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Gewalt gegen die „Judenpresse“

 

Gewalt von Neonazis gegen Journalisten ist nicht neu. Medienvertreter zählen zu den Lieblingsfeinden von NPD und deren Verbündeten. „Systempresse“, „Judenpresse“ oder „linke Schmierfinken“ gehören zu den Standardbeschimpfungen für Journalisten – weil die nicht so schreiben, wie es sich NPD und andere Neonazis wünschen. In den vergangenen Monaten hat es gleich mehrere schwere Attacken gegeben. Ein Überblick:

26. Juli 2008, Passau

Nach der Beerdigung des Altnazis Friedhelm Busse greifen Neonazis, darunter offenbar auch NPD-Funktionäre, den Journalisten Robert Andreasch an. Er berichtet beim Netz gegen Nazis über die Attacke:

„Zum Ende der Veranstaltung formieren sich die rund 80 Neonazis noch auf dem Friedhofsgelände zu einem Aufmarsch in Zweier- und Dreierreihen. Mehrere angereiste und bayerische Neonaziaktivisten versuchen dann zunächst, mich an der Dokumentation dieses Aufmarsches zu hindern. In diesem Moment belassen sie noch „nur“ beim körperlichen Bedrängen und Beschimpfen.

Wenig später lassen die Rechtsextremisten die Maske fallen. An den Kirchenmauern von Sant Korona schneiden Neonazis mir den Weg ab, was in einer Art der besonderen Arbeitsteilung auch bekannte NPD-Funktionäre übernehmen. Mindestens dreissig der achtzig Aufmarschteilnehmer schlagen und treten dann auf mich ein. Zivilbeamte der Polizei sehen den Angriff sofort, können aber im ersten Moment nicht eingreifen und werden dann selber von den Neonazis angegriffen.

Mehrere Beerdigungsteilnehmer zerren derweil an meiner Kamera. Als ich am Boden liege, springt ein Neonazi auf den
Fotoapparat. Erst als die Polizei Pfefferspray einsetzt, um die Neonazis auf Distanz zu bringen, kann ich mich gemeinsam mit einem Beamten aus der gefährlichen Situation entfernen. Die massiven Schläge und Tritte haben mich erheblich verletzt, meine Kleidung ist zerrissen. Trotz eilig herbeigerufener Verstärkung ist die Polizei äußerst schwach besetzt und kann nur elf Neonazis verhaften, gegen die nun wegen Raub, Körperverletzung und Landfriedensbruch ermittelt wird.“

Mittlerweile hat eine bekannte Neonazi-Seite ein Bild, den Klarnamen und die Adresse des Journalisten veröffentlicht – verbunden mit der Aufforderung, ihm „erbauliche Post aus aller Welt“ zuzusenden.

21. Juni 2008, Dresden

Die Behörden hatten eine Veranstaltung der Jugendorganisation der rechtsextremen NPD in Dresden abgesagt. Der tschechische Fotograf Stanislav Krupar reist dennoch an – und wird zum Opfer rechter Gewalt. Bei stern.de beschreibt er den Überfall auf sich:

„Seit 2002 begleite ich das Auftreten von Neonazis mit meiner Kamera, meistens in meiner Heimat Tschechien – aber auch in Deutschland; die Grenzen, die den Rechtsextremen ansonsten so wichtig sind, zerfließen bei den Bewegungen der Neonazigruppen. In Deutschland ist mein Job meist gefährlicher: In Tschechien ist immer mehr Polizei zugegen, die uns Journalisten in brenzligen Situationen schützt. So bin ich beim diesjährigen NPD-Maiumzug in Nürnberg von einer Gruppe “Junger Nationaldemokraten”, der Jugendorganisation der NPD, gejagt worden. Schließlich konnte ich mich hinter Polizisten verstecken. Aber diese Attacke sollte nicht die letzte sein.

