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Kurz und klein (8): Osama, Atomkraft, Urheberrecht

+++Osama+++
Skrupel gibt es keine. Der Erfolg des Tötungskommandos wird bejubelt. Eine Selbstverständlichkeit. Menschenrechte und internationale Gerichtshöfe gehören in manchen Fällen offenbar zur Völkerrechtsfolklore. Mehr nicht. Während wir uns noch etwas verwundert die Augen reiben, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Spitzenpolitiker der sogenannten zivilisierten Welt die gezielte Tötung mit einem Gefühl der Erleichterung empfinden oder von einem Tag der Genugtuung sprechen, berichtet der britische Telegraph, dass der meistgesuchte Terrorist offenbar unter dem Schutz pakistanischer Sicherheitskräfte stand. Immer wenn US-Kommandos ihm zu nahe kamen, scheint der US-Staatsfeind Nummer 1 einen Tipp aus pakistanischen Sicherheitskreisen bekommen zu haben. Das jedenfalls legen US-Botschaftsdepeschen nahe, die WikiLeaks veröffentlichte. Wer solche Freunde im Kampf gegen den Terror hat, braucht keine Feinde.

+++Atomkraft+++
Während sich das Portal für Leaks im Ökobereich, GreenLeaks.com, noch vor wenigen Wochen mit einem Leak zu den juristischen Fragen rund um den Schwenk der Bundesregierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima und dessen Auswirkungen auf das deutsche Wettbewerbsrecht beschränken musste (Stichworte gesetzliche Grundlage, Laufzeitverlängerung), landete die Schweizer WOZ, Die Wochenzeitung, jetzt einen richtigen Coup.
Unter dem Vorwand möglicher Terror- oder Sabotageakte hatten die zuständigen Behörden in der Schweiz, Atomkraftgegnern lange die Einsicht in diverse Akten zu dem umstrittenen Atomkraftwerk Mühleberg verweigert. Nun leakte die WOZ (in etwa die schweizerische Entsprechung der deutschen taz als Wochenzeitung) ihr zugespielte Dokumente (Link zum PDF), die die fragwürdigen Zustände im AKW dokumentieren.

+++Urheberrecht+++
Intellectual Property Action Plan. So nannten einige US-Diplomaten 2007 ein Strategiepapier, mit dem sie die aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustände im Nachbarland Kanada ändern wollten. Es ging um das Urheberrecht und dessen vermeintlich zu nachlässige Handhabung beim nördlichen Nachbarn. In ihren Klagen waren die Diplomaten nicht zimperlich und sorgten schon mal dafür, dass Kanada zwischenzeitlich auf der sogenannten Special 301 Liste landete. Eine Art Achse des Bösen in Sachen Copyright. Das berichtet aktuell Ars Technica und verweist auf diverse frisch publizierte Depeschen durch WikiLeaks.

 

Der Jesus von Guantànamo

Er hat nur eine entfernte Ähnlichkeit. Vollbart und langes Haar. Mehr nicht. Er ist deutlich kräftiger als Jesus von Nazareth. Als bekennender Moslem hat er ein anderes Glaubensbekenntnis. Und er lebt in Bremen, nicht in Palästina. Aber dennoch könnte auch er zur Symbolfigur werden. Mehr noch als er es bereits heute ist.

Der in Bremen geborene Türke Murat Kurnaz saß jahrelang unschuldig in Guantànamo. Sein Sicherheitsstufe war die höchste. Grundlage der Einkerkerung waren fragwürdige Reisebewegungen und Aufenthalte in Pakistan. Im Jahr der al Qaida-Anschläge auf das World Trade Center. Sonst nichts.

