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Der Weinberg sieht seinen Herrn täglich

Na, das klappt nun wirklich nicht denn dafür fehlt ganz einfach die Zeit.

Doch wenn es im Job mal wieder zu viel wird, wenn es besser ist für ein Stündchen das Weite zu suchen; wenn diese Momente kommen, an denen ich glaube jetzt ist es einfach mal notwendig dem täglichen Wahnsinn für einen kurzen Moment zu entfliehen, dann fahre ich in meinen Weinberg.

Dort kann ich mich im Wortsinne erden. Die Natur macht was sie will und es wird schnell klar, dass hier nicht die Chefs, die Entscheider , die Alpha-Männchen alleine die Strippen ziehen, sondern dass höhere Mächte dem weltlichen Macher im besten Falle erlauben, sich mit den Gegebenheiten des Vegetationsverlaufs irgendwie zu arrangieren, zu versuchen das Beste aus den Gegebenheiten zu machen.

Vielleicht wächst nicht in jedem Sommer ein Jahrhundert-Nachgang nach dem anderen. Doch hatten wir erst vor einem Vierteljahr wirklich mehr Bedenken als Hoffnung, ob nun dieses Mal überhaupt noch irgendetwas wächst. Die Natur hat die Kurve gekriegt, wie schon so oft und auf ihre eigene Art, mit der keiner gerechnet hat:

In diesem außergewöhnlichen Weinjahr 2011 haben wir an jedem Rebstock zwei verschiedene Sorten Trauben hängen: die paar wenigen Träubel, die den außergewöhnlichen und strengen Mai-Frost überlebt haben und ein paar weitere einsame Trauben, die von den Bei-Augen der Rebe scheinbar als eine Art Notprogramm ausgetrieben wurden und die jetzt in ihrer physiologischen Reife den anderen um mehr als vier Wochen hinterher sind.

Das wird für außergewöhnliche Lesebedingungen sorgen: es wird wohl in diesem Jahr jede Parzelle zweimal abgelesen werden müssen. Möglicherweise fehlt uns Jungwinzern die Abgeklärtheit, dass es noch immer, in jedem Jahr, irgendwie hingehauen hat.

 

Limpurger Ochse I

Slow-Food heißt Slow-Food weil manches halt einfach mal ein bisserl länger dauert. Dafür wird es dann besser. Sich Mühe zu geben, sich treu zu bleiben und auf Kontinuität zu setzen statt schnelle Erfolge zu feiern benötigt halt einfach Zeit. Ganz in diesem Sinne haben es die Züchtervereinigung Limpurger Rind e.V. und das Slowfood Convivium Mainfranken-Hohenlohe in jahrelanger Arbeit geschafft, dass der Begriff „Weideochse vom Limpurger Rind“ durch das Deutsche Patent- und Markenamt ein Markenzeichen erhalten hat. Passagier der „Arche des Geschmacks“ wurde er 2005 schon und mittlerweile gibt es sogar schon ein „Presidio“(ital. Schutz) für ihn. Die Verleihung des Presidio-Status kommt einer Zertifizierung gleich, die sich an den Slow Food – Kriterien gut – sauber – fair orientiert.

Hans-Werner Bunz von Slow Food, Dieter Kraft, der Zuchtleiter Limpurger Rind vom Landwirtschaftsamt Ilshofen, Otto Geisel und viele andere Idealisten haben sich um den Erhalt, die Förderung der Weiterzucht und die Etablierung dieser wertvollen Rinder-Rasse in Franken und Hohenlohe verdient gemacht.

Eines dieser eindrucksvollen Tiere, ein Prachtexemplar mit über 700kg Gewicht, habe ich heute gekauft und lasse ihn am Donnerstag schlachten. Er ist zusammen mit anderen Tieren auf der Kleincomburg, auf einer Weide aufgewachsen. Die Kleincomburg, am Rande von Schwäbisch Hall, ist der landwirtschaftliche Betrieb der dort ansässigen Vollzugsanstalt. Der Ochse ist über drei Jahre alt. Zum Vergleich: Konventionell aufgezogene Tiere werden gerade einmal halb solange gefüttert. Nach etwas mehr als einem Jahr ist der Punkt erreicht, an dem das Verhältnis von Fütterung und Gewichtszunahme sich zu ungunsten des Bauern verschiebt. Er muss mehr reinstecken als er rausholt. Doch wenn das Tier älter wird, verbessert sich Struktur und Geschmack des Fleisches, es wird wertvoller.

Der Plan ist, die beiden Schlachttier-Hälften so gut es geht vollständig zu verarbeiten und spannende Gerichte daraus zu kochen. Die gibt es dann im Restaurant, in der Blauen Sau , bei Caterings und Events. Ganz nach Eignung der Fleischteile. Und wenn der Reifeverlauf von Hals, Rücken und Lende so klappt wie ich mir das vorstelle, dann gibt es diese Teile auf dem Hofschoppenfest der Tauberhasen.  Ich werde berichten.

 

Eiskalt erwischt

SMS im Spätburgunger

Mulcher auf SMS

Anfang Mai hatten die Reben bereits ordentlich ausgetrieben, als unerwartete Fröste mit Temperaturen bis zu -4°C dem unschuldigen jungen Grün ein jähes Ende bereitet haben. Es war schrecklich anzusehen, wie Väterchen Frost mit eiskaltem Atem das junge Leben beendet hat. Schwarz, welk, tot hingen die jungen Blätter am Stock.

Bereits das vergangene Jahr hat für die Taubertäler Winzer manche Herausforderung geboten, nun war es scheinbar für 2011 ganz vorbei. Wenn die Fruchtansätze erfroren sind, wachsen dort keine Trauben mehr. Es kam in manchen Rebanlagen noch schlimmer: Da gab es nicht wenige Reihen, an denen nicht nur der Trieb sondern gleich die ganze Pflanze erfroren ist.

