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Ein Himmel voller Schinken

Im Nördlinger Ries, der einzigartigen durch einen Kometeneinschlag entstandenen Landschaft zwischen Stuttgart, München und Nürnberg, betreibt Jockl Kaiser sein besterntes Restaurant „Meyers Keller“.
Das Ries ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Gebiet: Durch den gewaltigen Rumms vor vielen Millionen Jahren ist ein 500m tiefes Loch entstanden, einzelne Steine flogen bis zu 450km weit und alles Leben ringsum erlosch auf einen Schlag. Nachdem sich in der Vertiefung für zwei Millionen Jahre ein See bildete, versalzte und danach wieder verschwand, wurde später daraus eine fruchtbare und einzigartige Gegend mit unverwechselbarer Geologie, Fauna und Flora. Nahezu rund und flach, mitten in den Hügeln der fränkischen und der schwäbischen Alb. Dieser Kessel von mehr als zwanzig Kilometern Durchmesser ist heute an seinem Rand von Bäumen gesäumt und liegt immer noch mehr als hundert Meter tiefer als der Rest des gesamten Landstrichs.
Jockl ist, solange ich ihn kenne, ein wirklich unverbesserlicher Idealist. Getrieben von einem regelrechten Jagdfieber nach den besten Produkten, beseelt vom Drang alte und gefährdete Sorten und Arten zu erhalten, sucht er stets das Reine und Wahre. Er bekniet Bauern, ihm nach seinen Vorgaben Lebensmittel zu erzeugen und wird nicht müde, seine hehren Überzeugungen Tag für Tag gegen einfachere, leichtere, pragmatische Haltungen zu verteidigen. Das macht ihn manchmal unbequem und dafür bewundere ich ihn.
Sein elterlicher Betrieb, einst eine Brauerei, ist heute Sterne-Restaurant, Wirtshaus und Biergarten in einem. Die großen Kastanien im Garten hatten früher den Zweck die weit darunter liegenden Eiskeller schattig zu halten. Diese Eiskeller halten, heute auch ohne Eis, 12 Meter unter dem Biergarten das ganze Jahr über eine natürliche Temperatur von 12°C bei recht hoher Luftfeuchtigkeit. Das sind optimale Voraussetzungen zur Schinkenreife. Jockl hat sich den König der Schinken, den Culatello, zum Vorbild genommen um aus regionalem Fleisch ein absolutes Spitzenprodukt herzustellen. Dazu wird die Ober- und die Unterschale von schweren heimischen Sauen gesalzen und in einer Schweinsblase sorgfältig vernäht. Die Reife unter der Decke dauert zwei Jahre lang und an Gewicht bleibt gerade einmal die Hälfte übrig. Ungeräuchert, ungewürzt und bei seiner Herstellung lediglich sich selbst und den natürlichen Prozessen überlassen entsteht so der König der Schinken, dessen filigranes und vielschichtiges Aroma mit Worten nur unzureichend zu beschreiben ist.
Etliche Versuche waren notwendig um den richtigen Dreh herauszufinden. Die Abstimmung mit den Lebensmittelbehörden war aufwendig, doch von Erfolg gekrönt und Jockl hat unendlich viel Zeit, Geld und Energie darauf verwendet, sich und seinen Gästen den Traum vom Schinkenhimmel zu verwirklichen. Er ist nach Italien gereist, hat die theoretischen und praktischen Grundlagen studiert. Manches hat er übernommen, anderes verworfen oder verbessert. Er hat die Methode auf seine Produkte und seine Möglichkeiten übersetzt, hat gewagt und gewonnen.

Nach zwei Jahren Reife wird der Culatello abgenommen, von der Schnur befreit und für zwei Tage in Weißwein eingelegt, damit die steinhart getrocknete Blase aufweicht und entfernt werden kann. Aufgeschnitten wird sein Culatello auf einer alten Berkel, deren schweres und scharfes Messer hauchdünne und gleichmäßige Scheiben eher hobelt als schneidet. Ob auf Risotto oder einer Scheibe Graubrot, ob in Kombination mit Fisch, Fleisch oder auch pur: Des Kaisers Ärschchen (dt. Ubersetzung von Kaisers Culatello) ist eine Pionier-Leistung bei der Bearbeitung regionaler Produkte und ein mutmachender Beleg dafür, dass manchmal auch die Idealisten gewinnen.