Die von der New York Times hervorragend aufbereiteten Guantànamo-Files liefern einen tiefen Einblick in die brüchigen Einschätzungen der Inhaftierten durch den amerikanischen Verfolgungsapparat. Und sie liefern das Anschauungsmaterial für ein in sich selbst zurückgekrümmtes System, bestehend aus Paranoia, Folter und eines gut funktionierenden Selbstbestätigungsmechanismus. Denn die Akte Kurnaz belegt eines eindeutig: Der Verdächtige war ganz offenbar nie mehr als ein Verdächtiger und selbst der Verdacht scheint konstruiert gewesen zu sein. Beweise gab es nicht. Lediglich die Aussage des Mitinhaftierten Mohammed al-Qahtani hatte kurzzeitig den Anschein eines Belegs. In Verhören hatte der ebenfalls inhaftierte Kombattant bestätigt, Murat Kurnaz in Tora Bora 2001 als al Qaida-Kämpfer gesehen zu haben. Doch der Anschein hielt nicht lang. Die Verhörergebnisse waren unter Folter entstanden. Vermutlich hätte Mohammed al-Qahtani auch Prinz Charles oder Lady Gaga in Tora Bora indentifiziert, um sich selbst von Water-Boarding und anderen in Guantànamo üblichen Freizeitbeschäftigungen zu erlösen.

Dass es keinerlei Beweise für eine Verbindung von Murat Kurnaz zur al Qaida gab, stellte die US-Richterin Joyce Hens Green bereit im Januar 2005 fest. Entlassen wurde Kurnaz im August 2006. Auch alle Verfahren deutscher Behörden sind längst eingestellt.

Zwar gab es mittlerweile zahlreiche Medienberichte über die Willkür, mit der amerikanische Behörden, das amerikanische Militär und die amerikanische Gefängnisleitung in Guantànamo vermeintliche Kombattanten inhaftierten und folterten, doch scheint es, als könne die Debatte noch weitere Symbolfiguren brauchen. Denn die Zustände in Guantànamo sind weiterhin unerträglich. Eine Schließung ist nicht absehbar.

Und jeder weitere Tag unterminiert die Glaubwürdigkeit der USA und des gesamten Westens weiter. Natürlich geht es in erster Linie um die Wiederherstellung der Menschenwürde grundlos Inhaftierter. Aber auch aus politischem Eigennutz müssen sich die Regierungen des Westens endlich noch deutlicher und noch lauter bei Obama für die Schließung des Guantànamos einzusetzen.

Amen.

 

Das letzte Lebenszeichen? WikiLeaks und die Guantànamo-Files

Totgesagte leben länger. Angeblich. WikiLeaks jedenfalls hat sich mit einem Lebenszeichen der heftigeren Art zurückgemeldet. Die gerade veröffentlichten Guantànamo-Dokumente sind jedenfalls der berühmte Paukenschlag, mit dem nicht mehr jeder Beobachter der Szene gerechnet hatte. Die Wucht der Veröffentlichung reicht zwar nicht an die Beben heran, die die War-Logs und die US-Botschaftsdepeschen auslösten, aber sie treffen die amerikanische Administration empfindlich. Unschuldige und Kinder sollen im Militärgefängnis gesessen haben. Mit Wissen der Militärs. Der Druck auf Präsident Obama, sein Wahlversprechen, die Schließung Guantànamos doch noch zu halten, wird wieder wachsen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig. Und es ist ein Verdienst von WikiLeaks. Auch wenn WikiLeaks offenbar nicht ganz Herr der Lage war in den letzten Tagen. Denn die Veröffentlichung der Guantànamo-Dokumente durch die New York Times und den Guardian war nicht geplant. Jedenfalls beschuldigte WikiLeaks Daniel Domscheit-Berg, den WikiLeaks-Dissidenten und OpenLeaks-Gründer, gestern via Twitter, unbefugterweise Dokumente an die New York Times weitergegeben zu haben.

Aber trotz aller Unfreiwilligkeit, mit der WikiLeaks und Partner jetzt mit ihren Auswertungen der Dokumente an die Öffentlichkeit gehen mussten: WikiLeaks ist wieder in den Medien. Weltweit. Die Washington Post berichtet in ihren Auswertungen über die Strategien der Strategen des 11. September, der Guardian mahnt zur Skepsis und verweist darauf, dass viele Verhörergebnisse unter folterartigen Bedingungen entstanden sind, dass ein Verdächtiger auch schon mal für den britischen MI6 gearbeitet hatte und dass es nur eines verdammt schlechten Timings bedurfte, um schon mal als Terrorverdächtiger in Guantànamo zu landen. The Australian erklärt uns mal ganz nebenbei, dass al-Qaida eigentlich auch einen nuklearen Höllensturm zu entfesseln gedachte. Die New York Times beschäftigt sich mit den Konjunkturverläufen des Terrors nach den Attacken vom 11. September 2001. Alle sind sie wieder da. Und profitieren mit Seite-Eins-Geschichten von der Existenz der Leaking-Plattform.

