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Zähe Befragung eines Szenemitglieds – das Medienlog vom Freitag, 8. November 2013

 

Als wortkarg beschreiben die Prozessberichte den Zeugen Frank L., den das Gericht am 53. Verhandlungstag vor Gericht vernahm. L. betrieb in Jena im Jahr 2000 den Szeneladen Madley, sein Mitarbeiter Andreas S. soll damals die Mordwaffe verkauft haben. Richter Götzl versuchte entschieden und fordernd, L. zum Reden zu bewegen, wie unter anderem Julia Jüttner auf Spiegel Online beschreibt.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

„Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl duldet keine wortkargen Aussagen, schonungslos nimmt er den nicht allzu auskunftsfreudigen Zeitgenossen ins Kreuzverhör“, beschreibt Julia Jüttner auf Spiegel Online die Vernehmung L.s. In zähem Rhythmus „peitscht Götzl den widerspenstigen Zeugen durch die Befragung, presst jede Silbe aus ihm heraus“.

„Der Zeuge will oder kann nicht in Zusammenhängen sprechen“, stellt auch Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung fest. Beispielhaft gibt der Autor L.´s Antwort wieder, als Götzl sich erkundigt, ob er die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe persönlich kannte. Wie auch Jüttner von Spiegel Online dokumentiert er in seinem Bericht den Dialog wörtlich, Zeile für Zeile:

Richter Götzl: Kannten Sie Herrn Böhnhardt?

Zeuge: Ja, vom Sehen her.

Götzl: Bei welcher Gelegenheit?

Zeuge : Früh in der Jugend mal beim Mopedfahren. Vom Laden her. Jena ist halt nicht sehr groß.

Götzl: Wie gut kannten Sie ihn?

Zeuge: Nur vom Sehen her.

Götzl: Wie häufig hatten Sie Kontakt zu ihm?

Zeuge: Nur wenn man sich mal zufällig getroffen hat.

Götzl: War er Kunde bei Ihnen?

Zeuge: Ja, der war ein paar Mal da.

Götzl: Was hat er gekauft?

Zeuge: Klamotten oder Schuhe. Vielleicht auch mal ’ne CD. Ich weiß es nicht.

Götzl: Kannten Sie Herrn Mundlos?

Zeuge: Im gleichen Verhältnis.

Auch Frank Jansen vom Tagesspiegel hat das Vorgehen des Richters offenbar beeindruckt: „In schneidendem Ton erinnert er Frank L. an seine ‚Wahrheitspflicht‘.“, schreibt er. „Und Götzl lässt nicht locker. Stundenlang befragt er den Zeugen. Dann treibt er Frank L. in die Enge, als er ihm dessen Aussagen vom Januar 2012 gegenüber dem BKA vorhält.“ Damals, der NSU war zwei Monate zuvor aufgeflogen, hatte Frank L. nicht nur Ralf Wohlleben belastet, der den NSU unterstützt haben soll. Auch einen Mitarbeiter L.s, der in einer Vernehmung zugab, dem Mitangeklagten Carsten S, die Tatwaffe gegeben zu haben, mit einem Schalldämpfer und Munition. Jansen beschreibt, wie unsicher L. im Gespräch mit dem Richter auftritt. „Immer wieder blickt er zu Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben. Zschäpe mustert ihn, verzieht aber keine Miene. Wohlleben schaut weg. Und Frank L. stottert weiter.“

Insgesamt 17 Mal habe L. seine damalige Vernehmung unterschrieben“, präzisiert Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen und resümiert: „Die intensive Befragung durch Richter Götzl und anschließend durch die Nebenkläger machen deutlich, dass im Umfeld des Zeugen und in seinem Bekanntenkreis zahlreiche Neonazis gewesen sind. Frank L. selber räumt im Verlauf des Tages ein, dass das Madley ein Szeneladen für Rechtsextreme gewesen sei. Sich selber bezeichnet er als ‚Nationalist‘.“

Vor Gericht sitze nicht ein gedächtnisschwacher Zeuge, sondern eine zentrale Figur aus der rechten Szene von Jena, stellt Tom Sundermann auf ZEIT ONLINE fest. L. sei für den Prozess durchaus interessant, die Frage sei: „Wusste L. damals, welcher Ideologie Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe folgten? Könnte er heute bezeugen, dass sich die Kameraden für den bewaffneten Widerstand begeisterten?“

Holger Schmidt widmet sich auf seinem Blog der Diskussion um die Befragung der 91-jährigen Zeugin aus der Zwickauer Frühlingsstraße. Sie soll vernommen werden, um herauszufinden, ob jemand bei ihr klingelte, kurz nachdem dort der Brand ausgebrochen war. Dass die gesundheitlich geschwächte Frau nicht nach München reisen könne, hätten alle Beteiligten akzeptiert, schreibt Schmidt. Jedoch gehen die Meinungen darüber auseinander, in welcher Form sie gehört werden soll: Einige Nebenkläger finden laut Schmidt, dass auf die Vernehmung komplett verzichtet werden kann, die Zschäpe-Verteidiger wollen die Zeugin im Heim aufsuchen und die Bundesanwaltschaft hält eine Videovernehmung für ausreichend. Insgesamt dürfte nach Schmidts Auffassung die Vernehmung der Zeugin ohnehin nicht viel bringen. Denn selbst wenn sie sich an ein Klingeln erinnern könnte, ließe sich nicht feststellen, ob Beate Zschäpe oder die Familie der Dame geklingelt habe.

Auch die türkischsprachige Tageszeitung Sabah veröffentlicht einen kurzen Bericht zum Prozess, keine Berichte jedoch in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 11. November 2013.