Regionalität ist das Gebot der Stunde. Die gastronomische Elite ist sich einig, dass Vereinfachung und Reduzierung auf das tatsächlich Notwendige ebenso bestimmend für neue Kreationen sind wie das deutliche Bekenntnis zu Erzeugnissen aus der näheren Umgebung. Neuartige Zubereitungsmethoden über die mancher vor kurzer Zeit noch müde gelächelt hat, sind etabliert und die Diskussionen über Lebensmittel-Zusatzstoffe werden sachlicher geführt. Das ist gut.
Es schließt sich ein Kreis: Spitzenköche legen auf die Herkunft der Grundprodukte genau so viel Wert wie grüne Fundis. Quer durch fast alle Gesellschaftsschichten erwächst der Wille darauf zu achten, wo und auch unter welchen Bedingen Nahrung erzeugt wird. Die neuen Luxusprodukte finden sich vor der Haustüre. Diese Entwicklung ist fortschrittlich, sie verlangt von den Köchen, sich mit Bekanntem auseinanderzusetzen und Vertrautes neu zu interpretieren.
Es dauert gar nicht lange, bis dazu die passenden Schlagworte installiert sind, um diesen Trend populär zu machen:
Nachhaltigkeit, Öko-Bilanz und vor allem: Regionalität.
Und es dauert auch gar nicht lange, bis die ersten Bluffer in eben denselben Zug einsteigen. Plötzlich kann es gar nicht mehr „nachhaltig“ genug zugehen: da steht auf dem Markt der „Fischwagen aus Bremerhaven“, darin ein Mann im blau-weißen Fischerhemd, natürlich mit Prinz Heinrich-Mütze. Und was hat er in der Theke? Pangasius, Wolfsbarsch aus griechischer Zucht und Surimi. Vor einigen Wochen habe ich Ziegen-Camembert aus heimischer Produktion gekauft, hergestellt von Aussteigern auf einem Bauernhof, von denen keiner eine fundierte Ausbildung gemacht hat, aber alle waren irgendwie voll öko, incl Dreadlocks und leicht konisch geformten Selbstgedrehten. Der Käse war im Papier von schwarzem, stucksigem Schimmel befallen. Ein großer Erzeuger hätte mit so einem verhunzten Produkt seine Schlagzeilen sicher.
Ich habe mich über Lammfleisch aus heimischer Produktion geärgert das zäh war, aber „halt von hier“. Der Erzeuger ist kein Fachmann. Dasselbe ist mir unlängst mit Roastbeef aus einer „Angus-Manufaktur“ passiert, ich habe von Gästen Reklamationen für die Ware kassiert. Und ein Metzger der mir zur Zerlegung und Reifung eines Limpurger Ochsen empfohlen war, hat nach Übersendung meiner gut ausgearbeiteten Zerlege-Anweisung umgehend einen Vortrag gehalten, ob ich denn überhaupt wüsste, wie viel Arbeit das sei. Obgleich Bezahlung nach Aufwand vereinbart war, hätte er für „so einen Scheiß“ keine Zeit. Bei SlowFood lässt er sich aber gerne für sein Engagement mitfeiern.
Ja klar, ich weiß wie viel Arbeit das ist. Aus einem vermeintlich gewöhnlichen Produkt etwas Besonderes zu machen funktioniert nur, wenn man sich wirklich anstrengt. Es ist reicht nicht, seine Hinterhof-Klitsche „Manufaktur“ zu nennen und die Preise zu erhöhen, bloß weil das Grundprodukt irgendwie regional ist. Und für diejenigen, die jetzt ihre Chance wittern: Seine Garage „Kontor“ zu nennen, von Ahnungslosigkeit beseelt Handel zu treiben mit der Absicht, durch anderer Leute Arbeit Geld zu verdienen, wird dauerhaft auch nicht erfolgreich sein. Es ist nicht genug, bei der Fleischerzeugung auf klangvolle Rasse-Namen zu setzen, wenn das fachliche Rüstzeug für Zucht und Mast nicht vorhanden ist. In alles, was sich nicht dagegen wehrt Bärlauch und/oder Chili hineinschütten – ich kann es wirklich nicht mehr sehen. Landhaus-Mode, Strohhüte von Manufactum und Landadel-Attitüde ersetzen nicht fundierte Ausbildung und dauernde Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach. Öko-Chic substituiert nicht Qualifikation.
Im Restaurant ist es einfach, da soll es der Koch richten. Der soll gefälligst wissen, wo das Zeug herkommt und wie es gemacht wird und selbstverständlich den Vornamen des Ochsen kennen, der gerade auf dem Grill liegt.
Doch wie sieht es bei den Erzeugern aus? Wie viele Metzger haben ihre Hausaufgaben gemacht und wissen auf Anhieb, was genau bei der Fleischreifung passiert? Wie viele Direktvermarkter und Kleinerzeuger machen sich die Mühe, dieselbe Fachkompetenz über ihr Produkt zu erlangen wie ein Winzer, der in Geisenheim studiert hat?
Es ist schnell über die Lebensmittelproduktion in großem Maßstab geschimpft und wenn das Wort „Mogelpackung“ fällt, ist immer gleich die Industrie gemeint. Die Kleinen dürfen keinesfalls kritisiert werden, weil sie es bestimmt gut meinen. Und wenn sie nur so tun.
Wer schaut denn der unausgebildeten Dame auf die Finger, die mir unlängst auf einer „Genuss-Messe“ eine Trüffel-Salami verkaufen wollte, die vor Trüffel-Öl geradezu getrieft hat. Die selbst auf Nachfrage dabei blieb, es handle sich hier um echten schwarzen Trüffel. Bei der zweiten Nachfrage unter vier Augen hat sie sich darauf berufen, die Info so von ihrem Chef bekommen zu haben. Einen Unterschied zwischen Trüffel und Trüffel-Öl kenne sie nicht.
Bestimmt gibt es jede Menge eifriger, fleißiger kleiner Erzeuger, Händler und Handwerker. Die sind hier ausdrücklich nicht gemeint. Aber es gibt auch jede Menge Blender, und denen ist Einhalt zu gebieten. Die können Zungenbrecher wie „Authentizität“ flüssiger aussprechen als einfache Worte wie „Umsatzsteuer-Erklärung“. Denen reicht es, dass ihr Produkt zumindest irgendwie handwerklich daherkommt. Die surfen ind er Bugwelle von denen, die sich Mühe machen, einfach mit. Möglicherweise kann man das nicht verhindern, aber man kann wachsam bleiben.
Ich hab nichts gegen ein bisschen Show, denn klappern gehört zum Handwerk. Doch die Grenze zwischen gelungener Show und Täuschung, die soll klar gezogen sein.