Die Artikel sprechen vom Terror, von der schwer kalkulierbaren Größe al-Qaida, von der kompromittierten amerikanischen Regierung, und immer auch von WikiLeaks. Die Leaking-Plattform hat es wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Trotz defekter Leaking-Infrastruktur (denn der Uploadmechanismus liegt seit Monaten brach), trotz vielfacher Abgesänge, trotz wachsender Konkurrenz. Und sie hat demonstriert, wie wichtig das Leaken kritischer Dokumente ist. Denn jetzt besteht zum Beispiel wieder Hoffnung, dass die amerikanische Administration Guantànamo doch noch schließen wird und in absehbarer Zeit gezwungen ist, diesen finsteren Teil ihrer Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Die Bedeutung des Leakens jedenfalls ist ein weiteres Mal sichtbar geworden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht der letzte Coup war.

 

Die Allesfresser

Dass sie skrupulös sind, kann man ihnen nicht vorwerfen. Beim besten Willen nicht. Die Macher des amerikanischen Fernsehphänomens Fox-News nutzen alles, was ihnen und ihrer Mission hilft. Und diese Mission kennt nur ein Ziel. Den Angriff auf die liberale Regierung. Frontal, tendenziös, brutal, ehrlich. Hierzulande gibt es noch keinen Begriff, für diese Art des Informationstransports. Dort nennt man es Nachrichten. Und Fox-News nennt sich Nachrichtenkanal. Ganz ungeniert. Andere sprechen allerdings eher von der dunklen Seite der Comedy.

Im aktuellen Fall geht es um gerade veröffentlichten US-Depeschen der Botschaft in Damaskus. Wie die Washington Post berichtete, wurden ihr von WikiLeaks Botschaftsdepeschen aus Syrien zugespielt, die klar belegen, dass die US-Regierung seit Jahren Oppositionsgruppen in Syrien unterstützt. Das Groteske an dem Vorgang ist nun nicht, dass die US-Regierung die Versuche leugnet, auf diesem Weg die syrische Regierung stürzen zu wollen. Das Groteske ist, dass der vermeintliche Nachrichtensender Fox-News WikiLeaks zum Kronzeugen gegen die Regierung macht. Jenes Portal namens WikiLeaks, dessen Gründer man vor Kurzem noch zum Teufel, oder genauer gesagt zum Henker jagen wollte.

P.S.: Man weiß übrigens nicht ob es Ironie, Sarkasmus oder Naivität ist, aber WikiLeaks selbst macht das Ganze via Twitter auch noch zur eigenen Angelegenheit

 

Asymmetrische Rache

Gewaltige Wut. Tief sitzende Frustration. Anders ist die Heftigkeit nicht zu erklären. Nachdem WikiLeaks-Gründer Julian Assange juristisch nicht zu fassen war, richtete sich das Bedürfnis nach Vergeltung offenbar ausschließlich auf den mutmaßlichen WikiLeaks-Informanten. Anders sind die Eskalationen der US-Justiz und die wiederholten Verschärfungen der Haftbedingungen des ehemaligen Army-Gefreiten Bradley Manning nicht zu erklären.

Fast schon verzweifelt richtete Amnesty International gestern einen offenen Brief an US-Präsident Obama, um auf die untragbaren Zustände hinzuweisen. Die britische BBC stellt in einem langen Feature hartnäckig die Frage, ob Manning nicht schon längst vor Beginn des Prozesses vielfach bestraft ist.

Es scheint ganz so, als hätte sich die Weltmacht USA in Afghanistan und im Irak in asymmertrischen Kriegen verfangen und übertrage jetzt das Prinzip des Asymmetrie auf die eigene Strafverfolgung. In Guantanamo sitzen entrechtete Kombattanten und im Hochsicherheitstrakt eines Militärgefängnisses in Virginia sitzt der vermeintliche Whistleblower Manning. Er ist es, der als menschlicher Blitzableiter die aufgestauten Energien jetzt absorbieren muss. Etwas viel Asymmetrie für einen Rechtsstaat.