Doch die alte Küchen-Weisheit, das nichts so heiß gegessen wird wie es gekocht wird, gilt auch für unseren Weinberg. Die Bei-Augen haben später nochmal ausgetrieben, es wächst gerade eine neue Generation Trauben heran, direkt neben den wenigen Träubeln, die den Frost überlebt haben.

So hängen in friedlicher Eintracht zwei Generationen Trauben in derselben Anlage: die einen ein paar Wochen älter und reifer als die anderen. Wir werden sehen, ob sich deren Wachstum und physiologische Reife im Laufe des Sommers noch aneinander angleicht oder ob es in dieser Saison zwei zeitlich versetzte Lesen im selben Weinberg geben wird. Ein verrücktes Jahr, doch unser Trost ist, dass jeder Träubel den wir ernten werden, ein Träubel mehr ist als wir noch vor wenigen Wochen befürchtet haben. Da waren unsere Erwartunge nämlich bei nullkommanull.

Während der letzten Tage wurde gegipfelt und gemulcht. Alle Arbeiten sind nun darauf ausgerichtet, die Qualität des Leseguts so gut wie möglich zu erhalten. Die Pflanzen sollen ihre Kraft in die Trauben konzentrieren und dabei so gesund bleiben wie irgend möglich, um den Lesezeitpunkt so weit es geht in den Spätherbst zu schieben.

In den fränkischen Steillagen wird hierzu oftmals mit Winde und Seilzug im sogenannten „Direktzug“ gearbeitet. Unser Weinbau-Service verfügt glücklicherweise über das neuartige Steillagen-Mechanisierungssystem, mit dem die notwendigen Tätigkeiten effizient ausgeführt werden können.

Und irgendwie hat es auch etwas Gutes, mal wieder vor Augen geführt zu bekommen, dass die Natur ihre eigenen Gesetze schreibt und sich zu nichts zwingen lässt. Die Natur schuldet keinen Gehorsam und die vornehmste Aufgabe des Winzers ist es, nicht die Gegebenheiten zu ändern sondern immer das Beste aus ihnen zu machen.

 

Gute Hoffnung für den guten Zweck

Die Mannschaft des Benefiz Abends im NH Hotel

Dieser Tage war die Küchenmannschaft der Villa Mittermeier eingeladen, im NH Hotel Erlangen ein Benefiz-Dinner zu bekochen. Weil in der Gastronomie die Welt recht übersichtlich ist und die Direktorin Elke Gabsteiger und ich uns seit langem kennen, bedurfte es weiter keiner großen Absprachen über das Wie und über das Warum. Das „Wie“ ging so: Mittermeier kocht und bringt den Wein mit. Das NH-Hotel stellt den Service und organisiert das Programm.

Das „Warum“ war dann genau so einfach:

Wer gute Geschäfte macht und in Wohlstand lebt, sollte nach meinem Dafürhalten einen mindesten Teil an Engagement und Geld für Arme und Benachteiligte übrig machen. Aus privaten Gründen engagiere ich mich stets für ein Kinderheim in der Nähe von Johannesburg, auch dieses Mal sollten die Erlöse dorthin gehen.

Das Menü setzte sich zusammen aus vier Gängen meiner aktuellen Speisenkarte: es gab Thunfisch, Hummer, Kalbsfilet und Schokolade, natürlich auch den ganzen Budenzauber mit Amuse und „süßem Happy End“. Begleitet wurde das Menü von Carsten Migliarinas Weinen vom Kap der guten Hoffnung: einem Chardonnay und dem Kap-Hasen, einer Cuvée aus Shiraz und Cabernet Sauvignon. Carsten war, der Zufall wollte es so, selbst anwesend und wusste Interessantes über Land, Leute und Weinbau in Südafrika zu berichten. Es spielte gute Musik und der legendäre Bernhard Ottinger hat seine Witzle dazu gemacht.

Elke Gabsteiger, die Mannschaft und ich haben den Abend professionell, locker und entspannt begonnen, als es dann doch irgendwie besonders wurde: Die Ansprache zwischen Vorspeise und Zwischengang hatte zum Inhalt, dass ich es für keinen ausgewiesenen Verdienst halte, mit einem weißen Hintern hier in Deutschland geboren zu sein. Das ist nichts, worauf ich stolz bin. Andererseits: Menschen, die in Lebensumstände hinein geboren werden, die ihnen nie eine Chance geben werden um ihr Leben frei und selbstbestimmt führen zu können, können nichts für ebendiesen Sachverhalt. Da hilft auch Geld alleine nichts auf Dauer. Wenn es denn irgendetwas gibt, das helfen kann, dann ist es wohl Bildung. Denn eine der niederträchtigsten Seiten von Apartheid ist der generationenlange und strategisch geplante Vorenthalt von Bildung und Ausbildung ganzer Bevölkerungsgruppen. Mütter können ihren Kindern nicht bei den Schulaufgaben helfen, weil sie selbst keine gute Bildung genossen haben. Väter können ihren Kindern keine Perspektiven aufzeigen, weil sie ihnen selbst genommen wurden. Wenn es irgendetwas gibt, das nun Hilfe zur Selbsthilfe sein kann, dann ist es Bildung bzw. die Gelegenheit dazu.

Dies ist auch der Grund, weshalb wir in unserem Restaurant (nach langem Ringen mit behördlicher Genehmigung) seit etwas über einem Jahr zwei südafrikanische junge Männer zu Köchen ausbilden. Mit einer Ausbildung nach deutschen Standards haben die beiden zumindest ein berufliches Fundament, auf dem sie später in ihrem Heimatland ihre eigene Existenz aufbauen können, in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen.