Eine Gruppe tschechischer Neonazis erkannte mich. Ich hatte einige von ihnen im Frühling dieses Jahres in Jihlava fotografiert; offiziell eine Gedenkveranstaltung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, nutzen Tschechiens Rechtsextreme die Gelegenheit jedes Jahr, um Blumen auf die Gräber von Soldaten der SS und der Wehrmacht zu legen.

In der Hainstraße verlangsamten drei Tschechen ihren Lauf und umkreisten mich. Weitere schlossen sich an. Schon nach wenigen Schlägen aus allen Seiten fiel ich auf den Bauch. Weitere Schläge folgten, und Tritte. Meine Fotokamera versteckte ich unter dem Bauch und hielt beide Hände an den Kopf, um ihn vor Schlimmerem zu schützen. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Es war, als sei die Zeit stehen geblieben. Dann hörte ich, wie irgendjemand auf meine Angreifer einredete, ich glaube, es war einer von den NPD-Ordnern. Den Schlägern war dennoch genug Zeit geblieben für eine “Abrechnung”.

Zum Glück hatte ich meinen Rucksack mit der Foto-Ausrüstung über die Wirbelsäule geschnallt; das schützte meine Nieren vor den Tritten. Doch während der Schläge öffneten sie meinen Rucksack und verstreuten die Ausrüstung auf der Straße. Nachdem die Attacke vorbei war, tastete ich nach meinen Sachen. Es fehlte das Handy und mein Blitzgerät Nikon SB800. Dann kehrte einer der tschechischen Angreifer zurück, ich sah ihn zu spät – und er trat noch einmal gegen meine Kamera. Während all dessen keine Spur von der Polizei.“

01. Mai 2008, Hamburg

Neonazis greifen aus einem Aufmarsch, unterstützt von JN- und NPD-Hamburg, mehrere Journalisten an. Einige Pressevertreter werden mehrmals attackiert, die Polizei lässt die etwa 1000 Neonazis marschieren, hat offenbar nicht ausreichend Kräfte vor Ort, um sie zu bändigen. Die NPD rechtfertigt die Gewaltorgie. Journalisten, die bereits seit Jahren Neonazi-Aufmärsche beobachten, sprechen von einer bislang nicht gesehenen Aggressivität.

Nach den Angriffen auf die Medienvertreter runden Berichte auf Neonazi-Seiten die ganze Geschichte noch ab. Dort werden die Attacken zumeist abgefeiert oder noch weiter gegen einzelne Journalisten gehetzt. Auch ihre Mordfantasien leben Neonazis dort aus.

Ein weiterer gravierender Fall liegt einige Zeit zurück: November 2006, Blankenfelde

Neonazis schlagen am Rande einer HDJ-Veranstaltung eine Journalistin nieder – am hellichten Tag in einem Supermarkt. Nach der Tat habe es rund 45 Minuten gedauert, bis die Polizei eintraf, berichten Röpke und ihr Begleiter gegenüber tagesschau.de. Auch die später eingetroffenen Sanitäter hätten mehrmals über Funk Polizeikräfte angefordert, da sich vor dem Supermarkt immer mehr Neonazis sammelten. Die Journalistin bat viele Augenzeugen darum, eine Zeugenaussage bei der Polizei zu machen, doch niemand sei dazu bereit gewesen, so Röpke. „Alle hatten Angst!“ Bei den Tätern könnte es sich laut Röpke unter anderem um einen Leibwächter des sächsischen NPD-Fraktionschefs Holger Apfel gehandelt haben. Die Neonazis bedrohten später auch noch einen Kameramann des RBB

Siehe auch: Dresden: Neonazis treten auf Journalisten ein, Hamburg: Ausschreitungen am 01. Mai mit politischem Nachspiel, DJV begrüßt Ermittlungen / Neue Drohungen gegen Journalisten und Politiker, Brutalisierung als bundesweiter Trend, “Autonome Nationalisten”: Neues Outfit, alter Hass, Ein Schritt vor, zwei zurück, drei vor: NPD distanziert sich mal wieder vom “Schwarzen Block”, Lynchmob 2.0