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Neugierig bleiben!

Der Kollege Ottenbacher aus Asperg war essen in der Arnsbourg bei dem großartigen Koch George Klein. Unter anderem gab es Rohe Auster mit Cola-Schaum und Limonengelee. Meine Sache sind solche Gerichte und Experimente gar nicht und trotzdem muss so etwas sein:

Es geht um die Neugierde, die den Kindern schon ausgetrieben wird und die allgemein als Laster gehandelt wird. Die Menschheit wäre aber ohne diesen Aspekt heute noch auf Steinzeitniveau. Ein Wissenschaftler ohne Neugierde hat seinen Beruf verfehlt. Ein Koch den nicht die Neugierde umtreibt ebenfalls.

Deshalb sind alle neuen Kreationen für unseren Beruf wichtig, ob sie Bestand haben werden, das ist eine andere Geschichte. Bei der Zutat Coca-Cola habe ich gewisse Zweifel. Für mein Verständnis sind solche Kombinationen zu weit von der Natur entfernt. Aber, müssen alle Köche Naturköche sein wie ich? Bestimmt nicht. Mir ist, und das jetzt nochmal subjektiv obendrauf, die Molekularküche zu sehr mit der Chemie der Nahrungsmittelindustrie behaftet.

 

Wurst, Weihnachten, WEIN!

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Illustration: Nikolaus Heidelbach

Vielleicht haben Sie von den Büchern aus dem Dumont-Verlag, Wurst und Weihnachten, etwas gehört? Mit meinem Freund Wiglaf Droste zusammen schreiben wir so allerhand.

Ganz auf Weltniveau, sozusagen allerhand, bewegt sich allerdings der Dritte im Bunde. Der Maler/Zeichner Nikolaus Heidelbach ist eigentlich die Triebfeder der Bücher. Um uns beide in Schwung zu bringen reiste er gestern mit seiner Zeichenmappe an und servierte uns Kostproben. Das in Vorbereitung dräuende Buch bei Dumont hat den Titel Wein. Ganz und gar nicht wird das übliche Weingeschwafel drin stehen.

Das Bild zeigt natürlich nicht die Schaumgeborene der griechischen Mythologie sondern den Geist aus dem Glas.

 

Teure Milch=glückliche Kuh?

Von Anfang an bin ich Mitglied bei foodwatch und gestern kam diese Nachricht:

Stehen Sie manchmal auch vor dem Milchregal und fragen sich, ob es einen Unterschied gibt zwischen der Milch, die 60 Cent kostet, und der, die 1,20 Euro kostet? Gibt es für 1,20 Euro eine bessere Qualität? Und haben die Bauern etwas davon? Bekommen sie einen besseren Preis für ihre Milch?
 
Für den Bauernverband ist alles ganz einfach: Schuld sind die Discounter, die den Bauern niedrige Preise aufdrücken.
 
Was tun? Teure Milch kaufen? Dass das nicht funktioniert, hat foodwatch jetzt am Beispiel der Landliebe-Landmilch von Campina dokumentiert. Sie kostet im Supermarkt pro Liter etwa 1,20 Euro, das heißt 50 Cent mehr als Discounter-Milch. Und zwar, weil sie angeblich „Milch von höchster Qualität“, von „kontrollierten Höfen“ aus „artgerechter Tierhaltung“ ist. Die Bauern, die Landliebe-Milch liefern, haben davon allerdings wenig. Bei ihnen kommt weniger als 1 Prozent des Mehrpreises an. Und: Der größte Teil fließt nicht etwa an den viel gescholtenen Einzelhandel, sondern an die Molkerei Campina.
 
Wenn Sie also teure Landliebe-Milch kaufen, verdienen nicht die Landwirte, sondern die Molkerei besonders gut. Und eine bessere Milch bekommen Sie für den Preisaufschlag auch nicht. Sie bezahlen vor allem für ein ausgebufftes Marketingkonzept, denn nachprüfen können Sie die Werbeversprechen von Landliebe nicht. Ein Prüfsiegel, das die Einhaltung gesetzlich festgelegter Richtlinien für beispielsweise Tierhaltung garantiert, gibt es nur für Bio-Milch. Und für diese bekommen Landwirte auch einen höheren Abnahmepreis.
 