Die Einführung in den Abend war kaum vorbei, als der erste Gast Tausend Euro ausgepackt hat und der Bestimmung des guten Zwecks zuführte. Dem Beispiel folgte mancher, das NH Hotel und auch ich halfen ein wenig nach und so können wir 5000 Euro überweisen. Sicher kein Betrag der den Kontinent retten wird. Doch beachtlich für kaum 30 Gäste und gut angelegt bei einem Verein der sicherstellt, dass jeder Cent dort ankommt, wo er gebraucht wird. Bei Menschen wie Thea Jarvis, die selbstlos und aufopferungsvoll ihr Leben in den Dienst am Nächsten stellen.

 

Los Wochos oder die Erde ist keine Scheibe

In wohl jedem Beruf gibt es Gesetzmäßigkeiten, die ganz einfach nicht diskutabel sind. Man erzählt einem Metzger nicht, dass eine 18 Jahre alte Kuh ohne Weiteres essbar ist. Der Rücken nach langem Abhängen gar als rosa gebratenes Steak. Schließlich stellt ja auch niemand in Frage, ob der Papst katholisch ist. Und selbst der hat sich irgendwann von der festen Vorstellung verabschiedet, dass die Erde eine Scheibe sei (hat er doch, oder?).

Einerseits. Doch andererseits bin ich stets auf der Suche nach neuen Produkten, nach dem besten Erzeugnis und ich liebe es, alte Zöpfe abzuschneiden und mit Schwung über Bord zu werfen.

Deshalb pflege ich auch Verbindung und Freundschaft zu einigen Leuten, die unermüdlich auf der Suche nach überraschenden und spannenden Lebensmitteln und Zubereitungen sind. Nur durch unruhige Geister und außergewöhnliches Tun kann Veränderung, Verbesserung und somit auch Fortschritt erzielt werden.

So kam also vor wenigen Tagen die Nachricht, dass es in Spanien einen Betrieb gibt, der das Fleisch von Kühen selektioniert, die zwischen 8 und 18 Jahren alt sind. Diese Kühe stammen aus den Hochlagen Galiziens und Portugals, sie haben ihr Leben lang gekalbt und abertausende Liter Milch gegeben. Es werden maximal 20 Kühe pro Woche geschlachtet, die „superextra“ Qualität ergeben. Selektioniert wird nach Alter und nach Fettgehalt, die Rasse wird nicht spezifiziert. Die Familie von Imanol betreibt dieses Geschäft seit vielen Generationen, seit hundert Jahren wird professionell ausschließlich an Gastronomie verkauft, mit den allerbesten Referenzen (Arzac und Co).

Also habe ich mich überzeugen lassen, die Ware zu testen: Mit der Lieferung kamen Chorizos, Jahrgangs-Sardellen, eingelegte Paprika und ein Eis aus Gemüse und Zitrusfrüchten. Zur Sicherheit, weil ich dem Braten im wahrsten Sinne des Wortes nicht getraut habe und das Fleisch im Freundeskreis zuerst mal probieren wollte, ließ ich noch 5 kg Presa vom Iberico-Schwein mitliefern. Denn: Wer kann ernsthaft glauben, dass man das alte Fleisch einer ausgemergelten Kuh essen kann?
Vor meinem geistigen Auge sieht das so aus: Die Hüftknochen stehen dem armen Tier weit heraus, das Fell hängt wie eine Decke über die Knochen, die glashart sind und leicht splittern, die Muskeln sind zurückgebildet und überhaupt: Wie lang soll das eigentlich noch gehen, wenn das gute Tier schon mal 18 Jahre alt ist? Das Vieh hat doch jetzt eher das Gnadenbrot als den Schlachthof verdient. Dennoch, ich habe so ein Trumm bestellt, denn interessiert hat´s mich schon, was alle so toll daran finden.

So wurde also „el Txuletón“, das Kotelett aus der Hochrippe (lomo alto), 5 kg schwer und 5 cm dick, am Knochen im Leinensäckchen angeliefert. Mein Vater, der Metzgermeister, war vom Anblick des schwarz abgehangenen Stück Kuh gar nicht begeistert. Der Haustechniker, der ebenfalls in den Sack mit dem Fleisch gelinst hatte, war sich nicht sicher, ob sich die 18 Jahre nun auf das Lebensalter der Kuh oder den Todeszeitpunkt dieses Tieres bezogen haben. Denn nach dem Abhängen war das Fleisch eher schwarz als rot.

Presa hatte ich also in Reserve, dazu ein paar hervorragende Flaschen baskischen Weins (Txakoli, und ein paar Tempranillos aus dem Rioja Alavesa) und die Chorizos waren ja auch noch da. Freiwillige für einen Grillabend fanden sich bereitwillig und schnell, sie waren darüber aufgeklärt, dass ich meinem selbst zubereiteten Essen recht skeptisch gegenüber stehe und nötigenfalls sollten uns die Presas und die Chorizos satt machen, wenn sich die alte Kuh nicht beißen lässt. Das Risiko, dass es daneben geht, war bekannt.

So also habe ich die hohe Rippe in vier gleich große Stücke geteilt und damit meinen kleinen Gartengrill (der wohl eher für harmlose Nackensteaks vom Schwein ausgelegt scheint) vollgelegt.

Eine ganze Stunde haben die dicken Stücke dort vor sich hingequalmt, allein schon der dichte Rauch war spektakulär, das Fett obendrauf wurde je wärmer je gelber. Noch konnte keine Rede davon sein, dass hier irgendetwas vertrauenerweckend aussah. Nur der entstehende Geruch machte neugierig. Nachdem die Hitze der Holzkohle nachgelassen hat, habe ich das Fleisch bei 120°C in den Ofen geschoben, bis es gleichmäßig perfekt 55°C im Inneren warm war.