 

Kurz und klein (6): Krieg, Protest, Reaktor, Rücktritt

+++Krieg+++

Ist der Krieg in Libyen der erste WikiLeaks-Krieg der Geschichte? Der Papierform nach unterscheidet sich der Waffengang gegen Gadhafi zwar kaum von den Kriegen gegen die Taliban oder Saddam Hussein. Aber eines scheint völlig anders, die transparente Vorgehensweise der US-Regierung. Das jedenfalls ist die Meinung des amerikanischen Journalisten und Bloggers Tom Watson.

Die Gründe für seine steile Theorie sieht Watson überraschenderweise auch bei WikiLeaks. Eine Position, die maximalen Disktinktionsgewinn verspricht, aber nicht durch maximale Logik glänzt. In einem streitbaren Artikel legt er dar, dass es sich bei dem Militäreinsatz in Libyen aus ganz unterschiedichen Gründen um den ersten WikiLeaks-Krieg handelt. Nicht nur die libysche Bevölkerung, die, wie die aufbegehrenden Gesellschaften in Tunesien und Ägypten, aus den US-Depeschen Motive ihrer Proteste bezieht, sondern auch die libysche Führung mit ihrem irrwitzigen Führer Muammar al Gadhafi an der Spitze, hat die Konsequenzen aus den WikiLeaks-Veröffentlichungen gezogen.

Von Beginn an verzichtete der Gadhafi-Clan auf alle Kompromisse und verstärkte sofort nach dem Aufkommen der ersten Proteste die Repressionen. Nach dem Motto: Die Wahrheit über uns Schweinehunde ist sowieso bekannt, was sollen wir noch zimperlich sein. So habe man sich das Schicksal der Ben-Alis und Mubaraks ersparen wollen. Watson geht aber noch weiter, dieser Logik folgend, macht er WikiLeaks für die Eskalation der Gewalt mehr oder weniger mitverantwortlich.

Aber auch die amerikanische Regierung hat ihre Konsequenzen aus dem Cablegate-Desaster gezogen und eine strategische Kehrtwende vollzogen. Überraschend defensive und erstaunlich transparente versuche die US-Administration den Konflikt international abzusichern. So Watson in seinem Artikel.

Mit seiner kühnen Theorie denkt er, nach eigener Aussage, nur zu Ende, was Assange selbst noch vor wenigen Tagen ansprach. Die Bedeutung von Facebook und Twitter im Kontext der nordafrikanischen Revolutionen werde überschätzt, die von WikiLeaks hingegen weitgehend unterschätzt. Aber im Gegensatz zu Assange kommt Watson zu einem anderen Schluss: Der Libyen-Krieg ist bei ihm fast die zwingende Folge der WikiLeaks-Veröffentlichungen. Wenn die Depeschen diesen beanspruchten Anteil an den Unruhen haben, dann haben sie ihn auch an diesem neuen Krieg.

+++Protest+++

Weltweit kam es am zurückliegenden Wochenende zu Protestaktionen gegen die Haftbedingungen des ehemaligen Obergefreiten der US-Armee und mutmaßlichen Whistleblower, Bradley Manning. Das Protestbündnis Stand with Bradley hatte in etlichen Städten weltweit zu Demonstrationen aufgerufen.  In Washington kam es zu Protesten vor dem Weißen Haus. Unter anderem wurde dabei einer der berühmtesten Whistleblower der jüngeren Geschichte, Daniel Ellsberg, verhaftet. Ellsberg hatte in den 1970er Jahren für die Veröffentlichung der sogenannten Pentagon Papiere gesorgt. Sie dokumentierten die vorsätzliche Irreführung der amerikanischen Öffentlichkeit durch die US-Regierung während des Vietnamkriegs.

Die Proteste des Wochenendes richteten sich gegen die 22 Anklagepunkte und insbesondere die Haftbedingungen Mannings. Wir hatten mehrfach berichtet. Zu Demonstrationen kam es in zahlreichen Städten der USA zudem in Finnland, Groß Britannien und Österreich. In Deutschland dagegen gab es keine Veranstaltung. Bleibt nur die Frage warum?

