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Bloß eine Beruhigung für das Gewissen

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Miriam Saage-Maaß. Sie leitet den Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte“ des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und beschäftigt sich unter anderem mit den Menschenrechtsverletzungen in den Produktions- und Lieferketten der globalen Textilindustrie.

Jeder Mensch wächst mit bestimmten Gewissheiten auf. Eine, die ich wohl mit vielen in Deutschland Aufgewachsenen teile, ist diese: Wenn der TÜV etwas geprüft hat, dieser Gegenstand mit deutscher Gründlichkeit untersucht wurde, ist er auch wirklich sicher.

Nun ist es so, dass der TÜV und seine Gesellschaften, wie etwa der TÜV Rheinland, seit Langem nicht mehr nur Autos und Spielplätze in Deutschland prüfen, sondern in sogenannten Sozial-Audits auch die Sozial- und Arbeitsstandards in Fabriken in aller Welt kontrollieren. Weiter„Bloß eine Beruhigung für das Gewissen“

 

Das Kongo-Tribunal – von Bukavu nach Berlin

Meinungstribunale haben derzeit Hochkonjunktur, und der Grund liegt auf der Hand: Unerträgliche Dinge ereignen sich auf der Welt, und die Institutionen – sei es Gerichte, Staaten oder die UN – die das Mandat hätten, Abhilfe zu schaffen, reagieren nicht. Politische Aktivisten wiederum wollen ihre Ohnmacht ob dieser Situation überwinden und halten symbolische Meinungstribunale ab.

Den Anstoß für das erste dieser gesellschaftlichen Tribunale, das die Philosophen Bertrand Russell und Jean-Paul Sartre 1967 in Schweden organisierten, gaben die Kriegsverbrechen der USA im Vietnamkrieg. Russel und Sartre knüpften explizit an die Nürnberger Nazi-Kriegsverbrecherprozesse an. Sie wollten „das in Nürnberg zu früh geborene Gesetz zum Leben erwecken und für das Recht des Dschungels ethische und juristische Regeln einsetzen“. Weiter„Das Kongo-Tribunal – von Bukavu nach Berlin“

 

Mansur ist kein Einzelfall

Zwei Tage Gefängnis in Deutschlands Hauptstadt, das hört sich nicht so schlimm an – angesichts der Haftbedingungen, die an anderen Orten der Welt herrschen. Doch wer einmal die Untersuchungshaftanstalt von Berlin-Moabit von innen gesehen hat, möchte dort trotzdem keine Stunde in einer Zelle eingesperrt sein; ich habe mit Leuten gesprochen, denen schon ein Tag in Haft erheblich zugesetzt hat. Man sollte sich daher nicht von dem Lächeln des ägyptischen Journalisten Ahmed Mansur täuschen lassen, als dieser am Montag aus dem Gefängnis trat. Der Schaden ist angerichtet.

Und das Schlimme: Mansur ist kein Einzelfall. Er hatte bloß das Glück, dass ihn sein Arbeitgeber, der Fernsehsender Al-Dschasira, sowie Menschenrechtsorganisationen seit seiner Festnahme am Samstagabend am Flughafen Berlin-Tegel massiv unterstützten und auf seine Freilassung drängten. Andere haben nicht solches Glück und immer wieder geht es um Ausschreibungen zur Fahndung von Interpol: So wurde der in der Schweiz unter anderem wegen erlittener Folter anerkannte politische Flüchtling Muzaffer Acunbay bei einem Griechenland-Urlaub im Juni 2014 aufgrund eines türkischen Haftbefehles festgenommen, und das obwohl er sich vorher erkundigt hatte, ob ihm Gefahr drohe. Erst in der zweiten Instanz entließ ihn ein griechisches Gericht im Februar 2015.

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Macht geht nicht immer über Recht

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), seit 2002 in Den Haag mit der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit befasst, hat Kritik verdient. Auch ich moniere regelmäßig, dass nicht nur in Den Haag, aber auch in Den Haag, mit zweierlei Maß gemessen wird. Mächtige Menschenrechtsverletzer müssen sich selten vor Gericht verantworten. Oft landen auf der Anklagebank des IStGH nur Bauernopfer, Gefallene und Besiegte. Das ist zu wenig, ja gefährlich für ein Gericht, das für sich Universalität in Anspruch nimmt. Weiter„Macht geht nicht immer über Recht“

 

Die Überlebenden von Distomo kämpfen um ihr Recht

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Carsten Gericke. Er ist Rechtsanwalt in Hamburg und berät das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Bereich Völkerstraftaten und Rechtliche Verantwortung. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Distomo nimmt er an den aktuellen Gedenkfeierlichkeiten in Griechenland teil.

Argyris Sfountouris war vier Jahre alt, als eine SS-Panzergrenadierdivision am 10. Juni 1944 im Zuge einer „Vergeltungsmaßnahme“ für die Aktionen griechischer Partisanen das griechische Dorf Distomo am Fuße des Parnass-Gebirges überfiel. Die SS metzelte seine Eltern und 30 Verwandte nieder. Insgesamt starben bei dem Massaker von Distomo mehr als 200 Menschen – vor allem Alte, Frauen und Kinder.