 

Blick über die Schulter


Das Wirtshaus ist mein Zuhause schon solange ich zurückdenken kann. So war es mir vergönnt, gastronomische Entwicklungen über einen langen Zeitraum aus nächster Nähe verfolgen zu dürfen. Mir sind die großen Braten, die Schweinshaxen und Jägerschnitzel für ganze Heerscharen von Bustouristen im Gasthof Linde aus meinen Kindertagen noch in bester Erinnerung. Genauso wie die Murgtäler Jagdschüssel und die guten heißgeräucherten Buhlbacher Forellen aus der Lehrzeit. Gourmet-Teller mit „Etwas von Allem“ und gebratene Scampi mit Knoblauchspaghetti konnten in den späten 80igern durchaus als „contemporary“ bezeichnet werden. Kleine Kirsch- und Strauchtomaten haben die großen Holland-Tomaten verdrängt und die Dessert-Teller (min. 31cm Durchmesser!) wurden von Karambola und Tamarillo erobert, Zitronenmelisse zur Garnitur war obligatorisch. Meerrettich-Senfkruste auf Filetsteaks und Kartoffelkruste auf Zanderfilets (natürlich mit Schnittlauchsoße) waren hip.
Mitten in die einsetzende Regionalierungswelle, verbunden mit Rückbesinnung auf traditionelle (und übrigens zwangsläufig unzeitgemäße) Zubereitungen ist die Avantgarde der spanischen Küche gestürmt. Mit einer Mischung aus Spott und Ignoranz zuerst mit dem dämlichen Begriff Molekularküche belegt, hat dieser völlig neuartige Ansatz doch mittlerweile die gastronomische Landschaft dauerhaft und entscheidend geprägt. Espuma-Siphons und moderne Texturgeber finden sich auch in Landgasthöfen. Die Stars der Szene servieren lebende Ameisen und Shrimps, getrocknete Rentier-Penisse werden über Speisen gehobelt. Das sind sicher Extreme, aber sie stehen für eine Tendenz: Die Entwicklung und der Fortschritt in der Küche gehen weiter, junge und ehrgeizige Köche suchen ihren Weg.
Es stellt sich die Frage, wo die Reise nun hingeht. Während Pioniere der deutschen Gourmet-Szene (wie der legendäre Adalbert Schmitt, Gründer der Schweizer Stuben) Mitte der siebziger Jahre noch Gänseleber und Creme fraîche auf abenteuerlichen Wegen beschaffen mussten, so sorgt heute moderne Logistik für die ständige Verfügbarkeit bester Produkte.
Wie werden die Köche, wie werden die Verbraucher damit umgehen, dass der Warenkorb größer und bunter geworden ist? Wie wird mit dem handwerklichen Rüstzeug, das ohne Frage größer und umfangreicher geworden ist, zukünftig gearbeitet? Werden die Chancen genutzt? Ich bin gespannt.

 

Karpfen in Franken


In den fränkischen Dialekten wird das „r“ gern eindrucksvoll gerollt. Und in den Monaten mit einem „r“, also von September bis April, ist Karpfen-Saison in Nordbayern. Diese landwirtschaftlich geprägte Region ist jahreszeitlich getaktet und zum Herbst und zur Erntezeit gehören die Stoppelfelder, die Bäume voller Äpfel, Birnen und Zwetschgen und eben auch die Karpfen.
Ich bin nun nicht der Meinung, dass in einem Europa der offenen Grenzen alle zur Verwendung kommenden Lebensmittel ausschließlich rund um den Kirchturm wachsen müssen.
Auch den Begriff „Regionalküche“ als solches mag ich nicht. Zu oft wurde er prostituiert, wurde er von reaktionären Köchen als zeitgeistige Rechtfertigung für langweilige und einfallslose Angebotsgestaltung missbraucht. Das gehört für mich in die gleiche Kategorie wie der Aufdruck „ohne Gentechnik“ auf Schmelzkäse-Packungen.

