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Verlorene Zeit und unpassende Sprache – das NSU-Medienlog vom Mittwoch, 10. Juli 2013

 

Die Medienberichte drehten sich vor allem um den Mord an Enver Şimşek vor 13 Jahren, um den es am 20. Verhandlungstag ging, sowie um den Mitangeklagten Holger G.

Thies Marsen vom Bayerischen Rundfunk etwa hat mit zwei Anwälten der Familie Şimşek gesprochen. Verteidigerin Seydan Keldi-Elwan sagte dem BR, es sei zu viel Zeit vergangen, viele Zeugen könnten sich nicht mehr gut erinnern. Ein Beamter, der am Tatort war, sei inzwischen verstorben.

An jedem Werktag fassen wir im NSU-Prozess-Blog die wichtigsten Medienberichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Marsen beschreibt außerdem in einem weiteren Beitrag, warum es auch erfahrenen Gerichtsreportern schwer falle, im NSU-Prozess den Überblick zu behalten. Das Oberlandesgericht hüpfe bei seiner Verhandlungsführung von einem Tatbestand zum nächsten und wieder zurück. Ein gutes Beispiel sei der 20. Prozesstag, an dem es um drei verschiedene Tatkomplexe ging: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Brandstiftung und Mord.

„Chronologisch geht es zur Zeit nicht voran“, stellt auch Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online fest. Zu Holger G. schreibt sie, dass seine Aussagen nicht zusammenpassen und nennt Beispiele. Es gehe bei ihm immer hin und her; er habe offenkundig nicht immer die Wahrheit gesagt. „Der Eindruck, er spiele vor allem seine Nähe zum Rechtsterror gehörig herunter, verstärkt sich, je mehr über seine vielen Aussagen bekannt wird“, kommentiert Friedrichsen.

In der Lokalzeitung Welzheimer Zeitung fasst Autor Helmut Buchholz die Aussagen von Holger G. mit „mein Name ist Hase, ich wusste von nichts“ zusammen. Annette Rammelsberger konzentrierte sich in der Süddeutschen Zeitung auf den Antrag des Angeklagten André E.: „Angeklagter will nicht mehr an Verhandlungen teilnehmen.“ Tom Sundermann hebt auf ZEIT ONLINE die offensichtliche Kaltblütigkeit des Mordes an Enver Şimşek hervor („Şimşeks Mörder waren im Blutrausch“). Einen ausführlichen Bericht zum 20. Verhandlungstag veröffentlichte auch die Thüringer Allgemeine („‚Er hechelte noch: Wie die Nürnberger Polizei das erste NSU-Opfer fand.“)

Schon die Berichterstattung über die NSU-Morde war von unangemessener Sprache geprägt – der 20. Verhandlungstag offenbar auch: „Es war der Tag der unpassenden Sprache im NSU-Prozess“, kommentiert Holger Schmidt in seinem Blog. Als Beispiel führt er an, dass der Polizist auf die Frage, woran er gemerkt hätte, dass Şimşek noch lebe, unwidersprochen mit „er hat noch gehechelt“, antwortete. „Bin ich der einzige, den das gestört hat?“, fragt sich Holger Schmidt in seinem Blog. Das Wort „hecheln“ werde im normalen Sprachgebrauch für Tiere benutzt, dass sollten auch Polizeihauptmeister und Rechtsanwälte wissen, so Schmidt. Besonders die Anwälte kritisiert Schmidt dafür, dass sie das Wort aufgreifen und wie selbstverständlich benutzen.

Lena Kampf hat für stern.de den Grünen-Politiker und Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, Wolfgang Wieland, interviewt. Beate Zschäpe sei die Einzige, die umfassend Dinge erklären könne, auch die, die der Untersuchungsausschuss nicht habe klären können, sagt Wieland. Deswegen wünsche er sich ein Geständnis. Die subjektive Seite könne ohnehin nur Zschäpe selbst erklären. In München ginge es auch um die Unterstützer, die auf der Anklagebank sitzen. Die Hauptlast aber trage die Zivilgesellschaft.

Viele deutsche Medien meldeten außerdem, dass der NSU-Prozess voraussichtlich bis Ende 2014 dauert. Das Gericht hat den letzten Verhandlungstag auf den 18. Dezember 2014 festgelegt. Frank Jansen vermutet im Tagesspiegel allerdings, dass der Prozess noch länger dauere, weil unter anderem die Befragung der Zeugen nur mühsam vorankomme. Die Verschiebung meldet auch das englischsprachige Nachrichtenportal the Local, das türkischsprachige Nachrichtenportal sonhaber (die Morde werden hier im übrigen als „Dönermorde“ bezeichnet), sowie die Tageszeitung Evrensel, die auch den Verhandlungstag kurz zusammenfasst.

 Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, den 11. Juli.