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Zschäpe, das Chamäleon – das Medienlog vom Freitag, 29. November 2013

 

Auf dem Zeugen Stefan A. ruhten die Hoffnungen der Anklage aus zwei Gründen: Er war selbst im rechtsextremen Milieu Thüringens aktiv und lange Zeit eine wichtige Bezugsperson seiner Cousine Beate Zschäpe. Mit jeder Zeugenvernehmung vervollständigt sich das Bild der Lebens- und Denkwelt der Angeklagten, so auch am 62. Verhandlungstag. Thema ist heute aber auch ein presserechtliches Problem.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

In seinem Blog befasst sich Paul-Josef Raue mit der Frage, ob ein Gericht anordnen darf, dass eine Person auf Pressefotos gepixelt werden muss. Die meisten Medien hatten sich an die Vorschrift des Richters gehalten, die Mutter von Beate Zschäpe nicht erkennbar abzubilden, wie der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen beobachtete.

Nur die Bild ignorierte die Anweisung und zeigte das hinter einer Sonnenbrille verborgene Gesicht in voller Schärfe. Nach Ansicht des Berliner Presserechtlers Johannes Weberling zu recht: Pixeln oder nicht – das dürfe die Presse laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eigenverantwortlich entscheiden.

Neben einer Vielzahl veröffentlichter Agenturmeldungen über den Verhandlungstag (Zschäpe „nicht gewaltbereit“) ordnen mehrere Medien das Geschehen genauer ein:

Die Stuttgarter Zeitung vervollständigt das kontrastreiche Bild der „beiden Uwes“: Die netten jungen Männer von nebenan, Anlaufpunkt für Kinder auf dem Zeltplatz auf Fehmarn, die in Thüringen aber bereit zum Morden waren, während Beate sich mit den Nachbarn im Keller ein Fläschchen Piccolo genehmigt. „Man vergisst im Münchner Gerichtssaal allzu leicht, um was es in diesem Prozess eigentlich geht“, nämlich um Hass, Wut, Gewalt, den Angriff auf die Grundordnung, reflektiert Autor Stefan Geiger. „Und je länger dieser Prozess dauert, desto weniger kann man begreifen, wie das eine mit all dem anderen, was die Zeugen beschreiben, zusammenzubringen ist.“

Geiger, dessen Bericht auch in der Berliner Zeitung erschien, setzt sich auch ausführlich mit Beate Zschäpe auseinander. Er bescheinigt ihr „eine chamäleonhafte Fähigkeit“, sich „an die Lebenswelt völlig unterschiedlicher Menschen anzupassen, die jeweils richtigen Legenden und Märchen zu erfinden“. Weil sie nach außen hin den Anschein von Neutralität erweckte, während ihre Kumpane arbeitsteilig zum Morden auszogen, sei Zschäpe auch als Mittäterin und nicht nur wegen Beihilfe angeklagt.

Zschäpes Cousin beschreibt Geiger als „Bote aus einer Welt“, die allen Verfahrensbeteiligten außer den Angeklagten fremd sei. „Es ist eine extreme Welt der Großmäuler, voller Alkohol, wo die Menschen nicht gelernt haben, Reden statt Prügeln als Verständigungsmittel zu nutzen.“ Dabei trage Stefan A. durchaus zur Aufklärung bei, schreibt Geiger und führt dessen Schilderung an, wie Mundlos in Jena einer „Zigeunerin“ ein Stück Torte ins Gesicht schleuderte.

Der Cousin A., der sich später aus der rechtsextremistischen Szene verabschiedet haben will, gab seine politischen Ansichten im Prozess als „normal“ an. Mehrere Berichte erwähnen die Fotos auf seinem Facebook-Profil, die unter anderem acht dunkel gekleidete Männer in den 1990er Jahren auf den Bergen nahe Jena bei einem Ku-Klux-Klan-Ritual zeigen – eine Aktion, die man „in Feierlaune“ eben mal so macht. „Stefan A. wundert sich über die Frage, was davon zu halten sei“, schreibt Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle. Per Hinrichs von der Welt beobachtete: „Über so viel Dreistigkeit muss auch Richter Manfred Götzl schmunzeln.“ (veröffentlicht auch im Hamburger Abendblatt)

Fürstenau von der Deutschen Welle schreibt weiter, Zschäpe habe im Gerichtsaal ihre äußerliche Distanz zu ihrem Cousin während der gesamten Vernehmung nicht aufgegeben. „Als nun an zwei Tagen kaum fünf Meter von ihr entfernt der Cousin über sie und die rechte Szene erzählt, vermeidet Zschäpe jeden sichtbaren Blickkontakt„, beobachtete er.

Martin Debes betrachtet in der Thüringer Allgemeinen den 62. Prozesstag aus dem Blickwinkel mehrere Besucher, die selbst Opfer von Neonazi-Angriffen wurden und Verletzungen erlitten: Der graubärtige Jenaer Pfarrer Lothar König und seine Tochter Katharina, Linken-Abgeordnete im Thüringer Landtag, sitzen mit einem Dutzend Mitglieder der Kirchenjugend auf der Besuchertribüne. Die Gemeinde sei in den 1990er Jahren so etwas wie ein Zentrum der Linksautonomen gewesen, schreibt Debes. „Es herrschte so etwas wie Krieg.“ Die Neonazis seien dabei meist die Angreifer gewesen, „aber nicht immer“.

Der Bayerische Rundfunk stellt in einer eigenen Meldung A.s Vermutung in den Mittelpunkt, warum er sich an vieles nicht erinnern könne: Zu viel Alkohol in jungen Jahren. In einem Verhandlungstagebuch schildert Redakteur Tim Aßmann, Stefan A.s Aussageverhalten stelle die Prozessbeteiligten phasenweise auf eine Geduldsprobe: „Die Antworten kamen oft nur zögerlich und waren einsilbig. Einige Opferanwälte bezeichneten ihn als ‚maulfaul‘.“

Spiegel Online, das sonst kontinuierlich selbst berichtet, beschränkt sich für den zweiten Tag der Vernehmung A.s auf eine Meldung. Die Deutsche Welle veröffentlichte auf ihren türkischsprachigen Sites diese Meldung über die Vernehmung von Beate Zschäpes Mutter vom Mittwoch, die schon nach drei Minuten endete. Auf den englischsprachigen Sites ist ein Bericht veröffentlicht, der auch die Vernehmung von Zschäpes Cousin beschreibt, ebenfalls in der Verhandlung vom Mittwoch. Getty Images transportiert einen Eindruck aus dem Verhandlungssaal mit diesem Foto. Immer wieder gut: die Grafik in der Welt, die einen leicht verständlichen Überblick über Täter, Taten und Tatorte gibt.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 2. Dezember, 2013