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Falscher Verdacht und Gratis-Champagner – das Medienlog vom Freitag, 2. August 2013

 

In der Berichterstattung über den 31. Verhandlungstag steht die Frage im Mittelpunkt, warum die Ermittler so lange in die falsche Richtung ermittelten. „Vor Gericht wurde heute klar, warum die Fahnder so lange an Organisierte Kriminalität als Hintergrund der Taten glaubten“, heißt es etwa im Deutschlandfunk. Der Autor schildert die Aussage des Zeugen Albert Vögeler von der polizeilichen Sonderermittlergruppe Soko Bosporus. Darin ging es um die Irrwege, auf denen die Beamten so erfolglos die Täter suchten. Ein Thema, das vor allem türkische Medien interessiert: So stehen die Ermittlungsfehler in der türkischsprachigen Zaman im Vordergrund.

 An jedem Werktag fassen wir im NSU-Prozess-Blog die wichtigsten Medienberichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Frank Jansen vermutet im Tagesspiegel, der Beamte Vögeler habe in seiner Aussage ein Steuerverfahren gegen den ermordeten Nürnberger Blumenhändler Enver Şimşek auch deswegen erwähnt, um die verfehlte Ermittlungsstrategie zu rechtfertigen. Seltsam findet Jansen die weiteren Details, die der Zeuge nannte: „Und er erwähnte,  Şimşek ‚habe am Muttertag 2000‘ die Absicht geäußert, seinen Blumengroßhandel zu verkaufen, um in seiner Heimat, dem hessischen Schlüchtern, eine Koranschule zu eröffnen. Was diese Details mit dem Mord zu tun haben könnten, sagte der Polizist nicht.“

Die Aussage des Polizeibeamten war auch Thema in der Frankfurter Rundschau („Fahnder auf der falschen Fährte“). Autor Christian Gottschalk erwähnt, dass die Kinder des Ermordeten, Semiya und Abdulkerim Şimşek im Gerichtssaal anwesend waren. „Der Gerichtssaal gerät phasenweise zum Untersuchungsausschuss“, schreibt der Autor und kritisiert zudem, dass an einem Tag drei verschiede Mordfälle verhandelt wurden. Der Bericht ist ebenfalls in der Berliner-Zeitung veröffentlicht, unter dem Titel: „Das Münchner Riesen-Puzzle“.

Susanne Stemmler kritisiert in den Nürnberger Nachrichten ebenfalls die „Chaotische Verhandlungsführung“. Zunächst widmet sie sich allerdings den Anwälten Wolfgang Heer und Anja Sturm, die laut einem Bericht der Münchner Abendzeitung in einem Vier-Sterne Hotel residieren sollen.

Diesem Bericht widmet sich Holger Schmidt auf seinem Blog ausführlicher. Die Zeitung berichte über Gratis-Champagner und horrende Zimmerpreise und suggeriere, diese müssten vom Steuerzahler bezahlt werden. Das sei allerdings so nicht richtig, wie Schmidt anschließend erläutert.

Der Beamte Albert Vögeler sei ein erfahrener Mann, der Druck standhalte, schreibt Tom Sundermann auf ZEIT ONLINE („Zu viel lenkte Ermittler vom Rechtsterror ab.“) Die Konfrontation mit seiner zurückliegenden Arbeit sei jedoch wohl noch nie so direkt gewesen wie an diesem Verhandlungstag. Er erinnert an die drängendste Frage der Nebenkläger: Warum ermittelten die Nürnberger nach den Morden an den Einwanderern in alle möglichen Richtungen – nur nicht nach rechts? Sundermann versucht eine Antwort: „Weil andere Spuren offenbar zu verlockend erschienen.“

Die Befragung des Kriminalbeamten durch die Nebenkläger habe dazu beigetragen, die Opfer der Mordserie zu rehabilitieren, resümiert Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. In der Thüringer Allgemeinen zitiert Kai Mudra Semiya Simsek, die Tochter des Ermordeten Şimşek mit den Worten: „Ich wollte aus dem eigenen Mund des Ermittlers hören, dass der Verdacht zu keinem Ergebnis geführt hat.“

Eine Meldung zum Verhandlungstag auch auf dem türkischsprachigen Online-Portal Dünya Bülenti.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, den 5. August.