Unsere Empfehlung für den nächsten Einkauf: Greifen Sie ruhig zur billigen Milch; weder Sie, noch die Landwirte oder die Milchkühe haben einen Vorteil von teuren Milchmarken wie Landliebe. Wenn Sie aber wollen, dass die Landwirte und ihr Milchvieh von einem höheren Ladenpreis der Milch profitieren, dann wählen Sie Bio-Milch.
 
Mehr Informationen zu Landliebe und anderen Werbelügen finden Sie auf der neu gestalteten Kampagnenseite http://www.abgespeist.de

 

Bär ja – aber nur noch Wurz!

Die Wielandshöhe bleibt bärlauchfreie Zone. Eigentlich ist es ja ein wunderbares Kraut, aber weil es an allen Ecken und Enden wächst, also nix koscht, glauben viele, man müsste es sich in großen Mengen ins Maul stopfen. Ich hatte den Supergau bei einem Kollegen, als nach einem Bärlauchpüree mein Atem die Einrichtung des Restaurants verbrannte und es zum Dessert dann auch noch ein Bärlauchsorbet gab. Danach fand ich wegen Mundgeruchs monatelang keinen sozialen Anschluss mehr. Am Herd stand damals ein sogenannter “Junger Wilder”. Das ist eine Spezies von Koch, die weder Tod noch Teufel scheut. Also echte Künstler, die über den Knockout eines Gastes nur müde grinsen.
Ich habe es natürlich auch mit dem Bär, mache aber gerne das Gegenteil wie alle anderen. Bärwurz ist etwas ganz wunderbares. Er ist sozusagen der grüne Internist, gibt einen reinen Atem und schmeckt wie starker Kerbel.
Das doldenblütige Kraut wird in Schottland häufig verwendet. Von weitem sieht es aus wie Scharfgarbe.
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Die Wurzeln sind in der Heilkunde schon seit Hildegard von Bingens Zeiten in heftigem Gebrauch. Im Erzgebirge macht man aus dem Kraut die Köppernickel-Suppe. Bärwurz ist:

aphrodisierend, appetitfördernd, entblähend, entgiftend, entschlackend, harntreibend, herzstärkend, magenstärkend, menstruationsfördernd, tonisierend, verjüngend, wärmend, windtreibend,

Anwendungsbereiche: Altersschwäche, Appetitlosigkeit, Blähungen, Blasenerkrankungen, Darmkatarrh, Gelbsucht, Gicht, Hautausschläge, Herzschwäche, Hysterie, Koliken, Menstruationsbeschwerden, Migräne, Nierenleiden, Stress, Verdauungsstörungen, Vergiftungen, Weißfluss.

Da sage ich nur “Mamma Mia!”

 

Was ist edel?

Am Montagabend war ich bei Vincenzo. Er betreibt das Restaurant “La Fenice” in Stuttgart. Sein Schwester Rosanna kocht wunderbar und der Padrone bedient mit seiner Schwester und einem Freund. Ich fühle mich dort sauwohl. Ein wirklich rundum sensibel eingerichtetes und betriebenes Restaurant. Man könnte es elegant nennen, aber die Eleganz ist von einer seltenen Duftigkeit und ohne jeden Protz.
Ich sage Restaurant, zum einen, weil ich selbst eines betreibe, zum anderen um darauf aufmerksam zu machen, dass McDonalds die Chuzpe hat, unter diesem klassischen Namen auf den Putz zu hauen.

Vincenzo betreibt also ein Ristorante und keine Pizzeria. Dann lese ich in einer Zeitung, da wird dieser Ort als “Edelitaliener” genannt. Was hat jetzt das zu bedeuten? Was ist edel? Die Einrichtung, die Gäste, die Unterwäsche des Chefs oder das Outfit des Personals?
Oft wird der Ausdruck gebraucht, nicht wegen des Essens, sondern wenn das Ambiente klasse ist und erst recht die Preise. Ich gebrauche zwei Wort nie: “Edel und fein!” Beide Begriffe – verwendet, um eine Qualitätskategorie zu bezeichnen – haben für mich das Odeur des Unwahren, der dubiosen Oberflächlichkeit und letztlich des unechten Schimmers. Ich weiß, darüber könnte man jetzt tagelang diskutieren. Ich geh’ jetzt wieder kochen.