+++Reaktoren+++

Es ist seit Tagen bekannt und kann doch nicht oft genug wiederholt werden. Wie WikiLeaks-Depeschen aus den Jahren 2006 und 2008 belegen, waren die Risiken, die Erdbeben für japanische Atomkraftwerke darstellen könnten, seit Jahren nachzulesen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Risiken für andere Atomkraftwerke außerhalb Japans mittlerweile nachgelesen wurden. Inklusive der nötigen Konsequenzen.

+++Rücktritt+++

Die Welt richtet ihre Augen nach Japan und Nordafrika. Über die Bedeutung der Wikileaks-Depeschen dort berichteten wir. Aber auch andernorts ist Cablegate noch immer Ausgangspunkt für lokale oder regionale Krisen. Das Verhältnis der USA zu Mexiko ist zuletzt wiederholt erschüttert worden, nachdem durch veröffentlichte Depeschen zuletzt bekannt geworden war, wie sich der US-Botschafter in Mexiko über die vermeintlich nachlässige Haltung der mexikanischen Behörden im Kampf gegen den organisierten Drogenhandel beschwert hatte. Jetzt musste der Botschafter seinen Posten räumen. Es ist nicht der erste Botschafter den WikiLeaks-Veröffentlichungen seinen Posten gekostet haben. Und es wird nicht der letzte sein.

 

Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Kurz und klein (4): Assange-Chat, Open Channel und Wikileaks-Teetassen

+++Assange-Chat+++

Die Entscheidung des britischen Gerichts war noch ganz frisch. Julian Assanges Auslieferung nach Schweden wurde für zulässig erklärt. Da chattete der Wikileaks-Gründer bereits live mit der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet. Das englische Transkript des Chats gibt es bei WLCentral. Unter anderem wurde er gefragt, wie er mit der Gerichtsentscheidung umgehen wird, ob er sich als Freiheitskämpfer definiert, welche weiteren Veröffentlichungen bevorstehen, inwieweit er sich und Wikileaks in die arabischen Aufstände involviert sieht. Assange beteuerte seine Sorge vor einer Auslieferung an die USA und wiederholt: Wikileaks wird weiter existieren, auch wenn er persönlich an seiner Arbeit gehindert werden sollte.

Assange hat sich aber natürlich nicht nur in Chats, sondern auch vor den Kameras der Weltöffentlichkeit geäußert und klar gestellt, dass er die Entscheidung nicht akzeptieren werde:


Unterdessen hat der britische Telegraph noch eine ganz praktische Timeline der Vorwürfe zusammengestellt. Wann Assange was wo und wie verbrochen haben soll. Angeblich jedenfalls.

Auch empfehlenswert in diesem Kontext: Der Blogger und Rechtsanwalt Glenn Greenwald von Salon.com äußerte sich bei Democracy Now! zur Gerichtsentscheidung. Democracy Now! ist das US-Politmagazin im nicht kommerziellen Rundfunk.  Der Talk mit Greenwald beginnt etwa ab Minute 14. Es geht allerdings nicht nur um die Entscheidung zur Auslieferung, sondern auch um den HBGary-Skandal, den wir hier schon unter dem Titel Guerillakrieg im Netz diskutiert haben.

+++Open Channel+++

Die Zahl der Whistleblowing-Portale wächst weiter. New York Times und Spiegel denken über eigene Angebote nach. WAZ und Al Jazeera haben unlängst eigene Seiten gestartet. Jetzt hat auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC nachgelegt.

Mit Open Channel auf msnbc.com ist eine weitere Whistleblowingstruktur eines großen Medienhauses am Markt. Unser Whistleblowing-Index der letzten Woche, mit einer aktuellen Übersicht aller verfügbaren Angebote, wird es hier in Kürze als Update geben.