Weil es gar so lang gedauert hat, waren inzwischen die Sardellen verspeist und die Chorizos zum Teil auch. Als Gar- und Ruhezeit vorbei waren, ging es zur Sache: Zum gleichmäßigen Garen der Kuh-Stücke habe ich mir die größte Mühe gegeben und wurde mit einem atemberaubend schönen Schnittbild belohnt. Mageres, mürbes, dunkelrotes Fleisch lachte mich an.

Zum Probieren hingestellt, war das Urteil einhellig: Zartes, hocharomatisches, im Inneren mageres Kuhfleisch von atemberaubender Textur und Geschmack. Frisch, unverfälscht und rein hat sich das Fleisch präsentiert. So gut wie ich Fleisch noch nie gegessen habe.

Es hinterlässt im Mund einen Geschmack nach gerade gemolkener, unbehandelter Milch. Und nach Kräuterwiese. Der Muskel an sich ist mager, die Struktur der Fasern erinnert ein wenig an Bison oder an Wild, mürbe aber mit Biss. Von Zäh keine Spur. Der Nachhall des Geschmacks weckt Suchtpotential. Dieses Fleisch trifft eine Aussage, hat eine Message, die Fleisch von jungen Tieren gar nicht haben kann. Unter den tranchierten Scheiben sammelt sich wenig dunkelroter Saft. Das Aroma ist außergewöhnlich, beeindruckend und selbst die Hände, die Fleischkontakt hatten, riechen noch stundenlang archaisch und begeisternd nach diesen Steaks. Die Skepsis am Tisch ist hemmungsloser Begeisterung gewichen. Schöner kann ein Experiment nicht gelingen und nie war es leichter für mich, eine Fehleinschätzung zuzugeben.

Die Latte für Excellenz liegt nun höher, die Benchmarks sind neu gesetzt.

Die Kuh gibt es ab nächster Woche auf meiner Karte, im Großhandel ist das Fleisch hier erhältlich: www.enologos.de

 

Henne oder Ei?

Wirklich überrascht hat es mich nicht, diese tolle Fisch-Auswahl in einem ganz gewöhnlichen Supermarkt in Frankreich gesehen zu haben. Schon kurz hinter der Grenze geht´s los, da findet sich in ziemlich jedem Einkaufszentrum eine Abteilung für Rohmilchkäse, Charcuterie und für frischen Fisch. Eine Frage stelle ich mir beim Anblick so eines guten und hochwertigen Sortiments jedesmal auf´s Neue:

Gibt es dieses Angebot in Deutschland in dieser Form deshalb nicht, weil es die Käufer nicht wollen oder kauft bei uns keiner einen solchen Fisch, weil es (von wenigen Ausnahmen abgesehen) dafür kein Angebot gibt?

Es gibt im französischen Supermarkt auch eine hübsche Auswahl an filetierten Fischen, es kann also nicht alleine daran liegen, dass es der ganze Fisch mit Kopf und Schwanz ist, der den Kunden erschreckt… Preiswert ist er auch, es gibt eine ordentliche Produktauswahl mit Kilopreisen deutlich unter 10 Euro. Ein Stück Fischfilet braten, backen oder dünsten ist auch für Anfänger nicht schwer. Woran liegt es also?

Wo kaufen all die Menschen, die mich stets nach den besten Bezugsquellen für frischen Fisch fragen? Sind es nur Lippenbekenntnisse, die ich das ganze Jahr über zu hören bekomme, dass man schon gerne kaufen würde, wenn man denn könnte?

 

Vom rechten Umgang mit Schlachttieren

Fleisch ist nicht gleich Fleisch und welcher Verbraucher wüsste kein Lied davon zu singen, wie ratlos er vor mancher Theke stand. Unsicher darüber was Herkunft, Güte, Zartheit, und Wohlgeschmack des beäugten Stückleins tierischen Muskelgewebes anbelangt.

Es wäre ja hübsch einfach, mit wenigen messbaren Kriterien zufrieden zu sein: Wenn es nur regional genug wäre. Oder wenigsten bio. Oder besser gleich: bio und von hier. Nachhaltig wäre es dann bestimmt ja auch irgendwie.

Doch wie schon an anderer Stelle dieses Blogs beschrieben, sind hier gerade die einfachen Wahrheiten schwierig. Die Crux: Zu oft wird die Kette der Verantwortlichkeiten unterbrochen. Erzeuger, Bauern, Händler, Verarbeiter, ja nicht mal Verbraucher kennen sich. Geschäfte werden via email, Fax und Telefon gemacht, niemand schaut sich dabei in die Augen.

Die messbaren Grundlagen im großen Fleischgeschäft heissen Kilogramm, Euro, MHD. Komplexe Sachverhalte werden auf einzelne Parameter zurechtgestutzt und dem Willen des Gesetzgebers und des Verbrauchers wird Genüge getan. An dieser Stelle werde ich mal altmodisch und lobe mir die handwerklichen Strukturen, wie sie noch vor wenigen Jahrzehnten Gültigkeit besessen haben. Natürlich war damals nicht pauschal alles besser, doch die Ehre eines Bauern und die eines Metzgers, das lange gewachsene Vertrauen zur Kundschaft und die Mischung aus fachlicher Könnerschaft und Gespür für das gute Produkt machten es möglich, besser einzukaufen als das heute möglich ist. Der Fachmann stand im besten Wortsinne hinter seinen Waren.