 

Was mir so richtig auf die Nerven geht?

Das sind Weine aus Deutschland, die 13% bis 14% Alkohol haben. Wenn man bedenkt, dass Portwein 16% hat, dann greift man sich an den Kopf. Nichts gegen Barolos und diverse Côtes du Rhone. Diese Weine sind trotzdem bekömmlich, weil sie über genügend Tannine und Extrakte verfügen. Bordeauxweine, die mit 12,5 % Kraft und Finesse haben, werden jedoch auch immer seltener.

Ich kann mir einen Reim darauf machen, woher das alles kommt. Alle Welt trinkt glasweise den Wein im Fingerhutbereich. Da muss der erste Schluck schon voll und angenehm den Mund erobern, da beim zweiten Schluck das Glas bereits leer ist. Wirklich guter Wein ist selten anschmeißerisch, sondern bietet Widerstand. Schluck für Schluck erschließt er sich. Deshalb bestelle ich nie glasweise, sondern eine Flasche. Mache ich das mit einem Deutschen Vierzehnprozenter Spätburgunder oder Lemberger etc., so ist mir nach dem zweiten Glas schlecht. Mit den von Idioten gekelterten, auf den Ami-Markt schielenden Cabernet-Toskanern geht es mir genauso.

 

Brettharte Schürze

Kürzlich band ich mir die Schürze um. Sie umgab mich wie ein Betonrohr. Im Lokal schepperte es bei jedem Schritt, als würde man mit Sperrholz herumkloppen. Die Wäsche war bretthart gestärkt und ich rief die Wäscherei an, sie solle doch bitte die wertvolle Stärke nicht an mir verschwenden.

Dann erinnerte ich mich an einen Restaurantbesuch bei einem Italiener. Dort waren die Servietten selbst gewaschen und ungestärkt gebügelt. Nie habe ich mir meinen Mund angenehmer abgewischt. Mir ging ein Licht auf. Meine Gäste sollen sich in Zukunft nicht die Lippen an perfekt gestärkten und gebügelten Lippen aufreißen. Finito, es wird nicht mehr gestärkt. Damit sind wir etwas außerhalb der zentraleuropäischen Vorstellung, dass Hochkultur unbedingt weh tun muss. Muss sie nämlich nicht, wenn man seinem gesunden Menschenverstand folgt.

 

Kalb? Nur noch im Ganzen!

Hätte ich einen normalen Privathaushalt, nicht meine Metzgersausbildung, meinen Kochberuf und all die Vorraussetzungen, die mir den Überblick geben, wäre ich wahrscheinlich Zwangsvegetarier.

Beim Kalbfleisch lasse ich mich auf gar nichts mehr ein. Immer wieder wurde versucht, mir irgendwelches Mastfleisch unterzujubeln. Damit ist jetzt ein für allemal Schluss. Wir haben nun ein ganzes Kalb bestellt. 80 kg, schwerer will ich es nicht haben. Kürzlich sprach ich mit einem Metzger, der behauptete, das würde es gar nicht geben. Ich weiß wo ich so etwas herkriege und ich will es nicht zerteilt, denn nur so kann ich wirklich die Qualität beurteilen. Nun habe ich auch die Papiere, kenne die Adresse des Bauern, u.s.w..

Wir haben das Champagnerkühlhaus ausgeräumt und dort die Haken angebracht um unsere ganzen Tiere abzuhängen. Die Kühlhaustüre darf nämlich nicht wie beim normalen Versorgungskühlraum ständig geöffnet werden, denn mit jedem Öffnen dringt Feuchtigkeit in den Raum und kondensiert auf dem Fleisch. Das ist gar nicht gut, denn es wird dadurch schmierig.

Die Leber haben wir heute auf die Karte genommen, morgen gibt es Salat von Kalbszunge und rosa gebratenem Herz. 

