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Wie Zschäpe aufwuchs – das Medienlog vom Donnerstag, 28. November 2013

 

Die Mutter von Beate Zschäpe sollte am 61. Verhandlungstag vor Gericht aussagen, als Angehörige machte sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Außerdem hörte das Gericht Stefan A., einen Cousin Zschäpes. Reporter empfanden die Zeugenbefragung als zäh.

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Der 39-Jährige Stefan A. ist ziemlich einsilbig, redet nuschelig, schreiben Annette Rammelsberger und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Richter Götzl müsse ihm die Aussagen über seine Cousine Beate Zschäpe regelrecht abringen. Er beschreibt sie als einen Menschen, der sich von niemandem etwas habe aufdrängen lassen und kein Mauerblümchen gewesen sei. Die Jungs, mit denen sie zusammen war, habe sie im Griff gehabt. „Diese Aussagen des Cousins kommen den Anklägern entgegen, weil sie den Eindruck erhärten, dass Beate Zschäpe selbstbewusst genug war, um mehr zu sein als nur eine Mitläuferin“, so die Autoren.

Karin Truscheit  kommt in der Frankfurter Allgemeinen ebenfalls zu dem Schluss: „Seine Angaben stützen die Anklage der Bundesanwaltschaft, welche Zschäpe als ‚gleichberechtigtes Mitglied‘ innerhalb des NSU sieht.“

Wie andere dem Trio nahestehende Zeugen habe sich A. an vieles nicht erinnern können, schreiben Andreas Speit und Andrea Rödke in der taz. A. habe jedoch bestätigt, dass die drei politisch extreme Ansichten vertraten – und gewaltbereit waren. Als einen Beleg führen sie an: „Auch Zschäpe soll in einer Disco einem Einlasser ein Glas über den Kopf geschlagen haben.“

Zumindest stückweise sei an diesem Prozesstag die Biografie Zschäpes erkennbar geworden, resümiert Frank Jansen im Tagesspiegel, nämlich die frühen Jahre vor ihrem Gang in den Untergrund.

Was nach der Wende in Jenas rechtsextremer Szene passierte, damit mochte der Cousin Zschäpes nicht so recht herausrücken, schreibt Tom Sundermann auf ZEIT ONLINE. „Gegen Staat, gegen Ausländer, gegen Linke, gegen alles“, so habe A. schließlich die Ideologie der Neonazis auf den Punkt gebracht.

In Jena habe laut A. jeder jeden gekannt, wie Rahmi Turan in der türkischsprachigen Sabah schreibt. A. habe außerdem die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G. und den Rechtsextremisten André K. gekannt. (Vgl. Medienlog vom 22. November 2013).

Zschäpes Cousin sei nicht nur auf Partys aus gewesen, wie er vor Gericht glauben machen will, kommentiert Per Hinrichs in der Welt: „Der Verfassungsschutz listet ihn bei zwei Fällen auf. So soll Stefan A. 1995 einmal den Hitler-Gruß gezeigt haben und 1996 an der Ausspähung von Polizeiautos beteiligt gewesen sein.“ Doch davon habe A. nur auf Nachfrage erzählt, so Hinrichs. „Sein Selbstbild klingt harmloser. ‚Wir waren saufende, pöbelnde Skinheads, keine Parteiheinis.'“

Die Mutter Zschäpes wollte nicht aussagen. Gisela Friedrichsen von Spiegel Online gibt einen kurzen Überblick über das Verhältnis von Zschäpe zu ihrer Mutter und resümiert: „Zschäpes Kindheit ist mit dem Begriff „broken home“ genau beschrieben. Dass sich das junge Mädchen von der zeitweise alkoholkranken Mutter abwandte und in Kreise flüchtete, in denen sie Selbstbewusstsein entwickeln konnte, dass sie sich mit dem Professorensohn Uwe Mundlos einließ und später mit Uwe Böhnhardt, der wie Mundlos aus einer zumindest äußerlich intakten Familie kam, ist nicht verwunderlich.“

Lena Kampf von stern.de sieht in Zschäpes Mutter eine zentrale Person für die Familie. „Über die Beamten ließ sie der mutmaßlichen Terroristin damals ausrichten, dass ihre Familie für sie da sei, die Mutter und die Oma. Und heute beweist sie es“, schreibt sie über Annerose Zschäpe. Auch der Verwertung ihrer Aussage beim Bundeskriminalamt vom November 2011 habe Zschäpes Mutter nicht widersprochen und so ihre Tochter auch nicht versehentlich belastet. Damals beschrieb sie ihre Tochter als „liebes, nettes Mädchen“. Zschäpe habe anderen gern eine Freude bereitet und sei beliebt gewesen. Doch Zschäpes Mutter beschrieb ihre Tochter damals auch als Kämpfernatur und selbstbewusst – als jemand, der eine Sache konsequent vertritt, wenn er von ihr überzeugt ist.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 29. November 2013.