Die Feststellung, dass Wasser nass ist, ist ein alter Hut. Trotzdem fasziniert sie immer aufs Neue. Wie neulich in einem Buchladen in der Hamburger Fußgängerzone: Eine Frau betrat das Geschäft, tropfnass vom Regen, der sich draußen in den Straßen ergoss, im Laden unüberseh- und hörbar. Da fragt doch die Kassiererin: „Warum tropfen Sie denn so?“ Nun klopft die dpa mit einer weiteren solcher Feststellungen an unsere Pforten der Erkenntnis. Hat sogar was mit Büchern zu tun. Wollen mer se reinlasse?
Hereinspaziert: „Neues Phänomen am Buchmarkt: Literaturpreise bringen den Prämierten nicht mehr nur Renommee und Geld – sie katapultieren die Autoren auch in die Bestsellerlisten.“ Ach? Zum Beispieeel? „Julia Franck und ihr Roman Die Mittagsfrau. Die Verleihung des Deutschen Buchpreises Anfang Oktober führte laut Verlag S. Fischer dazu, dass die Auflage innerhalb weniger Tage gewaltig stieg – von etwa 20 000 auf mehr als 70 000.“
Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnen „Phänomene“ ja eine ungeheuerliche Erscheinung, etwas außergewöhnliches. Jaja, da werden jetzt einige Griechischlehrer widersprechen. Der eigentliche Wortsinn ist bloß „Erscheinung“ (Und was Kant dazu sagt, herrje). Aber benutzt das jemand noch so? Nee, oder?
Ist es denn außergewöhnlich, dass ein Buch sich plötzlich verkauft, das einen Buchpreis gewinnt, der, wenn man böse wäre, nur dazu eingerichtet wurde, ebendieses zu erreichen? Auf der Verleihung des Preises sagten die Redner, Kritiker, Moderatoren pausenlos, wie sehr sie hofften, dass sich alle nominierten Bücher na wo wohl wieder finden? Jetzt raten Sie mal!
a) liegengelassen im Überlandbus
b) in der Drogerie an der Kasse
c) in der Bestseller-Liste
d) im Verzeichnis lieferbarer Bücher
Zu leicht. Und freilich schön für Julia Franck und den S.Fischer-Verlag, denn: „Inzwischen erwartet der Verlag,
Francks Roman bis Jahresende um die 300 000-mal verkauft zu haben.“ Freut uns. Das zu erklären, ist allerdings leicht. Erstens ist ein ganz gutes Buch und zweitens: Es wurde, wie alle anderen nominierten Bücher so unablässig neu beklebt mit Stickern. Und wenn man die Long- und Shortlists veröffentlicht, dann doch nur als Kaufargument, das künftighin auf allen Nominierungen pappt. „Nominiert auf der Longlist des Deutschen Buchpreises“, „Nominiert auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises“, „Gewinner des Deutschen Buchpreises“.
Abgesehen davon, wie bemitleidenswert die Verlagsangestellten sind, die immer wieder die Aufkleber austauschen müssen, dient das einem einfachen Zweck: Der Leser möchte wissen, was er kaufen soll. Und wenn eine Autorität, vertreten durch namhafte und sehr gute Kritiker, ihm das sagt, so kauft er. Und Deutscher Buchpreis klingt ja beinahe schon apodiktisch – wer möchte da noch etwas anderes lesen?: Deutsch – Oh! Buch – Sowieso! Und dann auch noch Preis – Jawollja, zu recht! Schon spaziert man zur Kasse.
Der Artikel bezieht sich beinahe ausschließlich auf Gewinner dieses Preises. Das sind nicht so viele, denn ihn gibt’s erst seit 2005. Aber alle Preisträger haben seither viele Bücher verkauft. Heißt nicht viel, sondern nur: Die Bücher werden auch nicht besser. Aber die Werbung wird’s offensichtlich.