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Den Deutschen ihre Erker

Die Sprache verkommt mal wieder. Diesmal macht sich die Berliner CDU ernsthaft Sorgen ums verlotternde Deutsch. Es müsse „als Kulturgut gestärkt und geschützt werden“, sagt die Partei. Der Berliner Senat und die Bundesregierung wurden gar aufgefordert, „einer Verdrängung von Teilen des deutschen Wortschatzes durch Anglizismen und Jargons entgegenzuwirken“. Denn Deutsch gehöre immerhin „zu den großen Kultursprachen der Welt und sei die meistgesprochene Sprache in der Europäischen Union“. Zu den großen! Ja! Kultursprachen! Jawohl! Der Welt! Was sonst!

Nur was tun?

Der Vorwurf, dass die Sprache verkäme, ist so alt, wie die Sprache selbst. Es hieß mal, das Französische bleiche das Deutsch aus, wegen Heinrich Heine und Friedrich des Großen. Da wollten die Sprachpuristen tatsächlich die angeblich dem Französischen entlehnte „Nase“ mit dem „Gesichtserker“ übersetzen. Und hätten die Sprache beinahe noch mehr versaut, denn Nase ist ein geerbtes Wort, seit dem Althochdeutsch tradiert, doch der Erker bloß ein Lehnwort, geklaut vom nordfranzösischen „arquière“, was so viel heißt wie „Mauerausbuchtung“. Auch wenn einem ob solcher Vorschläge das Gesicht versteinern mag, ist die Nase noch lange kein Erker.

Seit Jahrzehnten nun ist es das böse Englisch. Dass Sprache nichts Statisches ist, sondern sich durch kulturellen Austausch stetig verändert, ist eigentlich ein alter Hut. Die Globalisierung ist schuld, da hätte die CDU schon Kolumbus verbieten müssen, Amerika zu entdecken. Aber, nö, sie will trotzdem ihr Deutsch zurück! Bloß welches? Das Goethes? Das Kleists? (Was schon himmelweite Unterschiede waren.) Oder das Adenauers?

Die CDU schlägt Folgendes vor: „Öffentliche Beschilderungen, Leitsysteme und andere Beschriftungen auf Bahnhöfen, Flughäfen und an öffentlichen Gebäuden seien durchgängig in deutscher Sprache zu verfassen, zusätzlich könnten internationale Sprachen benutzt werden.“ Also heißt „Park & Ride“ fürderhin „Parken & Reiten“, „Arrival and Departure“ „Willkommen und Abschied“ (Womit wir wieder bei Goethe wären.), „Info-Point“ „Informationspunkt“, und der „Airport-Shuttle-Service“ wird zum „Flughafenzubringerdienst“. Und auch die Rundfunkanstalten seien „verstärkt für ihre sprachliche Vorbildfunktion in die Verantwortung zu nehmen“. Sagt die CDU in wirklich blitzsauberem, äh, Deutsch.

Freilich gibt es viel zitierte Beispiel dafür, was der Einfluss anderer Sprachen mit der eigenen anrichten kann. Die Wendung „das macht Sinn“, ist nicht nur hässlich, sondern auch falsch. Genau wie „realisieren“ zu sagen, wenn man nicht „verwirklichen“ meint, sondern „bemerken.“ Gerne auch: „Für Hans bedeutet das sehr viel“, wo es doch „Hans bedeutet das sehr viel“ heißen müsste. Ist sogar eine Silbe kürzer. Viele englische Wörter erfinden wir uns zudem selbst: das „Handy“ und die „No-Go-Area“ zum Beispiel. Fragen Sie mal in England jemanden nach seiner „Handynumber“ – er wird Sie nicht verstehen.

Aber, und da gebe ich der CDU recht, frag ich mich gelegentlich auch, warum wir englische Worte für manche Dinge benutzen, die man auch wunderbar auf Deutsch sagen kann. Ein paar Vorschläge zum Schluss: „S.U.V.“ kann man prima mit „Allradkarre“ übersetzen, die „Sneakers“ mit „Turnschuhe“, den „Art Director“ mit „Chefgestalter“, und sowieso ist das ganze Business-Englisch entbehrlich: „Challenge“, „Meeting“, „Break-Even“ und dieses Zeug. Und warum sagen wir „Dandy“, wo es doch das schöne deutsche Wort „Fatzke“ gibt? Doch soll das bitteschön jeder selbst entscheiden.