Der Karpfen jedoch macht eine wirklich gute Figur in vielen Bereichen, die mir bei der Produkt-Beurteilung wichtig sind. Die Fische ernähren sich auf natürliche Weise in den Teichen, ihr Wachstum wird durch Zufütterung von Roggen und Weizen unterstützt. Die Transportwege sind kurz und die Fische frisch, denn in den guten Wirtshäusern werden die Karpfen erst unmittelbar vor der Zubereitung geschlachtet. Eine ordentliche Portion kostet im Wirtshaus ungefähr 10 Euro. In Franken gibt es jede Menge gute Adressen für Karpfen, meine beiden habe im „Ochsen“ in Rothenburg und bei „Oberle“ in Kosbach gegessen.

Bestimmt wird ein gebackener Karpfen und eine Halbe Bier es nicht in die Rezeptsammlung der Weight Watchers schaffen. Doch der Fisch selbst ist mager, er enthält nur ca 5% Fett und schmeckt auch „blau“. Der Karpfen wächst innerhalb von drei Jahren zur Schlachtreife. Es wäre wohl vermessen, ihm denselben Rang und dieselbe Grandezza zuzuschreiben wie einem hochwertigen Salzwasserfisch. Denn die Teiche sind flach und dadurch im Sommer oft recht warm und so klar wie der Atlantik sind sie auch nicht. Deshalb wird er einige Tage vor seiner Schlachtung nochmal in klarem Wasser gehältert, schmeckt danach sauber und rein.

Der Fisch wird vor dem Backen entweder durch einen Teig gezogen oder mit Semmelbröseln paniert. Dazu passt Endivien-, Feld- oder Kartoffelsalat. Und eine halbe Bier und hinterher ein Zwetschgenwasser.
Von der Zubereitung zuhause rate ich eher ab. Zum einen hängt sich selbst bei bestem Dunstabzug der Geruch in die Wohnung und zum anderen passt zu Karpfen, Bier und Zwetschgenwasser (jetzt hab ich aus Versehen den Salat vergessen) ganz wunderbar eine Wirtshaus-Atmosphäre mit klapperndem Besteck, klingenden Gläsern, fröhlichen Gesichtern und fröhlichem Gemurmel.

 

Drauf losgekocht

Bei fröhlichen Kochen unter Freunden war Fachwissen ebenso gefragt wie die Lust, mal etwas Neues auszuprobieren. So testeten 5 Jeunes Restaurateurs, wie die mitgebrachten und zubereiteten Wolfsbarsche schmeckten und brachten spontan verschiedene Gerichte auf die Teller. Den Loup als Cevice, mit Allgäuer Steinpilzen, im Salzteig gebacken, gegrillt mit Haut und ohne, dazu die üblichen Verdächtigen wie verschiedene Kresse, Paprika-Gel, Limetten-Mayonnaise usw.
Jeder kochte nach eigenem Gusto und die Ergebnisse waren so unterschiedlich wie die Köche. Dennoch waren wir uns relativ einig darüber, dass Aquafarming eine Notwendigkeit für den Erhalt der Wildbestände ist. Aber vielleicht gibt es Fische, die sich besser dafür eignen als Wolfsbarsch.