Einer der letzten seiner Art ist mein Vater, Küchen- und Metzgermeister alter Schule. Ich habe ihm zwei Lämmer angeschleppt, die ein befreundeter Tierarzt aufgezogen hat. Ein imposanter Suffolk-Widder wurde dazu mit einem einheimischen Mutterschaf gekreuzt. Männliche Suffolk-Schafe sind als excellente Kreuzungs-Widder bekannt, deren Gene für feinfaseriges, mageres und wohlschmeckendes Fleisch sorgen. Dies ist deshalb  notwendig, weil unsere einheimischen Schafe über Generationen vorrangig zur Wollerzeugung gezüchtet wurden, Fleischqualität war lange Zeit kein wesentliches Kriterium. Der Suffolk-Widder, ein Prachtbursche wie aus dem Bilderbuch, hilft hier der einseitigen fränkischen Schafs-Genetik ein bisserl auf die Sprünge. Gefressen haben die Tiere alleine nur Gras und Heu von ungedüngten Wiesen. Genetik, Ernährung, Schlachtalter als wesentliche Garanten für beste Qualität waren also schonmal richtig eingestellt.

Zwei dieser wunderbaren Lämmer habe ich bereits vor Ostern bekommen, die anderen beiden nun letzte Woche. Auf dem Hofgut geschlachtet und für einige Tage abgehangen wurden sie von meinem Vater meisterlich entbeint und zu Rollbraten gebunden. Aus den Knochen und den Abschnitten hat er eine intensive Soße hergestellt. Die Lammrollbraten selbst wurden in feste Beutel verschweisst und zum richtigen Zeitpunkt ihrer Fleischreife für einige Tage tiefgefroren.

Fleisch und Soße haben wir mit nach Le Mans genommen, wo wir für Audi die 24h von Le Mans catern. Das Fleisch wird hier noch kurz angebraten und dann zuerst bei 120°C und dann  bei 70°C so lange im Ofen geschoben, bis es eine Kerntemperatur von gleichmäßig 52°C erreicht hat. Sämtliche Fleischteile der Lämmer (ausser den Haxen), seien es Schultern, Rücken, Flanke oder Keule, eignen sich für diese Garmethode. Das Fleisch kann vorher noch ein wenig mit einer Mischung aus Olivenöl, Rosmarin , Knoblauch, Meersalz und schwarzem Pfeffer eingerieben werden.

Falls zum Soßenkochen keine Zeit ist, funktioniert auch dieser etwas ungewöhnliche Weg:Aus den Knochen und Abschnitten wird zusammen mit viel Gemüse eine Brühe gekocht. Perlgraupen, Polenta oder CousCous werden dann mit dieser Brühe hergestellt. So bleibt der gute Geschmack erhalten und der Tierkörper wird vollständig und sinnvoll verarbeitet.

Wenn ich nun hier in Frankreich hinter meinem Buffet stehe, so kann ich mit bestem Gewissen ein Produkt anbieten, dessen Herkunft und Verarbeitungsweg mir lückenlos vertraut ist. Und schmecken tut´s auch.

 

20 Jahre Jeunes Restaurateurs d´Europe in Deutschland

JRE Logo

In diesem Jahr ist die deutsche Sektion der Jeunes Restaurateurs d´Europe 20 Jahre alt geworden. Die Region Süd hat in München gefeiert und mehr als 200 Gäste sind in das Restaurant des Olympiaturms gekommen. 12 Mitglieder der JRE haben ein 12gängiges Festmenü gekocht.

Gruppenfoto mit Dame

Zu feiern gab es 20 Jahre Fortschritt und Entwicklung, 20 Jahre Zusammenhalt und Freundschaft der jungen Restaurateure. Der Grundstein für diese großartige europäische Vereinigung wurde, 10 Jahre bevor die deutsche Sektion entstand, in Frankreich gelegt. Die Idee, den Jungen in unserem Gewerbe eine eigene Bühne zu verschaffen war so gut, dass sie sich rasch verbreitete. Über die Jahre war die Auswahl zur Aufnahme in diesen elitären Zirkel sehr streng, ich selbst wäre beinahe an den harten Kriterien gescheitert. Ich musste mich in Geduld üben, bis der Zeitpunkt reif war, an dem meine Kollegen Hoffnung in mich als jungen Koch gesetzt haben.

Dann dabei sein zu dürfen ist Ehre und Verantwortung zugleich und ich habe versucht, durch Engagement, Fleiß und Einsatz möglichst viel von dem zurückzugeben, was ich bekommen habe und genießen durfte. Den JRE dienen, wo es sinnvoll und hilfreich erschien und die Arbeit fortsetzen, die andere begonnen hatten. In diesem Jahr, unserem Jubiläums-Jahr, werde ich nun als aktiver Jeunes Restaurateur ausscheiden und wohl in den Kreis der „Table d´Honneur“ wechseln, um einem jungen Kollegen Platz zu machen, der nachrücken wird. Die Vereinigung ist jung und sie soll es bleiben, und das geht nur, wenn die „Alten“ mit 45 Jahren ihren Stab dann weiterreichen.

schmeckt.

