Am 58. Verhandlungstag hat Brigitte Böhnhardt, die Mutter des mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, weiter ausgesagt. In den Prozessberichten geht es unter anderem um den Anruf von Beate Zschäpe bei den Böhnhardts. Zschäpe hatte am 5. November 2011 bei der Familie angerufen, um Brigitte Böhnhardt über den Tod ihres Sohnes zu unterrichten. Die Thüringer Allgemeine veröffentlicht Auszüge aus der Zeugenaussage.
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Die Nebenklägeranwälte messen diesem Anruf eine hohe Bedeutung bei, erklärt der Bayerische Rundfunk. Der Anruf mache ihrer Meinung nach klar: Zschäpe habe Täterwissen.
Für den Anruf habe sich Brigitte Böhnhardt außerdem direkt bei der Angeklagten bedankt. Das sei „Gesprächsthema Nummer eins“ gewesen, schreibt Autor Christoph Arnowski und zitiert den Nebenkläger-Anwalt Adnan Erdal: „Aufgrund der Tatsache, dass sie bislang kein einziges Wort des Bedauerns für die Getöteten gefunden hat, aber sich stattdessen bei Frau Zschäpe bedankt hat, finde ich das eine Unverschämtheit.“ Vielleicht habe Brigitte Böhnhardt etwas von dieser Stimmung mitbekommen, mutmaßt der Autor: „Am Nachmittag drückt sie ihr Bedauern aus. Die Trauer der Angehörigen tue ihr unendlich leid. Sie würde viel darum geben, es ungeschehen zu machen.“
Brigitte Böhnhardt habe auch am zweiten Tag der Vernehmung nur freundliche Worte für die damalige Freundin ihres Sohnes gefunden und sie als die nette, höfliche, liebe Beate beschrieben, kommentiert Hannelore Crolly in der Welt. Für Crolly ist die Aussage Böhnhardts eine „seltsame Fortsetzung der Ausführungen am Vortag“. Sie sei am zweiten Tag „noch verstockter“ gewesen und habe darauf hingewiesen, dass ihr viele Fragen zu privat seien.
Rahmi Turan beschreibt in der türkischsprachigen Sabah ebenfalls, wie sich Böhnhardts Mutter bei Beate Zschäpe bedankte. Zschäpe habe jedoch keine Reaktion gezeigt. An der gestrigen Verhandlung hätten im Übrigen auch eine Gruppe Neonazis teilgenommen.
„Wie könnte Brigitte Böhnhardt ihr böse sein?“ fragt Tom Sundermann auf ZEIT ONLINE. „Sie sieht in Zschäpe nicht die Terroristin, die fanatische Nazi-Frau. Sie sieht das Mädchen, das ihr Sohn Uwe liebte. Sie hatte Zschäpe Mitte der neunziger Jahre als dessen Freundin kennengelernt, bis zum Ende des NSU hielt sie die beiden für ein Paar.“ Und sie beschreibe Zschäpe, wie schon zuvor Nachbarn, als die nette, unauffällige Frau von nebenan. Mit ihrer Aussage, dass sie Zschäpe als gleichberechtigtes NSU-Mitglied sah, stütze sie die Anklage der Bundesanwaltschaft, schreibt Sundermann.
Holger Schmidt kritisiert im SWR die Berichterstattung über die Aussage von Brigitte Böhnhardt: Böhnhardt sei verbittert, habe er gelesen, sie versuche, die Schuld für die Geschehnisse auf andere zu verlagern und sei angeblich wenig hilfsbereit. Schmidt sieht das anders: „Ich habe Frau Böhnhardt zwei Tage lang zugehört und ich kann viele dieser Aussagen nicht teilen“, kommentiert er. Die Medien würden Bönhardts Recht verkennen, das zu sein, was sie ist: eine Mutter, die ihren geliebten Sohn verloren hat.
Er habe im Gerichtssaal mehrfach das Gefühl gehabt, dass „manche Journalisten schon den Kopf über eine Aussage schüttelten, bevor Brigitte Böhnhardt ihre Gedanken zu Ende gebracht hatte“, schreibt Schmidt weiter. Er kritisiert außerdem, dass viele Autoren zu schnell geurteilt hätten. Für die schnelllebige Medienwelt von heute habe sich Brigitte Böhnhardt ungeschickt verhalten. „Sie hat viele Stunden gebraucht, bis sie Sätze des Mitgefühls und Mitleids für die Opfer geäußert hat. In vielen Medien war schon lange zu hören und zu lesen, dass sie kein Mitleid zeige, als diese Sätze von ihr kamen.“ Brigitte Böhnhardt habe Zschäpe so intensiv geschildert wie niemand zuvor im Prozess. Ihre Aussage habe das Gericht weitergebracht, resümiert der Autor.
Gisela Friedrichsen von Spiegel Online berichtet von einem Detail, dass Brigitte Böhnhardt „plötzlich“ vor Gericht erwähnt habe: Sie habe mal zwei Müllsäcke voller Kleidung, Bücher und einem Videorecorder zur Abholung bereitgestellt. Wer den Auftrag gab, daran habe sich Böhnhardt nicht mehr erinnern können. „Der Vorsitzende wird unwillig“, beschreibt Friedrichsen die Situation: „Was hat die Zeugin vielleicht noch alles vergessen?“ Sie wolle niemanden „verraten“, der ihrem Sohn damals geholfen hat.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 22. November 2013.