 

Goethe frisch gestrichen

In der Goethe-Gedenkstätte Gabelbach im Thüringer Wald sind mehrere grüne Wände für die Theaterverfilmung «Werther» ohne Erlaubnis der Denkmalpflege braun übermalt worden. „Ein Zimmer des in den 1990er Jahren nach originalen Farbfassungen
restaurierten Hauses wurde für die Filmaufnahmen farblich verändert“, sagte der Ilmenauer Kulturamtsleiter Ingolf Krause. Die untere Denkmalschutzbehörde sei nicht eingeschaltet worden, da „baulich nichts verändert wurde.“ Dies sei nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sagte die Sprecherin des Landesdenkmalamtes, Sibylle Putzke. „Es ist auch respektlos.“

 

Ein Luchs kommt nach Hamburg

Eine Jury von ZEIT und Radio Bremen hat den Jugendroman „Jetzt ist hier“ von Tamara Bach zum besten Jugendbuch 2007 gewählt. Der mit 8000 Euro dotierte LUCHS-Preis wird seit 1986 vergeben. Der LUCHS 2007 wird am 8. Februar 2008 im Literaturhaus Hamburg im Schwanenwik 38 verliehen. Die Verleihung beginnt um 18.00. Der Eintritt ist frei. Die Autorin Tamara Bach liest aus ihrem Buch. ZEIT-Geschäftsführer Rainer Esser und ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo überreichen den Preis.

 

Alt, wirklich alt

… aber lachen musste ich trotzdem in der Tübinger Innenstadt.

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Ja ja, die Bildqualität ist lausig. Daher für diejenigen, die es nicht lesen können: „Hier kotzte Goethe.“ Aus dem Fenster! Ein paar hundert Jahre Stadtreinigung haben inzwischen alle Spuren beseitigt. Falls Sie diesen historischen Ort besuchen wollen, empfehle ich hernach noch im Zimmertheater in der Bursagasse vorbei zu schauen. Dort läuft zurzeit Ernst Jandls „Die Humanisten“ – wirklich hervorragend, mit Geschrei, fast nackten Männern, einem Käfig und zwei Nobelpreisträgern. Blut fließt auch. Mehr Informationen gibt’s hier.

 

Irgendwann ist doch mal gut

Der siebte und letzte Harry Potter-Band Harry Potter und die Heiligtümer des Todes von Joanne K. Rowling bleibt weiter die Nummer eins der Spiegel-Bestseller-Liste Belletristik.

 

Kulturgut auf dem Müll

Die Bibliotheksräume der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurden aufgeräumt und 80 Tonnen Papier zum Container getragen. Ordnungsliebe? Nein: Skandal! Denn es handelt sich um Bücher, zum Teil antiquarische Exemplare, größtenteils aus einer Klostersammlung einer Kapuzinerbibliothek.

Die Bibliotheksdirektorin ist jetzt dran: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen sie erhoben wegen Untreue in fünf Fällen. Es geht um die Beseitigung von 14 wahrscheinlich wertvollen Büchern. Doch nach wie vor sind die Umstände der Büchervernichtung nicht restlos geklärt. Zunächst war sie nur ein Gerücht, erst eine interne Untersuchung deckte sie auf.

So seien unersetzliche Einzelstücke aus dem Bestand der Universitätsbibliothek in deutschen Antiquariaten aufgetaucht und Tausende Bücher auf den Müll geworfen worden, hieß es Anfang 2007. Kritiker sprachen von „Vernichtung von Kulturgut“ und einer „zweiten Säkularisation“.

Gottfried Freiherr von der Heydte, der Kanzler der KU, interessierte das eine ganze Weile nicht. Erst als dem Ingolstädter Donaukurier, fünf Bände aus einem Altpapiercontainer zugespielt wurden, ging er den Vorwürfen nach.

Das Ergebnis der Untersuchung: Zwischen Juni 2005 und Oktober 2006 wurden insgesamt 80 Tonnen Bücher in 17 Containern entsorgt. Laut Auskunft der bayrischen Kapuziner-Ordensleitung sollen davon mehr als zwei Drittel aus ehemaligen Beständen des Ordens stammen.

Die bayrischen Kapuziner hatten der Unibibliothek 1999 rund 350.000 Bücher überlassen. Etwa ein Zehntel davon sollen Bände sein, die vor der Säkularisation im Jahr 1803 erschienen und dem Freistaat Bayern gehören. Der Stiftungsvorstand der KU untersagte der verantwortlichen Bibliotheksdirektorin im Februar vergangenen Jahres die weitere Aufarbeitung der Kapuzinerbestände.

