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Der ahnungslose Professor Mundlos – Das Medienlog vom Freitag, 20. Dezember 2013

 

Am zweiten Tag der Vernehmung von Siegfried Mundlos ging es um das Verhältnis seines Sohnes Uwe zu seinem Kumpel Böhnhardt, aber auch zu Neonazis wie Tino Brandt oder Ralf Wohlleben. Übereinstimmender Eindruck der Gerichtsreporter: Vater und Sohn Mundlos lebten nebeneinander her.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Offensichtlich habe Vater Mundlos nicht viel davon mitbekommen, was sich im Leben seines Sohnes ereignete, schreibt Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung über dessen weitere Aussagen, unter anderem über den Kontakt von Uwe zu dem damaligen Thüringer Rechtsextremisten Ralf Wohlleben. „Demonstrationen, Skinheadtreffen, Polizeiaufgriffe – von all dem weiß er nichts.“

Mundlos vermische eigenes Wissen mit Gehörtem und Gelesenem, schreibt die Badische Zeitung. Er habe „eine Menge mitzuteilen – die Fragen sind ihm nicht so wichtig“. Inhaltlich sei der Auftritt aber wenig ergiebig. Insgesamt verlief der zweite Tag der Vernehmung „ruhig und sachlich“ – im Vergleich zum Mittwoch, wo es teils hoch herging.

Auch Gisela Friedrichsen erlebte Mundlos anders als am Mittwoch. Diesmal trat „kein anmaßender, auftrumpfender und den Senat provozierender Vater aus“. Mundlos habe sich vielmehr „wie ausgewechselt“ verhalten, schreibt sie auf Spiegel Online. So, wie es einem Zeugen vor Gericht angemessen sei. Auch Tom Sundermann beobachtete für ZEIT ONLINE: „Am Donnerstag gelingt es ihm hingegen, sich auf die Sache zu konzentrieren.“ Ähnliches nahm Martin Debes für die Thüringer Allgemeine wahr: „Auch der zu Jähzorn neigende Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat sich offenkundig Deeskalation vorgenommen“

Wohl erst im Zuge der Ermittlungen hatte Siegfried Mundlos erfahren, dass sein Sohn im ehemaligen KZ Buchenwald offenbar in SA-Uniform auftrat. „Aber sein Eintrag ins Gästebuch war nicht zu beanstanden“, gibt Friedrichsen den Zeugen wieder, „nur das Outfit war eine Frechheit.“

Auch Hannelore Crolly beschreibt Mundlos als wie ausgewechselt. Als der emeritierte Professor nach Ende der Vernehmung am Donnerstag den Saal verließ, habe er sich sogar beim Richter bedankt: „Es tut mir leid, dass in der Presse unser persönliches Verhältnis zum Hauptgegenstand des gestrigen Tages wurde„, gibt sie ihn in der Welt wieder. Sie erzählt auch, wie Mundlos die Leiche seines Sohnes zu einem Berliner Gutachter brachte, der zu ganz anderen Erkenntnissen kam als die offiziellen Ermittler.

ZEIT ONLINE-Reporter Sundermann beschreibt den Bruch im Leben des Informatikprofessors, den das Untertauchen von Uwe 1998 auslöste. „Der plötzliche Abschied seines Sohns schleuderte Mundlos in eine ihm fremde Welt. Eine Welt, in denen sonst unsichtbare, staatliche Kräfte plötzlich ganz sichtbar wurden, sein Leben bestimmten“, schreibt er. Etwa die Verfassungsschützer, die in der Wohnung standen, die vor der Polizei warnten. Eine der Anekdoten: Mundlos ruft seine Frau aus der Telefonzelle an, um das Landeskriminalamt auf die Probe zu stellen.

Inhaltlich unterschied sich der zweite Tag der Vernehmung wenig vom ersten. „Und weiter geht’s mit der Mundlos-Verschwörungsshow“, schreibt Chefreporter Matthias Maus von der Münchner Abendzeitung. „Mein Sohn könnte auch ermordet worden sein“, zitiert er den Vater. Der Professor aus Jena folge der Leitlinie, an der sich viele Zeugen aus dem Umfeld orientieren: ‚Das waren alles ganz nette Leute. Nur die Umstände, die Arbeitslosigkeit und der Verfassungsschutz sind schuld.‘

Dank des Bayerischen Rundfunks wissen wir, warum Mundlos vor Gericht Äpfel essen muss: Ties Marsen schreibt, dies sei keine Provokation gegen den Richter gewesen. So habe sich der Professor am Tag nach dem Eklat gerechtfertigt. „Ich habe enormes Kratzen in den Stimmbändern und wollte die Stimmbänder wieder ein kleines Bisschen beweglich machen.“ Am Mittwoch hatte Richter Götzl eine Prozesspause angeordnet, weil Mundlos während der Vernehmung krachend zubiss.

Das türkische Newsportal Düna Bülteni greift einen bisher unerwähnten Aspekt der Aussage von Siegfried Mundlos auf: Er bezeichnete seinen Sohn als systemkritisch gegenüber der ehemaligen DDR. Uwe sei nach deren Zusammenbruch in die rechtsextremistische Szene abgeglitten. Er habe stets gehofft, dass sein Sohn sich wieder davon löst.

Nachtrag: Hürryiet hat einen Bericht über den ersten Tag der Vernehmung des Vaters. Ebenso die Portale Haber3 und StarGündem.

Das Blog NSUWatch berichtet über eine (selbst veranstaltete) Veranstaltung, bei der internationale Prozessbeobachter auf dem Podium saßen.

Nachtrag II: Heise.de analysiert in einer Presseschau kritisch die Schwerpunktsetzung der Medien. Es geht unter anderem um die Frage, welche Relevanz der Apfel besitzt, mit dem Mundlos am Mittwoch den Richter zu einer Prozesspause veranlasste.

Keine Berichte in englischsprachigen Medien.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 23. Dezember