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Carsten S. entschuldigt sich – das Medienlog vom Donnerstag 20. Juni 2013

 

Überforderte Nebenkläger und eine Entschuldigung – das sind die Kernthemen nach dem zwölften Verhandlungstag. Und es gibt neue NSU-Akten – aus Sachsen.

  An jedem Werktag fassen wir im NSU-Prozess-Blog die wichtigsten Medienberichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de

Keinen Beitrag: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung („Im Vordergrund stand, Spaß zu haben“) beschreibt detailreich den Versuche von S., seine Entschuldigung vorzubringen. Mit seinen Ausführungen verlasse der Angeklagte aber „nur selten die Ebene des Generellen“, schreibt Helene Bubrowski. Zur konkreten Aufklärung der Taten „scheint er keinen Beitrag leisten zu können oder – so zuweilen der Eindruck – zu wollen“.

Unsortierte Fragen: Auch Gisela Friedrichsen beschreibt auf Spiegel Online S‘. Auftritt und widmet sich dann den „zum Teil unsortierten“ Fragen der Opferanwälte. Deren Sinn erschließe sich nicht immer, manche seien unverständlich. „Warum soll es unter Juristen auch anders zugehen als in anderen Berufsgruppen“, analysiert Freidrichsen: „Es gibt Profis, erfahrene Kämpfer vor den Schranken der Gerichte, und andere, deren Fähigkeiten auf anderen Gebieten liegen mögen.“ Hier im Gerichtssaal seien auch Vertreter der zweiten Gruppe anzutreffen.

Authentische Entschuldigung: Seine Entschuldigung trug der Angeklagte Carsten S. zwar stockend vor, sie wirke aber in ihrer Unbeholfenheit ehrlich und authentisch, kommentiert Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Schultz hebt außerdem eine Frage des Bundesanwalts hervor: Dieser wollte von S. wissen, ob es einen Zusammenhang gegeben habe zwischen dem Entschluss, aus der Szene auszusteigen und dem mutmaßlichen ersten Mord in Nürnberg.

Der Autor resümiert: „Die Befragung von Carsten S. durch die vielen Nebenklage-Vertreter war in dieser Woche zeitweise zäh, was auch an der Qualität der Fragen lag.“ Die Verteidiger der Nebenkläger hätten viele Suggestivfragen gestellt.

Für Tom Sundermann, Autor von ZEIT ONLINE, ist die Entschuldigung von S. „der logische Abschluss seines Geständnisses“.

Fünf Jahre Prozessdauer? Der Meinung ist auch Stefan Geiger, der in der Frankfurter Rundschau schreibt: „Jetzt heben überforderte Nebenkläger-Anwälte zu Fragen an, die sie nach der Strafprozessordnung so wohl nicht stellen dürfen: Suggestivfragen, emotional aufgeladene Fragen, Fragen, die ins Blaue zielen.“ Außerdem resümiert Geiger, dass sich schon wenige Wochen nach Beginn des Prozesses zeige, dass er wesentlich länger als zweieinhalb Jahre dauern wird. Der Autor vermutet sogar fünf Jahre oder mehr Prozessdauer und begründet das mit den vielen Nebenklägern und der lange dauernden Vernehmung

Warum erst jetzt?: Lena Kampf betrachtet auf stern.de die Entschuldigung des Angeklagten aus der Sicht der Nebenkläger. S. spreche die Angehörigen der Opfer direkt an, doch von ihnen sei niemand mehr im Saal. Die Autorin zitiert Ismail Yozgat, den Vater des in Kassel ermordeten Halit Yozgat: Dieser frage sich, warum S. sich jetzt erst entschuldige: „Warum nicht, als wir alle dort waren?“

Die Europa-Ausgabe der türkischen Zeitung Sabah stellt die Entschuldigung des Angeklagten Carsten S. ebenfalls in den Mittelpunkt und titelt: Der Geständige entschuldigt sich.

Erneut sind NSU-Akten aufgetaucht: über das mögliche Unterstützer-Umfeld der Terrorgruppe, insgesamt drei Aktenordner. Unter anderem Spiegel Online greift diese Recherche der Leipziger Volkszeitung auf. Laut SPON enthalten die Dokumente des sächsischen Verfassungsschutzes unter anderem Informationen über die rassistische Vereinigung Ku-Klux-Klan, das rechtsextreme Netzwerk Blood & Honour und die 2000 im NSU-Umfeld durchgeführte Abhör-Operation Terzett. Laut einer späteren Mitteilung des Landesverfassungsschutzes entdeckten Mitarbeiter die Akten bei der Aufarbeitung von Altbeständen.

Andere Medien, darunter der Deutschlandfunk, berichten, dass Sachsens Innenminister Ulbig nach dem Fund den stellvertretenden Verfassungsschutzchef Vahrenhold versetzt hat.

Wieder keine Berichte in englischsprachigen Medien.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, den 21. Juni.