Lesezeichen
‹ Alle Einträge

„Der Prozess hat zu lange gedauert“

 

Die Terroristen des NSU töteten acht Türken. Nun fällt im Münchner Prozess das Urteil. Trotz Enttäuschungen vertraut die türkische Gemeinschaft auf den Rechtsstaat.

Ein Gastbeitrag von Mesut Koç, Generalkonsul der Türkei in München

Gedenken: Die Witwe Elif Kubaşık und andere Angehörige trauern um den vom NSU ermordeten Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık. © Bernd Thissen/dpa

Wenn im NSU-Prozess das Urteil fällt, werden die in Deutschland lebenden Türken sehr genau hinsehen. Acht ihrer Landsleute starben durch die rechtsextreme Terrorserie an Einwanderern. Umso wichtiger sei nun die Aufklärung vor Gericht, schreibt der Generalkonsul der Türkei in München, Mesut Koç. Er ist 1970 in Deutschland geboren, hat den Prozess zu wichtigen Anlässen persönlich im Gerichtssaal verfolgt.

Der NSU-Prozess wird seit Beginn sowohl in der Türkei als auch von der türkischen Gemeinschaft in Deutschland mit großem Interesse verfolgt. Das Urteil hat eine große Bedeutung. Dass der Prozess bereits mehr als fünf Jahre dauert, hat viele enttäuscht. Ihr Eindruck ist: Der Prozess zieht sich zu lange hin.

Die türkische Gemeinschaft hofft seit Beginn des Verfahrens, dass die Hintergründe der NSU-Morde vollständig und lückenlos aufgedeckt werden. Die Tatsache, dass das nicht passiert ist, wird leider weitere Fragen aufwerfen. In diesem Zusammenhang vertraut die türkische Gemeinschaft aber weiterhin auf die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands. Wir erwarten, dass in einem Rechtsstaat Morde verhindert und Tatbestände vollständig aufgeklärt werden.

Die Erinnerung an andere Morde ist noch frisch

Der NSU-Prozess wirkt sich auch auf den Integrationsprozess der türkischen Gemeinschaft in Deutschland aus. Ihre Mitglieder leisten auf verschiedene Weise einen wichtigen Beitrag zur deutschen Gesellschaft und Wirtschaft. Sie verdienen es also auch, im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich ein Teil der Gesellschaft zu sein. Die Mitglieder der türkischen Gemeinschaft wünschen sich Gleichbehandlung fernab von Doppelstandards. Sie widersetzen sich der Ausgrenzung. Und sie haben zurecht Erwartungen an den demokratischen Rechtsstaat Deutschland.

 

Wir dürfen nicht vergessen, dass in Deutschland neben dem NSU auch die Erinnerung an andere Morde an türkischen Mitbürgern noch frisch ist. Es gab viele rassistische Anschläge gegen Türken: 1985 in Hamburg, 1992 in Mölln, 1993 in Solingen, 2008 in Ludwigshafen.

Um es noch einmal zu betonen: Die gemeinsame Erwartung der türkischen Gemeinschaft, der Medien und anderer interessierter Personen an einen Rechtsstaat ist, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Diese gemeinsame Erwartung ist erfreulich, sie macht Mut. Solang diese Einstellung anhält und sich verbreitet, werden die Opferfamilien mit ihrem Schmerz nicht alleingelassen. Diese Unterstützung sind wir ihnen schuldig.