Heute, 71 Jahre später, führt uns Sfountouris zum Ort des Geschehens – zu seinem Elternhaus im Ortskern von Distomo, unmittelbar neben dem Rathaus und dem kleinen Museum, in dem der Opfer des Massakers gedacht wird. Danach gehen wir gemeinsam zur Gedenkstätte auf einer Anhöhe über dem Dorf. Hier findet alljährlich die zentrale Gedenkveranstaltung statt. Im kollektiven Gedächtnis haben die Ereignisse vom Juni 1944 bis heute ihren festen Platz, davon zeugt nicht zuletzt die Vielzahl politischer und kultureller Veranstaltungen in diesen Tagen. Weiter„Die Überlebenden von Distomo kämpfen um ihr Recht“

 

Die fragwürdigen Geständnisse von Iguala

Mexiko lässt mich nicht los. In meinen letzten Stunden in der Hauptstadt erlebe ich deren schöne Seite im Park Alameda de Santa María im idyllischen Altstadtviertel Santa María la Ribera. Von den Drogenproblemen rundum ist hier nichts zu spüren: Skater und Fußballer, im Hintergrund ein Gitarrist und neben mir auf der Bank José María Fuentes. Er ist seit 15 Jahren obdachlos und dennoch ein unverbesserlicher Optimist, viel Schönes habe er erlebt, nur wenige schlimme Dinge, er sei zufrieden mit seinem Leben.

Wenig später sitze ich – immer noch frohgemut – im Flugzeug nach Paris, da holen mich mexikanische Zeitungen wieder in die dunkle Realität des Landes zurück. An einem ganz normalen Mittwoch ist La Jornada, ein etwas linkeres Blatt, voll von Ungeheuerlichkeiten: verfolgte Journalisten, rassistische Beamte, Gewalt gegen mittelamerikanische Flüchtlinge, willkürliche Verhaftungen und Foltervorwürfe gegen die Polizei. Und dann ein langer Artikel der Investigativreporter der Zeitschrift Proceso über das Massaker und die seit September 2014 immer noch „verschwundenen“ Studenten aus Iguala im Bundesstaat Guerrero. Die Hauptakteure des Stücks, das sich wenig anders liest als der neueste Roman von Don Winslow, Das Kartell, sind: ein Generalstaatsanwalt, ein Haufen verhafteter Polizisten und „Sicherheitsleute“ – sowie eine deutsche Waffenfirma.

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Kein Ende der Drohnenangriffe via Deutschland

Wir sind nicht naiv. Dennoch hat meine Organisation, das ECCHR, gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Reprieve aus London eine Klage initiiert, die der jemenitische Staatsbürger Faisal bin Ali Jaber und zwei seiner Verwandten wegen der Rolle Deutschlands bei den Drohnennangriffen der USA beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht hat.

Am Mittwoch kam es zur mündlichen Verhandlung und das Verwaltungsgericht Köln entschied, die Klage abzulehnen – aber nicht für unzulässig zu erklären. Weiter„Kein Ende der Drohnenangriffe via Deutschland“

 

Hoffnung für Mexiko

Mexiko-Stadt im Mai 2015. 2008 präsentierte die Regisseurin Christiane Burkhard mit ihrem Film Trazando Aleida dem mexikanischen Publikum ein unbeachtetes Kapitel seiner Geschichte. Burkhard erzählt darin die Geschichte einer jungen Frau, Aleida, die Mitte der 2000er Jahre erfährt, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen sind und darauf aufmerksam wird, dass ihre leibliche Großmutter sie und ihren Bruder sucht. Die Eltern der beiden, so die Aussage der Großmutter, sind „Verschwundene“ in dem schmutzigen Krieg, den auch Mexiko gegen Oppositionelle in den 1970er Jahren führte, die Art der Aufstandsbekämpfung, die wir aus fast allen Ländern Lateinamerikas der damaligen Epoche kennen. Die Filmemacherin geht auf doppelte Suche: Gemeinsam mit Aleida forscht sie nach dem Verbleib ihres Bruders, findet ihn schließlich in Washington, und sie folgen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero den Spuren von Aleidas Eltern, die dort in einer Landguerilla aktiv waren.

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Der Prozess nach dem Völkermord-Urteil

Guatemala-Stadt, 10. Mai 2015: Es ist der zweite Jahrestag des Urteils im Völkermord-Prozess gegen den ehemaligen Militärdiktator Efraín Rios Montt. Neben mir auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung sitzt Edgar Pérez. Der stämmige Rechtsanwalt, ehemaliger Ringer, hat die meisten indigenen Überlebenden und Zeugen in dem historischen Prozess vertreten. Während seiner Rede schwenkt er die Buchausgabe des Urteils von 2013, einen dicken Band, in dem begründet wird, warum die Morde und Massaker, die General Rios Montt und seine Untergebenen an den Maya-Ixil verübten, als Völkermord anzusehen sind – und warum Rios Montt unmittelbare Verantwortung trägt.

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Es geht nicht um „wir gegen die“

Was mich an der aktuellen Debatte um die BND-Affäre so nervt? Es ist der nationalistische Unterton. Natürlich bin ich gegen Überwachung, gegen illegale Praktiken sowieso. Ich kritisiere aber auch vieles, was das Gesetz erlaubt. Wenig interessiert mich dabei, ob meine politischen Mitstreiter oder ich von den deutschen, den französischen oder den US-Geheimdiensten überwacht werden. Mir geht es nicht um nationale Interessen, wenn ich nach den aktuellen Nachrichten, vor allem aber seit den Enthüllungen von Edward Snowden, Aufklärung fordere und dafür eintrete, dass Verantwortliche für ihr Fehlverhalten bestraft werden. Mir geht es um Strukturen, und die ähneln sich verdammt häufig, egal wohin man schaut. Weiter„Es geht nicht um „wir gegen die““