 

Amrumer Lamm

Eine Salzwiese ist ein eigenartiger und faszinierender Lebensraum. Bereits auf kleinster Fläche zeigt sich ein kraftstrotzender und vielfältiger Bewuchs, der sich offenbar bestens mit den wirklich rauen klimatischen Bedingungen arrangiert hat. Ein Potpourri von sattgrünen Pflanzen, durchsetzt mit bunten Blüten. Strandflieder, Strandastern, Portulak-Salzmelden, natürlich Queller, Sode und Strand-Wermut, Salz-Spärkling und Meersenf sind nur einige Vertreter einer üppigen Vegetation, die oftmals mit Schafen beweidet wird. Bereits beim Vorbeiradeln geht von diesem Stück intaktem Lebensraum eine regelrechte Faszination aus, die Luft ist geschwängert von Kräuterduft und Salz, kreischende Möwen und rauschende Brandung vermitteln Ursprünglichkeit und Romantik. Auf Amrum gehen die Dinge ihren Gang, die Insel bietet sich an für einen geschlossenen Kreislauf zur Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung von Schafen und Rindern.
Es scheint eine Art von friesischer Unaufgeregtheit zu geben, die sich auch im souveränen Umgang mit hochwertigen Lebensmitteln manifestiert. Es wird nicht besonders viel Tamtam um die Herkunft der Waren gemacht. Es erscheint vielmehr normal und natürlich, dass (für einen leicht höheren Preis) die Butter und Milch von den Halligen, die Eier aus Föhr und der Käse von der Festlandküste kommen. Die Qualität der Produkte ist bemerkenswert gut und entspricht überhaupt nicht dem Vorurteil, dass Genuss in Süddeutschland größer geschrieben würde als im Norden der Republik. Einer der besten Botschafter dieser Köstlichkeiten ist Johannes King vom Söl´ring Hof in Rantum, der sich für Feinheimisch einsetzt.

Der wöchentliche Rhythmus, in dem Helge Dethlefsen aus Nebel seine Lämmer schlachtet, kommt mir sehr entgegen. So kann ich eine abgehangene, gut gereifte Lammkeule aus der Vorwoche erstehen und dazu tagesfrische Innereien. Schade, dass diese sonst nur als Hundefutter verkauft werden… Die Keule habe ich ausgelöst, zugeschnitten und alle Teile außer der Haxe in kleine Steaks von jeweils ca. 70g geschnitten. Das Fleisch ist mürbe, trocken und saftig zugleich, von marzipanartiger Struktur. Ich habe es mit griechischem Joghurt, Bohnenkraut, weißem Pfeffer, Zwiebeln und Knoblauch noch einige Stunden mariniert. Die Innereien wurden in walnussgroße Stücke geschnitten, dann mit Paprika, Zwiebeln und Speck zu kleinen Schaschliks gespießt. Beides wurde anschließend auf Holzkohle gegrillt und sorgte für manchen Zungenschnalzer.
In meiner kulinarischen Welt lege ich größeren Wert auf Produktqualität als auf Regionalität. Aus diesem Grundsatz leitet sich manche, zugegebenermaßen technokratisch geprägte Sichtweise zu Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln ab. Ich erlaube mir gerne und mit gutem Grund amerikanisches Rindfleisch zu verarbeiten. Doch wenn mit Tradition und mit Fleiß, mit Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit alles so gut zusammenpasst, wie es hier der Fall ist, dann ist Amrum zumindest in dieser Hinsicht eine Insel der Glückseligen. Und darauf gilt es gut aufzupassen!

 

Welcher Fisch gehört in die Pfanne?

Heiß zur Sache ging es im historischen Schäfersaal zu Rothenburg. Draußen herrschten hochsommerliche Temperaturen, drinnen brutzelten die Fische in der Pfanne und 5 Jeunes Restaurateurs führten hitzige Debatten über Fischzucht und über Fischfang. Michael Philipp, Peter Strauß, Erich Schwingshackl, Jürgen Koch und ich hatten etliche Wolfsbarsche mitgebracht. Ein Vergleich sollte zeigen, ob wild gefangene Tiere wesentlich anders schmecken als gezüchtete.
Es sollte kein wissenschaftlich angelegter Vergleich werden, denn zu viele Fehlerquellen wären bereits vorprogrammiert: So sind die gezüchteten Tiere in der Regel doch wesentlich kleiner als ihre wild gefangenen Pendants. Bei den wilden wiederum ist zu unterscheiden, ob sie im Netz oder mit der Ligne gefangen wurden. Fische aus dem Mittelmeer schmecken potentiell anders als solche aus dem Atlantik usw.
Vielmehr sollte ein ungeplantes und spontanes Draufloskochen uns zeigen, welcher Koch aus welchem Fisch welches Gericht zubereitet und wir waren gespannt, ob uns so eine Jam Session auch zu brauchbaren Ergebnissen führen könnte. Um es vorweg zu nehmen: sie konnte.
Es gab den Loup als Cevice, mit Allgäuer Steinpilzen, im Salzteig gebacken, gegrillt mit Haut und ohne, dazu die üblichen Verdächtigen wie verschiedene Kresse, Paprika-Gel, Limetten-Mayonnaise usw.

