Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Eklat im Gerichtssaal – Das Medienlog vom Donnerstag, 19. Dezember 2013

 

Heute sprudelt es nur so: Die Vernehmung des Vaters von Uwe Mundlos hat die englischsprachigen Medien aus ihrer Starre befreit. Diverse Meldungen finden sich im Netz. Deutsche Medien analysieren detailreich den einzigartigen Auftritt des Informatikprofessors.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Sky News Australia bringt eine Meldung über den 69. Prozesstag. Darin die Informationen, die alle Berichte des heutigen Tages durchziehen: Der einstige Informatikprofessor Siegfried Mundlos schildert seinen Sohn Uwe als aufrichtige Person und liebes Kind, er bestritt dessen nationalsozialistische Einstellung. Und er beschuldigte den Verfassungsschutz, die Neonazi-Szene zu stärken, indem die Behörde V-Leute anwirbt und bezahlt. Illustriert ist die Meldung mit einem starken Bild: einer Hakenkreuzfahne.

Auch das afrikanische Portal Businessghana stieg in die Berichterstattung ein und führt in einer Meldung Mundlos‘ Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz weiter aus.

Die englischsprachigen Sites der Deutschen Welle berichten ebenfalls über die Vorwürfe des Vaters gegen den Verfassungsschutz. Die Meldung basiert auf Agenturmaterial.

Die türkische Beyaz Gazete beschreibt den Moment, als Mundlos inmitten der Vernehmung zu essen beginnt und Richter Götzl deswegen den Prozess unterbricht. In der Meldung ist besonders das Verhältnis zwischen Zeugen und Richter thematisiert. In der Zeitung Zaman beschreibt Autor Bayram Aidyn den Vater als launisch und hilflos, konzentriert sich darüber hinaus auf Nachrichtliches.

Der Fokus der deutschen Medien ähnelt sich wie selten: „Eklat im Gerichtssaal“ intonieren viele im Gleichklang. Prominent wiedergegeben sind die Worte, mit denen Mundlos dem Richter zornig vorwarf, ein „kleiner Klugsch…“ zu sein. „Gerade eben noch unterbricht sich Mundlos selbst, bevor das Wort ganz ausgesprochen ist, die fassungslosen Zuschauer halten die Luft an“, schildert Hannelore Crolly von der Welt die Szene. Ihr Bericht erschien auch in der Berliner Morgenpost. Das Fazit: „Es scheint, als stoße das Gericht wie schon bei Brigitte Böhnhardt erneut an die Grenzen dessen, was an Aufklärung durch Angehörige möglich ist.“

Auch die Agentur dpa nutzt die „Klugsch…“-Szene für einen dramatischen Einstieg ins Thema. Siegfried Mundlos habe „ganz offensichtlich das Gericht vor allem provozieren“ wollen, heißt es in dem Korrespondentenbericht, den unter anderem Focus Online und der Kölner Stadtanzeiger übernahmen.

Die Autorin der Thüringer Landeszeitung beschreibt das Außergewöhnliche dieser Vernehmung ebenfalls: „Mundlos macht sprachlos“, leitet sie ihren Kommentar ein. Bei allem Verständnis für einen Vater, der um seinen Sohn trauert, übertreffe eines alle Befürchtungen: Dass Siegfried Mundlos bei seiner Befragung im NSU-Prozess „dem Gericht und den Angehörigen der Opfer jeden Respekt verwehrt und sich dazu versteigt, sich und seinen mordenden Sohn zu Opfern zu stilisieren“.

Der Korrespondent des Bayerischen Rundfunks schreibt, Vater Mundlos habe „all die Enthüllungen und Skandale, die den NSU betreffen, zusammengerührt zu einer großen Verschwörungstheorie“. Die Vernichtung von Dokumenten durch die Polizei, die Spitzel des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU. Die Website bietet auch einen Mitschnitt der Aussage an.

Für Andreas Speit von der taz ist klar, dass in der Vernehmung etwas nicht stimmte: Siegfried Mundlos habe keine Gelegenheit ausgelassen darzulegen, wer Opfer sei: sein Sohn, seine Familie und er selbst. Nach allen Verschwörungstheorien und der Verteidigung seines Sohnes habe sich Vater Mundlos dann aber doch noch mitfühlend gezeigt: „Erst am späten Nachmittag ringt er sich doch noch durch, auch den Opfern sein Mitgefühl auszusprechen.“

Auch im Bericht von ZEIT ONLINE geht es um Professor Mundlos‘ Gefühlslage: „Mundlos fühlt sich verfolgt – durch die Ermittler, die Staatsanwälte, die Medien. Seine Trauer ist längst einer großen Wut gewichen“, schreibt Tom Sundermann und erwähnt auch, wie Mundlos versucht, sich an die anwesenden Journalisten zu wenden. Die Sitzung sei „eine Serie von Provokationen gegen das Gericht, absichtlicher oder versehentlicher Natur“.

Für die Autoren der Süddeutschen Zeitung hatte der Professor a. D. „seine eigene Agenda“, als er in den Gerichtssaal kam. „Er hat einen ganzen Block dabei, dicht beschrieben, und es wirkt so, als wolle er selbst Anklage erheben.“ Deren Ziel: Der Staat, der Verfassungsschutz, der „die naiven jungen Leute“ in die rechte Szene gezogen habe, der Generalbundesanwalt, der von „Verschwörungstheorien“ gesprochen habe. Tanjev Schultz und Annette Ramelsberger geben Auszüge der Dialoge wider, die teils ins Absurde abgleiten.

Brigitte.de analysiert den Vater als einen, der „den Blick für die eigene Verantwortung verloren zu haben“ scheint. Autorin Lena Kampf, diesmal für das Frauenmagazin unterwegs, vermutet, dies „könnte schwer erträglich werden für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, auf die Siegfried Mundlos in Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts trifft“.

Chefreporter Matthias Maus konstatiert in der Münchner Abendzeitung: Das Motiv des Vaters, seinen Sohn reinzuwaschen, sei  „menschlich verständlich“. Weniger verständlich aber seien „die Gedächtnislücken, auf die sich der Vater beruft, wenn es um das Gedankengut seines Sohnes geht“. Das Gericht habe da viel Nachsicht gezeigt.

Auch Spiegel Online hebt die Einzigartigkeit der gestrigen Vernehmung hervor: „Mundlos war ein Zeuge, wie er nur selten vor Gericht zu erleben ist: unbeeindruckt, überaus selbstbewusst, arrogant bis an die Grenze der Unverfrorenheit“, schreibt Gisela Friedrichsen. Auch sie nutzt die Wiedergabe eines Dialogs, um das belehrende Naturell von Mundlos zu beschreiben und die Mühe, die Richter Götzl hatte.

Stern.de, für das Lena Kampf häufig berichtete, begnügt sich diesmal mit Agenturmaterial.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 20. Dezember 2013