Was bleibt, ist das gute Gefühl wirkliche Freunde gefunden zu haben, mit denen mich eindrückliche Erlebnisse verbinden. Bei rund 50 Mitgliedern finden immer die richtigen zusammen. Gemeinsam geht´s besser und miteinander leichter als gegeneinander. Der eine betreibt sein Haus im Ort um die Ecke und der andere ist hunderte Kilometer weiter entfernt daheim. Doch sind wir alle nahe genug zusammen, um uns mal schnell zu treffen und dennoch wieder weit genug voneinander entfernt, um uns nicht ins Gehege zu kommen. Wir haben die gleichen Ziele, dieselben Interessen und es eint uns die Obsession, nur mit dem Besten zufrieden zu sein. Unser Claim „Talent und Passion“ ist nicht nur so dahin geschrieben, sondern wir leben ihn an jedem Tag. Sich mit den Besten zu verbünden steigert natürlich den eigenen Anspruch und legt die Latte für die eigene Zufriedenheit höher, als das eine Orientierung rund um den Kirchturm vermöchte. Europäische Verbundenheit lehrt Achtung vor anderen Nationen und hebt Gemeinsamkeiten bei Genuss und Lebensart. Als Restaurateure waren wir alle selbst schon mal Ausländer und haben dabei manche Freundschaft über Länder und Grenzen hinweg geschlossen. Wir bilden gemeinsam aus und versuchen unseren Mitarbeitern in diesem ungewöhnlichen, fordernden Beruf eine gute Perspektive zu geben. In ihre eigene Zukunft zu investieren und sich in unseren Reihen zu qualifizieren. So manches hoffnungsvolle Talent hat seine Karriere in unseren Reihen begonnen. Darauf sind wir stolz.

Während meiner aktiven Zeit durfte ich neun Jahre lang im Vorstand der JRE mitarbeiten und die Vereinigung mitgestalten. Ich habe viel gesehen, viel erlebt und durfte manchen Vorteil genießen. Ich habe tolle Menschen kennengelernt und fremde Länder gesehen. Kreuzfahrten, ein Südafrika-Trip, Fahrten nach Italien, ins Baskenland und sonstwohin. Ich habe mit Kollegen gelacht, gestritten und gefeiert, manchmal alles an einem Tag. Die Mitgliedschaft in dieser großartigen Vereinigung gehört zum schönsten und wertvollsten, das ich in meinem Beruf erleben durfte, sie hat mein Leben reicher gemacht.

Ehrenpräsident E. Witzigmann

Ich bin den Gründern der JRE unendlich dankbar für diese großartige, selbstlose Idee.

Santé, Salute, skâl, Serefe, na zdrowie, jakita, kippis, slauncher, gezuar, toopa, Op uw gezondheid, cheers und Prost auf den Genuss, den guten Geschmack und auf die Kultur, auf unseren Nachwuchs und überhaupt auf alles Schöne!

Copyright Fotos: Katrin Rohde

 

Nostalgie für Gourmets

Sauerbraten, so dachte ich, wäre in seiner Textur, seinem Geschmack und seinem Schnittbild völlig unterschiedlich zum gewöhnlichen Schmorbraten. Als ein gutes Stück deutscher Küchenkultur und Aushängeschild der handwerklichen, gutbürgerlichen Küche meiner Eltern und Großeltern wird Sauerbraten schließlich immer gerne bestellt. Man vertraut diesem Gericht. Ganz besonders sei er, bodenständig, ein Gericht und eine Zubereitungsart, die sehnige, bindegewebsreiche Fleischstücke überhaupt erstmal genießbar macht. Sauerbraten setzt sich in Szene, mit einem Spiel aus Süße und Säure so wie Yin und Yang, sich gegenseitig fordernd und hebend, auflösend, Spannung erzeugend und nicht zuletzt unterschwellige Freud´sche oder Pawlow´sche Funktionen bedienend, die im besten Sinne zur „Küche der Erinnerungen“ gehören. Vielleicht Erinnerungen an eine Zeit, in der die Welt irgendwie unkomplizierter war. Zumindest in der Küche, denn dort wurden vor 30 Jahren ganz einfach Regeln befolgt und für jede Fach-Frage gab es eine Antwort im Der junge Koch, im Hering oder im Duch. Damals, als Sauerbraten groß in Mode war, als berühmte Köche hohe Kochmützen trugen, grimmig mit vor der Brust verschränkten Armen in die Kamera linsten und güldene Ketten (die mindestens so groß waren wie die des Bürgermeisters!) von der Würde des Meisters zeugten, war Sauerbraten ein Gradmesser guten Handwerks.

Diesem Sauerbraten wollte ich nun vor einigen Wochen endlich seine Geheimnisse entlocken, wollte verstehen was beim Säuern, Beizen, Einlegen passiert. Um die Prozesse zu entschlüsseln war es zuerst notwendig, die richtige Herangehensweise festzulegen. Praktische Versuche waren schnell angelegt, viele und präzise Fragen waren soweit klar, doch eine schier unüberwindliche Hürde in der Versuchsanordnung war die Unzahl von auf das zu erwartende Ergebnis einflussnehmenden Details: Rasse, Alter, Fütterungsmethode, Geschlecht des Tieres, von dem das Fleisch stammen sollte. Die Schlachtmethode. Das Fleischteil (welches überhaupt?): Gereift oder ungereift? Pferd? Hammel, die Beize mit Rotwein oder mit Essig und vor allem nach welcher Rezeptur? Kalt oder warm angegossen? Wie lange gebeizt und bei welcher Temperatur? So wie früher bei ungefähr 12°C oder so wie heute bei 2°C? Essig mit 5% oder mit 10% Säure, der Essig aus Rot- oder aus Weisswein gemacht? Traditionell natürlich, mit der Buchenspan-Methode.

Diese vielen Optionen zum Thema haben mich fast in den Wahnsinn getrieben. Die Matrix der Möglichkeiten schien schnell so weit auszuufern, dass ein anderer Ansatz her musste. Das konnte nur gehen, wenn ein heuristischer, meinetwegen semiprofessioneller und handfester Versuchsaufbau frei nach Franz Beckenbauer die Grundlage der Wissens-Ermittlungen wurde: Schaun mer mal, dann sehn mer schon. Also mit begrenztem Wissen und wenig Zeit ein möglichst gutes Ergebnis zu bekommen, war der einzige Weg, sich bei diesem multifaktoriellen Thema nicht unendlich zu verlaufen.