Gewürzt war dieses Treffen mit jeder Menge freundschaftlichem Spaß und Kameradschaft und mein persönliches Fazit in fachlicher Hinsicht mag ich so beschreiben:
Aqua Farming mag eine geeignete Methode sein, um den Hunger der Menschheit nach Fisch zu stillen. Moderne Fischzuchten arbeiten ohne Antibiotika und verfüttern Pellets, die wiederum aus anderen Fischen hergestellt werden. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Fischbestände zur Futterpellets-Herstellung auch gefährdet sind. Wenn sie es nicht sind, halte ich Fischzucht für eine gute Alternative zum Fang. Allerdings folgt m.E. die Zucht von Wolfsbarsch ganz einfach dem Verbraucherwunsch nach einem in Mode geratenen Fisch, den vor zwanzig Jahren hier noch kaum jemand kannte. Ich habe schon gezüchteten Fisch weit besserer Qualität probiert als die Loups in unserem Versuch. Weißer Heilbutt, Eismeer-Forelle, Kabeljau und durchaus auch Lachs hoher Güte haben mir dabei viel besser gefallen. Der Loup mit 3,5 kg den ich dabei hatte, der hat mich fast 200 Euro gekostet. Anfänglich habe ich mich über den Preis geärgert. Aber im Nachhinein finde ich es prima, dass es jetzt vielleicht doch die Gesetze des Marktes sind, die den verbliebenen Prachtexemplaren in den Weiten der Meere ein bisserl Ruhe verschaffen.
Von unserem Treffen haben wir einen Film gemacht, der wird gerade geschnitten. Wenn er fertig ist, stelle ich ihn hier ein.

 

Wildfang oder Zucht?


Die Meere sind überfischt und sicher schwimmen mittlerweile weniger Fische darin, als Mutter Natur das vorgesehen hat. Der eine sucht die Rettung in Fish-Farming, der andere tröstet sich damit, dass es bestimmte Bestände gibt, die noch ausreichend Potential für gewerblichen Fischfang bieten ohne dadurch gefährdet zu sein. Diejenigen, die auf Aqua-Kulturen stehen, betonen gerne die Unterschiedlichkeit in der qualitativen Auslegung derselben. Der Verbraucher schaut diesem von Interessenslagen geleiteten Treiben hilflos zu und ist sich, wie so oft, seiner Sache nicht sicher, was er kann, was er soll, was er darf. Es mag gute Gründe geben, das eine oder das andere Produkt zu bevorzugen. Geschmack, Textur, Carbon Footprint, Preis, Verfügbarkeit und vieles mehr sind Grundlagen, die bei der Kaufentscheidung von Belang sind.
Am Dienstag, den 10.Juli2012 werden fünf Jeunes Restaurateurs diesen Fragen nachgehen. Wir werden Wolfsbarsche zubereiten, nach Lust und Laune. Solche aus Zucht und solche aus Wildfang. Dazu treffen wir uns in Rothenburg ob der Tauber, in der Kochschule der Villa Mittermeier und kochen und quatschen einfach drauf los.
Wir wissen jetzt noch nicht, ob wir hinterher schlauer sind als vorher, ob wir neue Erkenntnisse gewinnen. Aber wir geben uns Mühe und versuchen auch solche Fragen zu beantworten, die Sie uns in der Kommentarfunktion dazu stellen können. Wir werden von unserer „Koch-Jam-Session“ ein paar Bilder machen und ein kleines Video drehen, das ich dann hier einstellen werde.

