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Blood and Honour: Stark durch Rechtspopulismus

 

Das in Deutschland verbotene Neonazi-Netzwerk Blood and Honour tritt selbstbewusst im Ausland auf. Kontrollen müssen die Rechtsextremen kaum fürchten. Das macht sie mächtiger.

Von Henrik Merker und Jonas Miller

Neonazis feiern Geburtstag Adolf Hitlers in Italien
Rechtsrockkonzerte boomen – wie hier 2018 im thüringischen Apolda. © Henrik Merker

Am Osterwochenende war eine Kleinstadt im Norden Italiens unter der Kontrolle von Neofaschisten. Mehr als 1.500 Rechtsextreme aus ganz Europa pilgerten in das Örtchen Cerea, um bei einem Konzert zum Geburtstag Adolf Hitlers dabei zu sein. Weder Polizei noch Politik oder lokale Medien schienen sich um das braune Treiben zu scheren. Für das Musikfestival durften die Veranstalter sogar eine kommunale Messehalle nutzen.

Auch aus der Bundesrepublik hatten sich Gäste auf den Weg gemacht. Mehrere von ihnen trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Blood and Honour Deutschland“ – was mehr als ein pikantes Detail ist: Die Organisation Blood and Honour ist hierzulande seit dem Jahr 2000 verboten. Doch die rechtsextreme Gruppe vernetzt Neonazis international – auch dort, wo sie offiziell nicht mehr existiert.

Unbeeindruckt vom Verbot

Und so warb das Netzwerk im Vorfeld reichlich auf seinen Kanälen, um die eigene Klientel nach Cerea zu locken. In den Achtzigerjahren war Blood and Honour in England gegründet worden, mit dem Ziel, neonazistische Inhalte über Musik zu propagieren. In Deutschland werden mehrere mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe NSU dem harten Kern der Seilschaft zugerechnet. Nach dem Verbot organisierten sich viele in Ersatzgruppen oder machten einfach unter dem alten Namen weiter. Ende 2018 ging die Polizei bundesweit mit einer Razzia gegen zwölf Beschuldigte vor, die das Netzwerk reanimiert und fortgeführt haben sollen.

Auch in Italien handelten die Rechtsextremen völlig unbeeindruckt von staatlicher Verfolgung. Organisiert hatte das Konzert die örtliche Gruppe Veneto Fronte Skinheads. Und die stieß offenbar auf keinerlei Widerstand. Die Veranstaltung in der Messehalle hatte die Gemeinde genehmigt. In Cerea regiert Bürgermeister Marco Franzoni von der Partei Lega, die auch am italienischen Regierungskabinett beteiligt ist. Lega wird von Politikwissenschaftlern als rechtspopulistisch oder rechtsradikal eingestuft.

Italienische Journalisten hatten das Konzert nicht auf dem Schirm. Doch nachdem ZEIT ONLINE über das Rechtsrockspektakel berichtete, gerieten der Hallenbetreiber und der Bürgermeister in Erklärungsnot. Laut italienischen Medien sagte Franzoni, die Veranstaltung sei „ordnungsgemäß“ angemeldet, die Halle „korrekt bezahlt“ und in einem „aufgeräumten und sauberen Zustand” hinterlassen worden. Zudem erklärte er, die italienische Verfassung schütze die Meinungsfreiheit. Er hoffe, das Konzert sei im „Rahmen der Verfassung“ geblieben.

Rechtsrock-Spektakel wird ein Fall fürs Parlament

Mittlerweile beschäftigt das Festival auch das italienische Parlament. Oppositionspolitiker wollen wissen, warum die Gemeinde der rechtsextremen Gruppe die Messehalle zur Verfügung stellte.

Beispielhaft für den Umgang der Lega mit Neofaschisten ist auch die Reaktion auf den Anschlag von Macerata im Februar 2018. Ein Kandidat der Lega hatte in der Stadt nahe der italienischen Ostküste aus einem fahrenden Auto auf dunkelhäutige Menschen geschossen. Italiens Innenminister Matteo Salvini, selbst ein Lega-Politiker, sagte, wer schieße, sei ein Krimineller. Die moralische Verantwortung trügen jedoch diejenigen, die „das [Land] mit illegalen Einwanderern gefüllt haben”.

Neue Stärke für altes Netzwerk

In einem Klima des stramm rechten Populismus fühlen sich Neonazis sicher. Ihre Konzerte boomen, in Italien wie in Deutschland. Hier wie dort ziehen sie Gesinnungsgenossen aus mehreren europäischen Ländern an. In Deutschland tragen manche Teilnehmer T-Shirts ausländischer Abteilungen von Blood and Honour, um das Verbot zu unterlaufen – vor allem italienische Aufschriften waren zuletzt bei mehreren Events der Szene zu sehen, etwa im thüringischen Apolda, beim Rudolf-Heß-Aufmarsch in Berlin oder im sächsischen Ostritz.

Außer in Deutschland ist die Struktur auch in Spanien und Russland verboten. Doch auch aus dem spanischen Katalonien reisen Bands des Netzwerks durch ganz Europa, um Konzerte zu geben, wie die Gruppen Jolly Roger und Inductibles aus Barcelona. Es handelt sich um dieselbe Band, jedoch mit wechselnder Besetzung. Sie trat sowohl in Ostritz als auch in Cerea auf.

Die Omnipräsenz von Blood and Honour lässt vermuten: Das Netzwerk wird weiterhin auf- und ausgebaut, weit weg von staatlicher Kontrolle. Für den erneuten Aufstieg mussten sich die Strategen der Gruppe nicht einmal neu orientieren, die konspirativen Methoden sind dieselben geblieben. Wenn Behörden und Polizei sie machen lassen, dann ist ihnen der Erfolg gewiss.