+++Wikileaks-Teetassen+++

Vor wenigen Tagen ging die Tabelle mit den erfolgreichsten europäischen Fußballclubs rum. Vorne lagen erwartungsgemäß der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United und der FC Bayern München. Es ging allerdings nicht um Tore und Punkte, sondern um Merchandising, also den Verkauf von Clubdevotionalien wie Trikots, Schals, Bettwäsche mit Vereinslogo oder Wimpeln für den Autospiegel. Die Vereine verkaufen ihre Stangenware mittlerweile von Ecuador bis Iserlohn, von Bangkok bis Bernau. Und machen damit jede Menge Geld.

Auch Wikileaks ist jetzt in das Merchandising Business eingestiegen. Nachdem es ja bereits wiederholt Mutmaßungen über eine finanzielle Misere bei Wikileaks gab, scheint man sich neue Ertragsfelder erschließen zu wollen. Ab sofort gibt es die Revolution also hautnah. Der Subversive von Welt kann im Wikileaks-T-Shirts joggen gehen oder aus Teetassen mit Assange-Konterfei Tee Marke Umsturz Second Flash oder Earl Grey als Top Secret Mischung trinken.

 

Tage des Zorns

In Libyen ist für heute der Tag des Zorns ausgerufen. Inspiriert von den Umstürzen in Tunesien und Ägypten haben die Initiatoren via Internet zur Großdemonstration gegen den selbsternannten Revolutionsführer Muammar al-Gadhafi aufgerufen. Wer sich über die Gründe des Zorns in Libyen informieren will, kann hier in diversen Depeschen stöbern. Die Depeschensuchmaschine Cablegatesearch.net macht’s möglich.

Unter anderem erklärte diese Depesche, warum die Bevölkerung in Libyen in weiten Teilen frustriert ist. Allerdings kamen die Autoren 2009 noch zu dem Schluss, dass es der Bevölkerung vor allem um ökonomische Reformen geht und nicht um politische Veränderung. Es könnte sich dabei allerdings um einen gewaltigen Irrtum handeln, wie wir vielleicht in wenigen Wochen feststellen werden. Der Brotpreis war schon häufiger Auslöser von Aufständen.

Und momentan bebt ja die gesamte arabische Region vor dem Zorn der jungen, oft perspektivlosen Jugendlichen. Wie die Beispiele Tunesien, Ägypten und momentan Bahrain beweisen. Über die dortige Situation und die Einschätzung der US-Regierung gibt ein Blogartikel des amerikanischen Nachrichtensenders ABC Auskunft, der die entsprechenden Depeschen zusammengetragen hat. Der Titel: The Cozy US-Bahrain Relationship. In Bahrain ist es heute allerdings weniger gemütlich. Während eines Polizeieinsatzes gegen friedliche Demonstranten gab es in Bahrains Hauptstadt Manama mehrere Tote.

 

Guerillakrieg im Netz

Die Hacker-Bewegung Anonymous sorgte bereits mehrfach für Schlagzeilen. Mit diversen Hacker-Attacken wurden die Server von VISA, Mastercard und Amazon im Dezember lahmgelegt. Zuvor hatte die US-Regierung die Dienstleistungsanbieter genötigt, ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks zu beenden. Der anschließende Kniefall der Dienstleistungbranche, der ohne jede rechtliche Notwendigkeit erfolgte, wurde von Anonymous mit massiven DDOS-Angriffen beantwortet.

Jetzt startet die Gruppe anonymer Hacker offenbar ein eigenes Leakingprojekt. AnonLeaks heißt das Ganze und ist seit kurzem online. An AnonLeaks wird sich mit großer Sicherheit erneut eine Diskussion entzünden, die bereits am Wochenende hier geführt wurde, wenn auch in einem völlig anderen Zusammenhang. Wer darf wann was leaken? Denn die ersten Dokumente auf AnonLeaks sind keine klassischen Whistleblowerlieferungen. Anonymous gab bereits vor Tagen den Hack, also den digitalen Einbruch in die Mailserver der amerikanischen IT-Sicherheitsfirma HBGary bekannt. HBGary hatte in Zusammenarbeit mit dem FBI versucht, Akteure der Hacker-Gruppe Anonymous zu identifizieren. Jetzt holte Anonymous offenbar zum Gegenschlag aus. Auf AnonLeaks veröffentlichte die Hacker-Bewegung tausende Mails der Firma.