 

Gesucht und gefunden

Vor einigen Jahren durfte ich auf Einladung von Johannes King beim Sylt Gourmet Festival mitkochen. So habe ich mich ans nördlichste Ende der Republik aufgemacht und tapfer meinen Mann gestanden. Spätabends hat mich Paul Fürst in den Söl´ring Hof zu einer Burgunder-Probe mitgenommen, dort waren einige der besten Winzer Europas versammelt. Ich weiß es noch als wäre es erst gestern gewesen, wie sehr beeindruckt ich vom hohen Niveau der deutschen und (obacht!) auch der Schweizer Burgunder war.

Jedenfalls fand an diesem Abend, zugegebenermaßen nach einigen guten Gläsern, eine schicksalhafte Begegnung statt. Ich hab mein Alter Ego kennengelernt. Paul Fürst stellte mir einen Herrn vor, der mit denselben Wurzeln wie es die meinigen waren, etwas völlig anderes aus seinem Leben gemacht hat als ich.
Beide stammen wir aus Franken, sind dort in Wirtshäusern aufgewachsen. Die Verwandten sind jeweils Köche, Bäcker, Metzger, Wirtsleute und Bürgermeister. Auch haben wir beide zuerst eine höhere Schule besucht und dann selbst eine Ausbildung zum Metzger und eine zum Koch abgeschlossen.
Doch während danach Dr. Erwin Seitz, so heißt mein Alter Ego, Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Oxford studierte und mit einer Arbeit über Goethes Autobiographie promovierte, blieb ich beim Handwerk und wurde Gastwirt.

Und bei einem Glas fränkischen Spätburgunder schlossen wir beiden Franken im höchsten Norden Deutschlands dann Freundschaft.
Notabene: Der Spätburgunder von Paul Fürst den wir getrunken haben, wächst bei Miltenberg. Dort hat Wolfram von Eschenbach den Parzival verfasst. Und Dr. Seitz stammt direkt aus Wolframs Eschenbach. Ein Zufall?

Dr. Seitz hat mich freundlicherweise eingeladen, einige Jahre lang für „Cotta´s kulinarischen Almanach“ zu schreiben, dessen Herausgeber er damals war. Über die Jahre war er mit seinem unerschöpflichen Wissen mein Mentor, ich durfte dilettieren und den einen und anderen Aufsatz verfassen. Er hat nun wieder ein beeindruckendes, feinsinniges Buch geschrieben, das ich jedem ans Herz legen möchte der sich für die Entwicklung und die Verfeinerung des Geschmacks in unserem Lande interessiert.
Dr. Seitz beleuchtet wohlmeinend, menschenfreundlich und gescheit die geschichtlichen Zusammenhänge dazu.

 

Keine leichte Kost

 

Für eine Hospiz-Zeitung wurde ich von einem Arzt um ein Interview zum Thema „Kochen für Sterbende“ gebeten. Alles, was ich an Infos vorher zusammentragen konnte waren die Angaben, dass Sterbende nach kühlen Speisen und nach Saurem verlangen. Das war eine echte Herausforderung, hatte ich doch zum einen (dem Himmel sei Dank!) mit dem Tod und mit dem Sterben an sich bislang noch nichts zu tun, habe also keine Erfahrung damit. Zum anderen stehe ich in meinem beruflichen Alltag eher für Champagnerluft, klingende Gläser und Partylaune als für das Hospiz und für den Tod.

Außerdem spricht man nicht über das Sterben und über den Tod. Oder vielleicht doch?

 

 

Christian, Du gehörst zu den deutschen Spitzenköchen, eines Deiner Restaurants ist seit Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Sterbende Menschen mitzuerleben ist Dir hoffentlich noch fern und doch umgibt es uns. Unsere Leser interessiert: Essen und Trinken am Lebensende – für Dich lediglich eine Frage der Nahrungszufuhr und des Überlebens?

