowingkultur geben? Was kommt nach Wikileaks? Welche Erben sind in Sicht? Was wird sie von Wikileaks unterscheiden? Können sie dazu beitragen, eine lokale oder regionale, eine nationale oder internationale Leakingkultur zu etablieren? Welche Gefahren drohen? Wie stellen die unterschiedlichen Plattformen den wichtigen Quellenschutz sicher? Wer trennt bedeutende Dokumente, die auf politische oder wirtschaftliche Verbrechen hinweisen von hinterhältigen Denunziationen?

In den nächsten Wochen werden hier ausgewählte Plattformen ausführlicher vorgestellt. Hier schon mal eine erste Übersicht.

Eine herausragende Bedeutung kommt natürlich OpenLeaks.org zu. Allein schon weil das Portal des Wikileaks-Dissidenten Daniel Domscheit-Berg momentan internationale Aufmerksamkeit erfährt. Es unterscheidet sich in seinem Ansatz fundamental von Wikileaks, da es keine eigenständige Publikation der eingehenden Whistleblowing-Dokumente beabsichtigt. OpenLeaks versteht sich als Mittler zwischen Geheimnisverrätern und anderen Organisationen – von Menschenrechtsgruppen über Gewerkschaften bis hin zu konventionellen Medien. Die Organisationen können sich bei OpenLeaks akkreditieren. Der Whistleblower kann im Gegenzug nicht nur Dokumente anonym hinterlegen, sondern auch Wünsche äußern, welcher Organisation seine Dokumente zuerst zugehen sollen.

Auch die Transparency-Unit des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera wurde in den vergangenen Wochen international bekannt. Gemeinsam mit dem britischen Guardian hatte die Transparency Unit geheime Dokumente der Nahost-Friedensverhandlungen veröffentlicht. Überraschende Verhandlungspositionen und -strategien der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde kamen ans Licht. Al Jazeera ist der bisher eindeutigste Beleg für Aktivitäten größerer Medien auf dem Gebiet des Whistlebowings.
Die New York Times und der Spiegel sollen jedoch ebenfalls über eigene Whistleblowingstrukturen nachdenken.

Einen Schritt weiter ist da bereits die WAZ-Mediengruppe mir ihrem Angebot derwesten-recherche.org. Das Angebot zielt vor allem auf die Verbreitungsregion der meisten WAZ-Zeitungen in Nordrhein-Westfalen. Ein attraktiver Ansatz, da viele Informationen oft nur eine regionale Relevanz besitzen und bei einem weltweiten Player wie Wikileaks unter Umständen untergehen würden.

Lokales Leaken ist auch das Thema der Seite BayernLeaks.de. Auch Brusselsleaks.com verfolgt den Ansatz einer regionalen Spezifizierung – allerdings im weltpolitischen Maßstab. Die Seite will sich auf Themen der europäischen Union fokussieren.

Portale wie RuLeaks, TuniLeaks, BalkanLeaks, KanariLeaks und IndoLeaks sind ebenfalls auf Regionen oder Länder spezialisiert. Allerdings beschränken sie sich teilweise auf die Auswertung bekannter Dokumente wie etwa bereits veröffentlichte US-Botschaftsdepeschen.

Einen ganz anderen thematischen Kontext bedient dagegen die Seite GreenLeaks. Dokumente, die Umweltzerstörungen oder Klimagefährdungen belegen, sollen auf GreenLeaks publiziert werden können.

Bleiben noch Portale mit einem breiteren Profil. Zum einen das bereits seit einigen Jahren existierende Cryptome.org. Die Macher von Cryptome arbeiteten anfangs mit Julian Assange zusammen, distanzierten sich dann aber nach diversen Konflikten. Bekanntheit erlangte Cryptome unter anderem mit der Veröffentlichung geheimer MI6-Dokumente.
Ebenfalls ohne thematische Spezifizierung arbeitet das Portal GlobaLeaks.