Es gebe „gewisse Anhaltspunkte, dass Bücher weggeworfen wurden, die hätten aufbewahrt werden müssen“, sagte damals Konrad Regler, Vorstandsvorsitzender der Eichstätter Universitätsstiftung.

Die KU kündigte daraufhin eine umfangreiche Untersuchung durch die Bayerische Staatsbibliothek an. Wie viele wertvolle Bücher sind wirklich im Müll gelandet? Was davon war verschimmelter Schund, was wertvolles Kulturgut? Und was wusste die Bibliotheksdirektorin?

Auf all diese Fragen sollten Antworten gefunden werden, doch die Unileitung ist sie bis heute schuldig geblieben. „Wir werden erst an die Öffentlichkeit gehen, wenn alles fertig ist“, sagte von der Heydte. Wann das sein wird, könne er noch nicht sagen.

Nach Angaben der Bayerischen Staatsbibliothek hingegen ist das Gutachten bereits fertig. In Absprache mit der Unileitung und dem Wissenschaftsministerium in München werde das Papier jedoch erst in einigen Wochen veröffentlicht. Grund sei das laufende Verfahren der bayrischen Justiz. Was die massenhafte Vernichtung von Beständen der Unibibliothek betrifft, hätten sich allerdings keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen die beschuldigte Bibliothekschefin ergeben, heißt es.
(Quelle: ORF)

 

Schwülwarm ins Nirwana

Es gibt Ratgeber für Schriftsteller. Wie schreibe ich einen Dialog?, Wie baue ich Spannung auf?, Wie finde ich Themen?. Es gibt auch einige, die helfen sollen, richtig erotische Liebesszenen zu schreiben. Aber halt! Sexszenen in Büchern sind eine schwierige Sache. Meistens geraten sie peinlich und plump. Oft will man sich beschämt abwenden, das Buch zuklappen, man ist ja nicht prüde, aber das, puh. Eine Erzähltechnik ist die Kunst des Auslassens. Sie lässt solch heikle Szenen erst reizend werden, weil sie die Fantasie des Lesers fordert. Der Autor blendet aus, anstatt von „Lustgrotten“ und „Liebesstiften“ zu schwallen, bis einem ganz blümerant wird vor Scham. Das Berliner Autorenhaus lobte einmal gar einen Preis für besonders missratene Sexszenen in Büchern aus, den „Spitzen Stift“. Ich möchte jemanden nominieren:

Das Buch heißt Der Sexte Weg zum Nirwana. Geschrieben hat es Gunter Held, und der fackelt nicht lange, Seite 9, zack, Kapitel eins, „Die Orgie“:

„Der Blitz hatte eingeschlagen: Zwei Lustschreie erbebten gleichzeitig wie der Donner des Himmels. Die Schenkel zitterten noch vor der Hitze und Ekstase. Gelee und Samen verglühten in der Tiefe ihrer Höhle.“

Zwölf Personen sind an dieser Orgie beteiligt, Internatsfreunde von früher, die sich eines Tags wiedertreffen. Allesamt werden zuvor in einer Tabelle kurz vorgestellt: Singh Khan (Restaurantbesitzer), Christina (Künstlerin), Nalingha (Yoga-Lehrerin), Hubert (Bio-Landwirt), Tanja (Ärztin), Ivan (Computerexperte), Pierre (Filmproduzent), Jaqueline (Lebedame), Arona (Philosophin), Rednug (Insurance-Manager), Boris Green (Börsenheini), Peter Winter (Politiker). Schon klar, wen interessiert das, Sie wollen mehr Sexszenen, jaja, gewiss:

„Währenddessen stieß Singh wie ein Weltmeister im Speerwerfen zu“
„Gemessen von der Basis hatte Hubert den Längsten mit 16,5 cm“ (Bio-Kost machts möglich)
„Dann griff sie sich selbst zwischen die Schenkel und massierte den Türklopfer“
„Sie (…) spreizte ihre Schenkel im geometrischen Winkelmaß von 90 Grad, dessen Exaktheit jeden Landvermesser erfreut hätte.“
„Boris (…) errechnete als mittleres Schwanzvolumen der drei Männer – nach der mathematischen Formel eines Zylinders – 50 cm³ und meinte, das sei für Christina bestimmt genau das richtige Volumen, worauf sie mit den Worten ‚bitte 150 cm³‘ um die Trinität bat.“

Wird Ihnen schon heiß?