Ob mitten im Leben oder am Ende gilt: Essen und Trinken gehören zu den intimsten Vorgänge, denen sich Menschen widmen. Vertrauen, Geborgenheit, Wohlfühlen und Nähe sind Begriffe, die mit dem Thema „Essen und Trinken“ unmittelbar zusammenhängen. Ich kann mir vorstellen, dass in den letzten Tagen des Lebens gerade die emotionalen Aspekte der Nahrungsaufnahme an Bedeutung gewinnen. Vielleicht, wenn es ernst wird, rücken sogar ethische Fragen der Lebensmittelherstellung stärker ins Auge des Betrachters als das im Alltag der Fall ist?

 Wie ließe sich ein Essen, ein Getränk am Tisch oder gar am Bett präsentieren, damit ihm ein zusätzlicher sinnlicher Gewinn erwächst?

So wie in einem guten Restaurant: Essen als Inszenierung. Eine Kerze, die zu Beginn entzündet wird und deren erleuchtende Flamme gleich dem Öffnen des Vorhangs im Theater der Start einer Vorstellung ist. Feines Porzellan und Glas, eine Blume und ein weißes Tischtuch bilden den passenden Rahmen. Die Umgebung tritt zurück und die Schönheit und der Wohlgeschmack können in Ruhe und Sicherheit genossen werden.

Wie kann der Genuss noch weiter gesteigert werden?

Für experimentierfreudige und aufgeschlossene Esser kann eine Speise nach den neuesten Erkenntnissen der Kochkunst zubereitet werden. In der volkstümlich „Molekularküche“ genannten, von Fachleuten lieber als avantgardistische Küche bezeichneten Methode werden Texturen verändert und/oder Bekanntes neu interpretiert. Überraschende, neuartige Speisen und Kombinationen regen zu Diskussion und Auseinandersetzung mit der Materie an .

Für eher konservativere Genießer mögen Küchenklassiker sich besser eignen, deren Verzehr schöne Erinnerungen weckt, vielleicht sogar durch Geruch und Geschmack Kindheitserlebnisse wieder lebendig werden lässt.

Bestimmte Gewürze verändern Zubereitungen und können eine geographische Zuordnung der Speisen ermöglichen. So z.B. Raz el Hanout zu Arabien oder Curry zu Indien. Geruch und Geschmack entführen die Sinne in ferne Länder und Kontinente.

Kannst Du Dir vorstellen, dass dieses auch Demenzkranken hilft?

Im Grunde lassen sich alle Gerichte in zwei Schubladen sortieren: In die „Küche der Erinnerungen“ und in die „Küche der Überraschungen“. In puncto „Demenz“ bin ich fachlich völlig unbeschlagen. Doch könnte ich mir vorstellen, dass Geruchs- und Geschmackserinnerungen auch bei dementen Menschen funktionieren. Und alleine wenn das Mahl sie für den Moment erfreut, so ist das Ziel doch schon erreicht.

Im übrigen kann ich mir vorstellen, dass schon die Zubereitung der Speise und die notwendige Aufmerksamkeit und Hingabe dem ausführenden Pflegenden hilft, dem Sterbenden sich zuzuwenden, und somit das Kochen an sich auch dem Trauernden hilft.

Der Kauf von Lebensmitteln scheint wohl zunehmend eine Vertrauenssache zu werden! Welchen Tipp gibt der Koch zu diesem Thema?

Solche komplexe Themen lassen sich nur sehr unzulänglich auf wenige Sätze verdichten. Wenn dennoch eine grundsätzliche Aussage Bestand haben kann, dann diese: Suchen Sie sich die Erzeuger, Verarbeiter und Händler, denen Sie die größtmögliche fachliche und ethische Kompetenz zutrauen. Unterstützen Sie diese Menschen, auch wenn es für Sie als Verbraucher teurer und unbequemer ist so zu handeln.

Am Ende des Lebensweges zieht  der Mensch Bilanz und blickt zurück auf die Höhen und Tiefen seines Lebens. Was kann ein dem Menschen herzlich zugewandter, philosophierender Koch diesem auf dessen letzten Wanderung an geistigen und sinnlichen Ratschlägen mitgeben?