Neben den originären Leakingsportalen gibt es eine ganze Reihe weiterer Portale und Blogs, die im Umfeld von Wikileaks und Co arbeiten. Crowdleak.net gehört zu den bekanntesten Beispielen. Hier soll die Crowd nach unentdeckten News in bekannten Leaking-Dokumenten recherchieren. Auch die Depeschensuchmaschine Cablegatesearch.net will die Schwarmintelligenz nutzen, um die Auswertung der Depeschen ertragreicher zu gestalten.
Seiten wie WLcentral.org oder Leaknews.de verstehen sich dagegen eher als Nachrichtenseiten zu Whistleblowingthemen.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das deutsche Whistleblowing-Netzwerk. Theorie und Praxis des Leakens werden dort umfangreich diskutiert.

Natürlich gibt es mittlerweile auch haufenweise Onlinespiele und jede Menge Trash mit Unterhaltungswert zum Thema Whistleblowing im Netz. Dazu in Kürze mehr.

Bleibt am Schluss noch ein erstes Zwischenfazit. Die Vielzahl entstehender Portale deutet auf wachsende Relevanz des Whistleblowings hin. Den Beleg ihrer Bedeutung sind alle Portale noch schuldig. Viele Fragen sind dagegen noch offen. Hat Wikileaks dem Thema Whistleblowing zum Durchbruch verholfen? Oder werden sich Staaten und Unternehmen zukünftig noch massiver schützen? Und – wer ist er eigentlich, der Whistleblower und was sind seine Motive?

Antworten und Ergänzungen gerne und jederzeit!

 

Kurz und klein (2): Beleidigte, Gefürchtete, Verhörte, Zaudernde

+++Beleidigte+++

Die Liebe war intensiv, aber schon damals nicht ohne Probleme. Jetzt ist sie erloschen und die Verschmähten schmähen einander.

So muss man die mittlerweile erkaltete Beziehung zwischen Wikileaks und den ehedem exklusiv berichtenden Medien New York Times und The Guardian beschreiben. Bill Keller, Chefredakteur der New York Times hatte erst vor wenigen Tagen in einem längeren Essay mit Wikileaks-Gründer Assange abgerechnet. Der Guardian brachte am Wochenende den Netzkritiker Evgeny Morozov in Stellung, um die Bedeutung von Wikileaks zu relativieren. Auch Ian Katz, Deputy Editor des Guardian, breitete am Samstag seine Version der beendeten Kooperation aus. Sensationeller Weise verwies er ausführlich auf die Bedeutung der journalistische Kompetenz des Guardian und seiner Partner, ohne die die publizistischen Erdstöße des letzten Jahres nicht denkbar gewesen wären. In ihrem Artikel Übernachtet und unrasiert beschreibt ZEIT-Autorin Khue Pham übrigens ausführlich, wie die Redakteure der ehemals exklusiven Medienpartner nun in Büchern ihre Versionen der Wikileaks-Saga erzählen.

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Daten sind Revolutionäre

Es ist ein evolutionärer Sprung. Aus den Ökonischen des Netzes, in denen Nerds, Wissenschaftler und einige versprengte Journalisten versuchten, der Öffentlichkeit jahrelang klar zu machen, dass es sich beim Datenjournalismus nicht um eine neuartige Form der Datenpoesie oder lyrischen Code-Exegese handelt, hat sich der Datenjournalismus innerhalb eines Jahres auf die Titelseiten der Weltpresse katapultiert. Zwar wurde er dort nicht immer explizit thematisiert. Aber ohne die Konzepte des Datenjournalismus, ohne die rechnergestützte systematische Auswertung maschinenlesbarer Daten und ihre anschließende Darstellung in Infografiken, wären die journalistischen Großgeschichten über die Afghanistan-Protokolle, die Iraq-Logs oder die US-Botschaftsdepeschen nicht möglich gewesen.