 

Tafelberg

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kaum zu glauben, dass ich das noch erleben darf.
In Stuttgart schlängelt sich die Neue Weinsteige von Degerloch ins Zentrum. An der U-Bahnstation Dobelstraße biegt die Dobelstraße ab. Genau an der Abzweigung hat ein junges Paar ein Restaurant eröffnet. Sie bedient und er kocht. Kräuter-Meerrettichmousse mit Roten Beten und einer Gemüsevinagrette, Kraftbrühe mit gefülltem Flädle, Perlhuhnbrust mit Kräutersoße, Nudeln und Karotten, Lammkeule mit Kartoffelgratin. Alles war sehr, sehr gut zubereitet. Richtig erfreut hat mich das Fehlen allen überflüssigen Lamettas, den Gekruspel auf dem Teller, jegliches Fehlen von Nonsens, Soßenpünktchen und sonstiges Tellerpainting. Gute Köche gibt es immer mehr, aber dieser, der hat wirklich seinen Kopf gut sortiert. Es kommt nicht nur darauf an, ob man gut kocht, sondern auf die Dauer ist die “Haltung”, Geradlinigkeit für den geschäftlichen Erfolg wichtig. Im “Tafelberg” ist das so.

Mit Frau, zwei Flaschen Grünem Veltliner war der Abend allerdings skandalös preiswert. Die Vorspeise kostete 4,50 und beispielsweise die Perlhuhnbrust 13.50. Liebe Kollegen, ich muss warnen. Die Kalkulation mag grob besehen stimmen. Die Warenkosten sind aber nicht das Problem, sondern all die Abgaben, an die kein Mensch denkt, wenn er den Laden aufmacht. Ihr müsst Geld auf die Seite schaffen. Am Anfang muss man keine Steuern zahlen, aber die Keule kommt garantiert. Tja, und dann ist jeder Cent investiert und der Jammer groß.
Restaurant Tafelberg, Nina u. Florian Ruisinger, Dobelstr. 2, 0711-51890268
www.tafelberg-stuttgart.de

Nichts wie hin, nicht weil es so billig ist, verdammt, nein, sondern weil es so dort gut schmeckt.

 

Nochmal Hamburg

Hauptbahnhof im Untergeschoss. Dort residiert “Jürgen Blins Bier-und Snackbar”. Jürgen Blin ist ein Mann den ich bewundere. Gelernter Metzgermeister, wurde er Europameister im Schwergewichtsboxen, obwohl er gar kein Schwergewicht ist. 1971 schlachtete er seine Säue, dann fuhr er nach Zürich und boxte sieben Runden lang gegen den um einen Kopf größeren Muhammad Ali. Das war eine Spitzenleistung. Zwei Tage später war er wieder in der Metzgerei am Schaffen. Ein Jahr später wurde er Europameister und das war für ihn die Krönung. Man kann sich das heute, im Zeitalter der Masseure, Coachs und Energiedrinks kaum mehr vorstellen. Er war immer sparsam und zielstrebig. Das ist er heute noch. Er musste ganz neu beginnen, weil er sein ganzes Erspartes verlor. Er hatte für einen seiner Söhne gebürgt. Seine Devise ist: “Du musst immer wieder aufstehen.”

Ihm zu Ehren hatte ich den Hauptbahnhof nach seiner Bleibe abgesucht und trank dort ein Bier. Dann ins Taxi und ins Hotel. Der Fahrer war ein Pakistani und am Armaturenbrett prangte das Foto eines bildhübschen Buben. Ich sagte zum Fahrer: “Ist das ihr Sohn?” “Ja!” Ich hielt dann eine längere Rede, um dem Mann eine Freude zu machen: “Ihr Sohn wird mal berühmt, der macht Karriere, das sehe ich jetzt schon.” “Was? Wie wissen Sie das?” “Ich bin Profi auf dem Gebiet, wenn ich das sage, dann ist das so!” Der Mann strahlte überglücklich. Am Hotel verlangte ich die Rechnung und durfte nicht zahlen. “Nein, so eine gute Nachricht, ich kann kein Geld von ihnen verlangen!” Ich gab ihm fünf Euro Trinkgeld und hinterließ einen überglücklichen Vater.