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Streit um die Ermittlungsakten zum Fall Andreas T. – das Medienlog vom Mittwoch, 4. Dezember 2013

 

Der ehemalige Verfassungsschützer Andreas T. hat am 63. Prozesstag zum zweiten Mal vor Gericht ausgesagt. Er chattete am 6. April 2006 im Internetcafé von Halit Yozgat als dieser ermordet wurde. Allein die Tatsache, dass sich ein Verfassungsschützer bei einem NSU-Mord am Tatort aufhielt, habe Spekulationen ausgelöst, doch T.´s anschließendes Verhalten habe die Sache nur noch schlimmer gemacht, schreibt Jochen Neumayer von der Deutschen Presseagentur in einem Bericht, den die Frankfurter Rundschau veröffentlichte. T. habe sich immer wieder in Widersprüche verwickelt und bei wichtigen Punkten habe er sich nicht erinnern können.

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Den 63. Verhandlungstag hat auch ein Streit über die Vermittlungsakten zu T. geprägt. Das Verfahren gegen T. wurde zwar eingestellt, die Nebenkläger-Verteidiger wollen die Akten dennoch komplett vor Gericht einbeziehen. Dies ist bist jetzt nicht der Fall. Die Akten zur Telefonüberwachung etwa wurden bisher nicht berücksichtigt. Das Gericht entschied gegen den Antrag: „Die Akten könnten nichts zur Klärung der Anklagevorwürfe beitragen – also gehörten sie nicht ins Verfahren“, fasst Neumayer die Entscheidung des Senats zusammen. „Wahrscheinlich war T. nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Und wahrscheinlich würden auch die Akten über ihn nichts anderes ergeben. Trotzdem blieb bei vielen Beteiligten Unverständnis“, so das Resümee des Autors.

Der Konflikt zwischen den klassischen Zielen des Strafprozesses und den ihnen zum Teil diametral zuwider laufenden Ansprüchen der Opfer sei am Dienstag erstmals deutlich zu Tage getreten, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Dass die Familie Yozgat wissen wolle, warum ihr Sohn ausgerechnet in Anwesenheit eines Verfassungsschützers getötet wurde, sei nachvollziehbar. Ebenso sei aus Sicht der Anwälte verständlich, dass sie die Akten einbeziehen wollen.

Friedrichsen beschreibt, wie die Eltern von Halit Yozgat das Gericht eindringlich darum baten, die Akten einzubeziehen und dieses doch dagegen entschied. Die Autorin kommentiert: „Hat der Gesetzgeber das gewollt? Auf der einen Seite die Strafprozessordnung mit ihrer nüchternen Inszenierung des Rechts und dem Ziel, möglichst schnell die Schuldfrage zu klären – und auf der anderen Seite die Inszenierung des unermesslichen Leids von Opfern, die etwas verlangen, was vermutlich tatsächlich ohne Bedeutung für das Strafverfahren ist. Beide Anliegen prallen im Gerichtssaal aufeinander.“

Ismail Erel beschreibt in der türkischsprachigen Sabah ebenfalls ausführlich den Streit über die Akten und die Argumentation der Nebenkläger-Anwälte: Die Familie Yozgat wolle die vollständige Aufklärung des Mordes, und ohne die vollständige Einbeziehung der Akten sei es unmöglich zu kontrollieren, ob T. die Wahrheit sage. Die Anwälte hätten die Akten einsehen können, sie hätten jedoch keine Kopien anfertigen dürfen. Die Anwälte warfen laut Erel der Staatsanwaltschaft zudem vor, die Akten nicht hergeben zu wollen, weil der Verfassungsschutz Druck ausübe. Darüber hätte einer der Staatsanwälte gelacht, so die Beobachtung des Autors.

Erel gibt die Aussage T.´s zudem im Wortlaut wieder und beschreibt sein Verhalten, als er den Gerichtssaal betritt: T. habe sich sofort zu Beate Zschäpe umgedreht und sie angeschaut, anschließend zu den Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André E. geblickt.

Der Strafsenat mache deutlich, „dass auch dieses Gericht eine vollständige Aufklärung der Tat zum Nachteil Halit Yozgats nicht wünscht““, so gibt Frank Jansen im Tagesspiegel den Vorwurf des Nebenklage-Anwalts Alexander Kienzles wieder und kommentiert: „Einen härteren Vorwurf kann man den Richtern kaum machen.“ Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sei zudem mit einem seltenen Bündnis aus Nebenklage und den Verteidigern von Zschäpe und Wohlleben konfrontiert gewesen, denn Letztere schlossen sich dem Antrag der Nebenkläger an.

Die Aussage T.s habe nichts Neues hervorgebracht. Offen bleibe, ob T. tatsächlich Yozgat nicht gesehen habe, so Jansen. „Denkbar erscheint, dass Andreas T. das Mordopfer gesehen hatte, sich aber bedeckt hielt, weil er mit einer halbseidenen Chat-Bekannten kommuniziert hatte. Zuhause wartete seine schwangere Frau. Der Verfassungsschutz wäre auch nicht begeistert gewesen.“

Claudia Wangerin schreibt in der Jungen Welt, Götzl habe in der Vernehmung T.s deutlich gemacht, dass ihm dessen Angaben unglaubwürdig erschienen:  „Als T. beteuerte, er habe an ein Gespräch mit einer Kollegin namens E. über den Mord keine Erinnerung, belehrte ihn Götzl: ‚Wenn Sie hier Angaben machen, dann müssen die der Wahrheit entsprechen‘.“ Nach Aktenlage hatte T. gegenüber Frau E. gelogen, er suche dieses Internetcafé nicht auf.

T. habe auf hartnäckige Fragen oft kleinlaut, aber oft auch ausweichend geantwortet, so Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Den Vorwurf von Nebenklägern, das Gericht sei an der vollständigen Aufklärung des Kasseler Mordes nicht interessiert, habe Richter Götzl als „gewagt“ bezeichnet, so der Autor. „Die scharfe Art, in der er anschließend Andreas T. befragt, soll den vielen Anwälten wohl auch beweisen: Götzl ist hier der Chefaufklärer.“

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 5. Dezember 2013.