Nach stundenlangem büffeln und pauken, dozieren und fragen, säuern und einlegen wurde gekocht und probiert. Theorie und Praxis, erlerntes Wissen und geschulter Geschmack, Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Handwerk, pragmatischer Schul-Denke und anspruchsvoller Lebensart. Am nachmittag hat die Experten-Runde verkostet und war – völlig überrascht.

Nach 25 Fleischproben wurde klar, was da los ist:

Die Beize dringt selbst nach einer Woche Einlegens kaum mehr als ein bis zwei Zentimeter tief in das Fleisch ein. Dieser gebeizte und auch verfärbte Rand ist deutlich weicher als das Fleischinnere, die Säure hat also hier ihr Werk getan und Bindegewebe aufgelöst.

Im Fleischinneren jedoch ist gar nichts passiert, was auf eine veränderte Struktur zum jeweils ungebeizten, doch geschmorten Referenz-Fleischstück hinweisen würde. Es könnte natürlich sein, dass unterschiedlich kleine Moleküle je nach Polarität, Ladung, Hydrophobizität unterschiedlich tief eingedrungen sind. Doch die vermutete Osmose der gesamten Beizflüssigkeit wurde offensichtlich überschätzt. Vielmehr steht zu vermuten, dass beim Eindringen lediglich Kapillarwirkung eine Rolle spielt. Die Porösität des Fleisches lässt eine Eindringtiefe nur sehr begrenzt zu und so ist nach ungefähr 15mm Schluss. Tiefer dringt die Beize nicht ein und so ist im Inneren alles so, wie es vor dem Beizen war.

Das hat uns ratlos gemacht und wir konnten das Ergebnis zuerst gar nicht glauben. Nach und nach hat sich aber eine mögliche Erklärung abgezeichnet. Unterstellt, dass die saure Beize vor Jahrhunderten in erster Linie eine Konservierungs- oder Aufbewahrungsmethode war, erhält folgende Theorie eine gewisse Wahrscheinlichkeit:

Das Schlachtalter der Tiere lag früher wesentlich höher und es mussten Nutztiere als Lieferanten für wertvolles und hochwertiges Eiweiß dienen, die vorher jahrelang Milch gegeben oder Kärren gezogen haben. Im Fleisch dieser Tiere waren durch Beanspruchung und Lebensalter die Aminosäuren wesentlich stärker vernetzt. Das Muskelfleisch enthielt ein Vielfaches an quervernetztem Kollagen im Gegensatz zu dem Fleisch wesentlich jüngerer Tiere, das heute fast aussschliesslich im Handel ist. Und der Kollagengehalt bestimmt maßgeblich die Biss-Festigkeit, die Textur, die zum Kauen notwendigen Scherkräfte.

Sauer eingelegt wurde damals, solange es keine Kühlschränke gab, im Keller bei geschätzten 12°C bis 14°C. Die Beize hatte keine direkte Weichmacher-Funktion, sondern diente dem Luftabschluss und schränkte die Tätigkeit gefährlicher und unerwünschter Mikroorganismen ein. Kollagenasen konnten nun in dieser geschützten Atmosphäre das an und für sich zähe Fleisch zart machen, weil diese Enzyme bei eben Temperaturen von 12°C bis 14°C aktiv sind und nach einigen Tagen war durch die Enzym-Tätigkeit das zähe Fleisch zart.

Zum heutigen Küchenalltag gibt es allerdings zwei grundlegende Unterschiede:

1.)Weder ist heute Fleisch von alten Tieren im Handel, noch würden wir heute unseren Sauerbraten in der Beize wärmer als 3°C lagern. Bei dieser Temperatur allerdings sind die Kollagenasen inaktiv wie die van t´hoffsche Regel lehrt. Somit erfolgt keine nennenswerte Eiweiss-Aufspaltung durch die Enzyme während der Lagerung in Kühlschrank oder Kühlhaus, dazu ist es einfach zu kalt.

2.)Das Fleisch von jungen Tieren muss erst gar nicht gebeizt werden, weil das Bindegewebe auch durch normales Schmoren zart genug wird. Und das Fleisch von alten Tieren ist heutzutage eben nicht mehr im Handel, spielt im Alltag überhaupt keine Rolle mehr.

Es gibt nun zwei Lehren aus diesen Versuchen. Beide sind richtig, doch im Ergebnis gegensätzlich

1.)    Kein Mensch braucht Sauerbraten. Reifung und Lagerung kann heute anders stattfinden. Hygienischer, praktischer und mit kleinerem Aufwand. Es gibt nach dieser Sichtweise also keinen praktischen Grund mehr, Fleisch sauer einzulegen.

2.)    Das Aroma der Beize wird weitestgehend in der Soße transportiert, nicht im Fleisch selbst. Dennoch oder darum schmeckt Sauerbraten ganz einfach klasse und ist Teil unserer kulinarischen Tradition. Auch Tradition hat ihre Berechtigung in der Küche und wer so kocht dass es gut schmeckt, der hat ganz einfach Recht. Basta.

Jetzt darf sich jeder seine persönliche Lieblings-Schlussfolgerung daraus ziehen, die dann auch noch stimmt. Und das ist, so finde ich, dann doch bei aller geraubten Illusion ein versöhnliches Ergebnis.

