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Hat Zschäpe ein Kind? – Das Medienlog vom Mittwoch, 15. Juli 2015

 

Die Berichte über den 216. Prozesstag haben alle nur ein Thema: Beate Zschäpes neuen Anwalt. Mathias Grasel ist der vierte Jurist, der der Hauptangeklagten zur Seite steht. Erstmals war er am Dienstag in einer vollen Verhandlung zugegen – nach mehreren Wochen Prozesspause, in denen sich der Münchener Anwalt in die Materie einarbeiten sollte. Doch es gibt noch weitere Neuigkeiten.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Viele Medien würdigen den Prozesstag mit kurzen Meldungen. Nur wenige Portale bieten eigene Einschätzungen der neuen Lage. Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle beschreibt zunächst den großen Auflauf beim ersten Prozesstag des Neuen. Doch alles andere erscheint ihm vertraut: „Vier statt drei – viel mehr scheint sich zunächst nicht geändert zu haben“, schreibt Fürstenau. „Die Verhandlungsstrategie der jetzt vier Pflichtverteidiger ist offenbar die alte: Zschäpe schweigt weiter.“ Vergeblich die Hoffnung, sie würde vielleicht etwas aussagen, wie sich vor Wochen angedeutet hatte. Die weiteren Aussagen beschreibt Fürstenau eher routiniert: die einer Zeugin, die vermutlich den Tätern ein Wohnmobil vermietete. Und die Aussage von Marcel S. aus der rechten Szene, der die dafür typischen Erinnerungslücken aufwies.

Kerstin Truscheit von der FAZ hat bei Zschäpe Veränderungen beobachtet: „So schwungvoll, wie man es noch vom Prozessbeginn kannte, betritt sie im schwarzen Hosenanzug den Gerichtssaal, wirft ihr langes Haar wieder einmal nach hinten, als sie den Fotografen an ihrem neuen Sitzplatz den Rücken zukehrt“, schreibt sie. Ihre Aufmerksamkeit habe Zschäpe indes nur ihrem neuen Anwalt geschenkt, sie „heftet ihren Blick die ganze Zeit auf ihn“. Mit den anderen Verteidigern habe sie nicht gesprochen, zumindest nicht im Gerichtssaal.

Der Bundesrichter Thomas Fischer schreibt in seiner Kolumne auf ZEIT ONLINE am Beispiel von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos über das Trio – also jene Dreiergruppe, die in der Rechtsprechung zumeist als Bande angesehen wird. „Das Trio liegt dem Bundesgerichtshof (BGH) am Herzen“, schreibt Fischer in seinem ausführlichen Beitrag. „Im Strafgesetz  sind ‚bandenmäßig‘ begangene Taten vielfach mit erhöhter Strafe bedroht.“

Einem besonderen Aspekt widmet sich Frank Jansen vom Tagesspiegel. Die Zeugin, die das Wohnmobil vermietete, hatte gesagt, dass die Mieter das Fahrzeug mit einem Kind abgeholt hätten, das eine zu der Gruppe gehörende Frau mit „Mama“ angesprochen haben soll. „Sollte Beate Zschäpe, die angeblich seit einer Operation keine Kinder bekommen kann, etwa doch Mutter eines Mädchens sein?“, schreibt Jansen. „Oder ein Kind zumindest bemuttert haben?“ Schon in früheren Vernehmungen beim Bundeskriminalamt hatte die Zeugin ein etwa vier- oder fünfjähriges Mädchen beschrieben, mit längeren blonden Haaren, wohl auch mit Zöpfen. Möglicherweise sei das Kind aber auch anderen aus dem NSU-Umfeld zuzuordnen, schreibt er. Die Bundesanwaltschaft hatte Zschäpe als kinderlos beschrieben. Und ihre Anwälte bezweifeln, dass sie bei der Anmietung des Fahrzeugs überhaupt dabei war.

Ob Zschäpe mit dem Auftritt des neuen Anwalts Grasel zufrieden war, konnte Jansen nicht erkennen. Sie habe ab und zu auf ihn eingeredet. „Doch sie wirkte deutlich zufriedener als in den vergangenen Wochen, in denen ihr Streit mit Heer, Stahl und Sturm eskaliert war.“

Die tageszeitung beschreibt Grasels Anwesenheit als „unauffälligen Auftritt“, den der 30-Jährige zumeist schweigend absolvierte oder tuschelnd mit Zschäpe. „Kein Wunder: Grasel hat 215 Prozesstage verpasst, für eine wirkliche Einarbeitung wird er weit länger als eine Woche brauchen.“ An Zschäpes Schweigestrategie, hatte Grasel angekündigt, werde sich vorerst aber nichts ändern.

Christoph Lemmer von der Nachrichtenagentur dpa beschreibt, wie Anwalt Grasel überhaupt zu seinem Engagement gekommen war. Das Gericht hat ihn demnach bestellt, Zschäpe hatte darauf keinen Einfluss. Demnach rief Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an und bat „im Namen meiner Mandantin“ darum, die Bestellung Grasels noch einige Tage aufzuschieben. Grasel selber hatte Götzl parallel angerufen und gesagt, dass er Zschäpe im Gefängnis besucht habe und sie mit seiner Berufung einverstanden sei.

Das Blog NSU-Nebenklage fasst den Prozesstag mit einem Überblicksartikel zusammen und erwähnt die einzige Frage, die der neue Anwalt Grasel stellte: Er wollte wissen, wer das angemietete Wohnmobil bezahlte. Der Zeugin zufolge war es ein Mann. „Die Verteidigung wollte darauf hinaus, dass Zschäpe entgegen der bisherigen Beweisaufnahme doch nicht das gemeinsame Geld verwaltet habe“, schreibt der Autor, „eine These, die kaum verfängt, wenn sie bei der Abholung gar nicht dabei war“.

Die Bild sieht Zschäpe zusätzlich belastet. Die Zeitung berichtet (Bild+ und Print), die Hauptangeklagte habe sich auf Youtube Filme über die Taten des NSU angeschaut und neben Pornos auch Videos rechtsextremistischer Gruppen angesehen. Die Zeitung beruft sich auf den ihr angeblich vorliegenden Verlauf ihres Youtube-Kontos. Das habe die Bundesanwaltschaft bei dem Konzern angefordert, um es als Beweismittel im Prozess zu nutzen.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 16. Juli 2015.