Geschlagene sechs Seiten der offenen Hosen. Man lernt fünfzig neue Begriffe fürs weibliche Geschlechtsorgan, ein paar Helden bilden ein „heißes Oktett“, und wie das geht, möchte ich Ihrer Fantasie überlassen. Am Ende der Szene essen alle den Anus eines indischen Elefanten, „dargereicht in einer Silberterrine“. Falls man die Seiten bis dahin überstanden hat. Wenn ja, erfährt man, dass diese Orgie die Freundschaft der Zwölf belastet. Es folgen Exkurse in die Welt der Finanzen, in die Politik, in die Seele der Natur, zum Karma, zum Schicksal, in die Evolutionstheorie, zum Tantra, in die Magie, und schließlich gründen alle eine Stiftung, kaufen eine Kapelle und finden das Tor zum Nirwana. Zwei befassen sich mit sexueller Transmutation und ernähren sich fürderhin nur noch von Licht, was sicher besser ist als von Elefantenhintern. Und dann, auf Seite 208, ist das Buch endlich vorbei.

Falls Sie dieses Buch haben wollen, ich verschenke mein Exemplar gern. Falls Sie eine vernünftige Liebesgeschichte lesen wollen, empfehle ich Yasushi Inoues Jagdgewehr, und falls Sie mal richtig guten Sex lesen möchten, werden Sie hier fündig.

 

Romantik, wo bist du?

Welt online blickt auf das Kulturjahr 2007 zurück, auch aufs Buch. In verlagstypischer Manier als TOP und FLOP. Und was da zu Tage kommt, ist irgendwie, nunja, bitte:

„TOP: Die Romantik ist zurück in der deutschen Literatur, nicht nur in Rüdiger Safranskis Kulturgeschichte – Der Buchpreis macht Bestseller: Julia Francks „Mittagsfrau“ versöhnt Erzählkunst und Verkaufserfolg – Kleeberg, Peltzer, Pehnt & Co.: Auch die Politik ist zurück in der deutschen Literatur.“

„FLOP: Die Listen des Deutschen Buchpreises spiegelten alles Mögliche, nur nicht den Stand der literarischen Dinge – Walser und Grass, die großen alten Medienorganisten, fühlen sich von den Medien verfolgt – Auch Nobelpreisträger haben eine Halbwertszeit: Heinrich Böll ist literarisch zu Recht vergessen.“

Die Romantik in der heutigen deutschen Literatur mögen mir die Verfasser dieser Liste bitte zeigen. Sucht noch irgendwer nach der Blauen Blume? Nehmen wir die Autoren auf der Liste des Deutschen Buchpreises. Diese ist zwar nicht grundsätzlich repräsentativ für den literarischen Stand der Dinge, zeigt aber durchaus einen netten Querschnitt dessen, was so geschrieben wird und eine Vielzahl an Lesern haben will: Familiengeschichten wie Julia Francks Mittagsfrau, Liebesgeschichten wie Katja Lange-Müller in Böse Schafe oder Alltagsgeschichten wie Annette Pehnt in Mobbing, Geschichten also, die jeder Leser erlebt hat oder sich vorstellen könnte. Die Sprache der Autoren ist zugänglich und frei von Zweifeln. Sie schreiben verständlich, was die Bücher keineswegs schlecht macht, aber eben auch nicht romantisch. Die Romantiker haben sich ja bisweilen selbst untereinander kaum verstanden. Die Unverständlichkeit war ein Merkmal dieser Strömung. Das kann man bei Rüdiger Safranski nachlesen. Sollte sich die Welt vielleicht zum kommenden Jahr vornehmen.

Und dass Nobelpreisträger eine Halbwertzeit haben, ach bitte. Liest jemand noch T.S. Eliot? Ist Paul Heyse noch relevant? Darüber könnte man auch reden. Aber man macht’s sich einfach: „Heinrich Böll ist literarisch zu recht vergessen.“ Auf Böll einzudreschen ist leicht, das haben schon zuvor viele gemacht. Und die konnten das obendrein eleganter: Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, sogar das Magazin Titanic. Warum soll Böll literarisch vergessen sein? Die Themen, die er beschrieb, die Erregungen, aus denen seine Romane entstanden, sind freilich abgeklungen oder nicht mehr so nachvollziehbar wie damals. Bloß wenn das ein Kriterium fürs Vergessenwerden ist, vergessen Sie jetzt bitte auf der Stelle folgende Bücher: vieles von Grass, so manches von Lenz und Arno Schmidt, ’ne Menge Thomas Mann, alles von Heine, alles von Büchner und lesen künftig nur noch Bücher von Autoren, die über Dinge schreiben, die Sie kennen oder erlebt haben. Also die Longlist des Deutschen Buchpreises rauf und runter. Viel Vergnügen damit.