 Ich verstehe mich überhaupt nicht als jemanden, der anderen Ratschläge geben sollte. Ginge es um mich selbst, so würde ich mir für mich wünschen dies in zwei Etappen zu behandeln.

Solange es noch nicht ans Sterben geht, möchte ich es mit Erasmus von Rotterdam halten wollen:

„Am Ende stellt sich die Frage: Was hast Du aus Deinem Leben gemacht? Was Du dann wünschst getan zu haben, das tue jetzt.“

Wenn es dann soweit ist zu sterben und mir das Schicksal noch die Zeit dazu geben sollte, würde ich mir selber raten wollen:

Essen und Trinken verbindet Menschen über Grenzen hinweg. Nutze die letzten Tage und Wochen um mit Freude, mit Genuss und mit Güte zu tafeln. Lade Freunde und Feinde ein, breche das Brot mit ihnen und mache reinen Tisch. Genieße diese Stunden mit Haltung und mit Stil. Es war ein Bestreben in Deinem Leben, dass die Welt ein besserer Ort wird und der Tod setzt nun dieser Arbeit ein Ende. Er macht das Leben erst wertvoll.

 

Mit Liebe gekocht

… ist eine oft benutzte Floskel und wie so viele Redewendungen gedankenlos gebraucht, einfach so dahingesagt. Auch von mir. Sie wird für Werbezwecke korrumpiert, soll manchem Massenprodukt eine Wertigkeit verleihen, die gar nicht vorhanden sein kann.  Doch wie schmeckt, was tatsächlich mit Liebe gekocht wird, durfte ich vor einigen Tagen in Südafrika erleben :

In Bronkhorstfontein, etwa eine Autostunde südwestlich von Johannesburg, betreibt Thea Jarvis mit ihrer Familie ein Kinderheim, das knapp 50 elternlosen Babies, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen Obdach und Familie und Familienersatz ist. Trotz ständiger materieller Not und schwierigen Umständen stellt Thea seit mehr als 20 Jahren ihr Leben in den Dienst am Nächsten. Um die hohen Aufwendungen zur Beschaffung der Lebensmittel einzudämmen, wird dort Weideland geschaffen, Klee und Luzerne angebaut. Das Raufutter ist für die Kühe und Ziegen, die Milch geben und deren Fleisch Verwendung findet. Auch Hühner springen herum, legen Eier und landen früher oder später im Geflügelsalat. Dazu gibt es selbstgebackenes Brot von Tommy. Supermärkte spendieren MHD-abgelaufene Lebensmittel, manch Wohlhabender erbarmt sich und gibt Geld, das gleich dem Tropfen auf dem heißen Stein sich schnell wieder verflüchtigt. Alle Gelegenheiten, seien es Wohltätigkeitsveranstaltungen, Feste oder Feierlichkeiten, nutzt die Villa Mittermeier um Spenden für diese Institution zu sammeln.

Ein Blog in dem es um Essen und Trinken geht, ist wahrscheinlich nicht die richtige Stelle um die Geschichte von Tommy zu erzählen. Nur soviel: Sein Lebensweg und die Hintergründe dazu sind geeignet, selbst hartgesottene Zeitgenossen zu erschüttern. Bereits ein Bruchteil seines Leidensweges würde genügen, um hierzulande den einen oder anderen in bodenlose Verzweiflung zu stürzen. Doch Tommy und die anderen Kinder strahlen trotz aller Not eine beneidenswerte Zufriedenheit aus. Thea kümmert sich aufopferungsvoll um jedes einzelne Kind. Friede, Zufriedenheit und Glück sind die passenden Worte, um die Atmosphäre in dem Haus zu beschreiben. Nicht, dass ich tauschen möchte… aber nachdenklich macht es mich schon. Was braucht es, um zufrieden zu sein? Ein einziger Tag bei TLC ist wertvoller als ein Tag im besten Luxushotel.

Und der Geflügelsalat, das kann ich bezeugen, der ist dort wirklich mit Liebe gekocht.