Nachtrag vom 15.4., betr. die Kommentare 1 und 2:

zu 1.) Gegen die (hygienische) Lagerung in einer Essigbeize bei etwas höheren Temperaturen spricht im Privat-Haushalt nach meinem Dafürhalten nichts, im gewerblichen Bereich ist das jedoch nicht erlaubt. Allerdings bringt es wohl bei Schlachtfleisch von jungen Tieren kein besseres, weil wir oben beschrieben lange nicht soviel quervernetztes Eiweiss darin enthalten ist. Falls Sie es mit interessanten Ergebnissen dennoch probieren, freue ich mich auf Nachricht.

zu 2.) Salz und Zuckergehalt war immer gleich, gelagert wurden die gebeizten und ungebeizten Fleischteile einzeln im Vakuum-Beutel. Die interessanten Schlussfolgerungen, u.a. dass kaum osmotische Effekte zu beobachten waren, verdanken wir der hervorragenden Arbeit von Thomas Eberle aus Kulmbach, der uns sehr geholfen hat, diese Zusammenhänge zu verstehen.

 

Sauer macht neugierig

Sauerbraten vom Rinder-Bugblatt, geschmort und vakuumiert

Warum hat Sauerbraten eine andere Textur als Schmorbraten? Sauerbraten wird zart, Schmorbraten wird es auch. Doch erscheinen beide in Schnittbild, Geschmack und Mundgefühl unterschiedlich. Schmorbraten ist eher weich und Sauerbraten eher mürbe.

Eine erste, schnelle Erklärung ist sicher, dass die Säure der Beize Eiweiß-Strukturen auflöst. Doch was passiert dabei genau? Welche Prozesse finden während des Beizvorgangs und während des Schmorens statt? Worin unterscheidet sich die saure Reaktion von der thermischen Veränderung des organischen Materials? Wie könnte dieser Prozess optimiert werden oder verändert, um Neues zu schaffen? An welcher Stelle könnten klassische Garmethoden durch neuartige Verfahren abgelöst werden? Kann Sauerbraten gar werden und dabei doch rosa bleiben? Aus welchem Grund überhaupt wird Fleisch sauer eingelegt? Und welche Rolle spielt das Soßenbrot beim Sauerbraten?

Die Beantwortung dieser Fragen übersteigt bei weitem die erlernten Fähigkeiten eines Kochs. Es ist notwendig, hierzu Fachleute zu Rate zu ziehen, die – soviel sei bemerkt- diese Fragen andererseits wahrscheinlich auch nicht ohne einen Koch beantworten könnten.

Weil ich neugierig geworden bin, und weil ich es für notwendig halte, sich auch mit Fleischstücken zu beschäftigen die pro Kilo weniger als Hundefutter kosten, habe ich einige der Leute zusammengetrommelt, die bei der Beantwortung dieser Fragen helfen können:
Erwin Gegenbauer, den Wiener Essig-Brauer
Wolfgang Otto, Spezialist für gutes Fleisch
Thomas Eberle, Fachbereichsleiter Fleischtechnik an der Staatl. Fachschule für Lebensmitteltechnik in Kulmbach
Dr. Erwin Seitz, Gastrosoph und Journalist
Thomas Ruhl, Autor, Fotograf, Herausgeber
Florian Mittermeier, Journalist
Jürgen Koch, Koch
Nils Jorra, Koch
Am Termin selbst verhindert, aber behilflich bei Vor- und Nachbereitung ist Prof. Dr. Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut.

Zuerst hält Dr. Seitz ein Referat über Entstehung und Geschichte von sauer eingelegtem Fleisch, Erwin Gegenbauer erzählt über Essigbrauerei und handwerkliche Herstellung von Essig.
Danach hält Thomas Eberle einen Fachvortrag über
– biochemischen Aufbau der für die Qualität wesentlichen Bestandteile,
– Faktoren, die vor der eigentlichen Zubereitung Einfluß auf Eiweiße haben,
– Veränderungen der Eiweiße beim Säuern und/oder Erwärmen

Der eigentliche Versuchsaufbau soll so aussehen:
3 Fleisch-Teile (Semer-Rolle, Mittelbug, Bürgermeisterstück)
von
3 verschiedenen Rassen (Fleckvieh, Hereford, Wagyu)
werden sauer eingelegt, in dieselbe Beize.

Dieselben Fleischteile werden zum Vergleich nature belassen.

Zusätzlich werden per wild card noch Fleischteile vom Pferd und von der Kuh in die Versuchsreihe mit einbezogen.

Alle Fleischteile werden im Wasserbad solange geronert bis sie zart sind, danach angebraten. So wird gradgenau festgestellt, wie lange welches Fleischteil bei exakt derselben Temperatur gebraucht hat, um zart zu werden.

Verglichen wird dann:
– Was genau ist der Unterschied zwischen sauer eingelegt und nature gekochtem Braten in Bezug auf Farbe, Geruch, Geschmack, Textur und Schnittbild?
– Wie präsentieren sich die unterschiedlichen Fleischteile der unterschiedlichen Rassen, welche Teile eignen sich also am besten, um daraus Sauerbraten herzustellen?

Die Protagonisten versuchen, jeder als Experte auf seinem Gebiet, interdisziplinär einer vermeintlich einfachen Fragestellung nachzugehen, deren Beantwortung allerdings hochkomplex ist. Niemand weiß, wie die Ergebnisse aussehen werden und wenn nichts wirklich Wegweisendes dabei herauskommt, dann haben wir es wenigstens versucht. Auch steht noch nicht fest, was mit den Ergebnissen passiert, denn wir wissen ja noch nicht, was bei unseren Versuchen herauskommt. Es geht zuerst nur um die Sache, alleine nur um die Beantwortung der gestellten Fragen.

Die Veranstaltung findet am 3.April bei mir in Rothenburg in der Kochschule statt und die Kommentar-Schreiber sind aufgefordert, hierzu gerne noch Anmerkungen beizusteuern. Gute Ideen und wichtige Fragen werden wir soweit als möglich mit ins Programm aufnehmen.