Aber fangen wir erstmal mit dem Ende an. „Manchmal reden die Leute darüber, dass das Internet den Journalismus abschaffen wird.“ schreibt Simon Rogers in seinem aktuellen Resümee auf dem Data Blog des Guardian. „Die Wikileaks-Story war eine Kombination von beidem: traditionelle journalistische Kompetenzen und die Möglichkeiten der Technologie. Ein Gespann um erstaunliche Geschichte zu erzählen. In Zukunft wird Datenjournalismus vielleicht nicht mehr so überraschend und neu sein. Jetzt aber ist er es. Denn die Welt hat sich verändert und es waren die Daten, die sie verändert haben.“

Auch wenn die Grafiken und Karten bereits bekannt sind, die Simon Rogers noch einmal zusammengestellt hat, sind manche Darstellungen weiterhin erschütternd. Hier findet man eine Übersicht weiterer Infografiken des Guardian. Besonders empfehlenswert ist eine ausführliche Beschäftigung mit den Karten. Denn nach ihrer Ansicht ist eines klar: Daten sind der Treibstoff der Revolutionen im 21. Jahrhundert – zumindest im Journalismus.

P.S.: Umfassend informiert übrigens auch das Open Data Blog von Lorenz Matzat auf ZEIT ONLINE über die aktuellen Entwicklungen des Datenjournalismus.

 

Selbstverteidigung

Der Mann hinter Wikileaks. Das ist der Titel der aktuellen 60 Minutes Ausgabe des amerikanischen TV-Senders CBS. Eine Stunde diskutierte Steve Kroft mit Julian Assange.

Den hatte in der zurückliegenden Woche Bill Keller, Chefredakteur der New York Times, in einem ausführlichen Portrait massiv kritisiert. Er sei “schwer zu fassen, manipulierend und unberechenbar“. Jetzt hatte Assange Gelegenheit, seine Version dieser und anderer Geschichten zu erzählen.

Update: Und hier noch David Leigh and Luke Harding sowie Alan Rusbridger vom britischen Guardian über ihr Buch Wikileaks – Inside Julian Assange’s War on Secrecy.

 

Hacker die Faxe nach Kairo schicken und ein Crowdsourcingexperiment

In Kairo spitzt sich die Lage zu. Nach Tunesien bahnt sich in Ägypten die nächste Revolution an. Während parallel noch eine netztheoretische Debatte läuft, die versucht, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung Facebook, Twitter und Wikileaks im Zuge der aktuellen Umstürze und Unruhen im Maghreb zukommt.

In Ägypten kann diese Frage aktuell nicht mehr beantwortet werden. Dort schalteten die Machthaber Internet und Mobilfunknetze in dieser Woche ab. Die Proteste jedoch gehen weiter, denn die Zahl der Protestierenden hatte sich bereits vor der Abschaltung zu einer kritischen Masse gesteigert. Gleichzeitig erhalten die Demonstranten weiterhin Unterstützung von diversen Netzaktivisten, wie Andy Greenberg auf seinem Blog The Firewall berichtet.
Die Hackergruppe Anonymous und die Aktivisten von Telecomix.org haben sich einen ganz und gar analogen Kommunikationskanal gesucht, um die Demonstranten in Ägypten zu unterstützen. Seit der Abschaltung des Netzes faxen die Hacker massenhaft Depeschen nach Kairo, Suez, Alexandria und in andere ägyptische Städte. Es handelt sich um Depeschen, die über das Regime in Kairo informieren sollen.

Mit diesen US-Depeschen beschäftigt sich auch die Washington Post, allerdings auf eine ganz andere Art. Sie hat gerade ein Crowdsourcingexperiment gestartet. Leser sind aufgefordert, zahlreiche Depeschen der US-Botschaft in Kairo auszuwerten. Vielleicht ein Pilotprojekt der Washington Post. Denn nach dem Bruch zwischen New York Times und Julian Assange könnte die Washington Post perspektivisch zum US-Partner von Wikileaks werden.