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Der Kampf der Chemnitzer

 

Vor einem Jahr tobten Neonazis durch Chemnitz und jagten Menschen. In der Stadt sind Aktivisten seitdem im Dauereinsatz für Demokratie. Auch wenn extreme Rechte weiter Flagge zeigen.

Von Johannes Grunert

Teilnehmer des rechtsextremen Aufmarschs in der Chemnitzer Innenstadt © dpa/Hendrik Schmidt

Es gibt Gäste im Restaurant von Masoud Hashemi, die kommen nicht nur wegen des Essens. Die kommen auch „aus Solidarität“. So erzählt der 52-jährige Iraner das. Wegen dem, was im Oktober 2018 in seinem Laden im sächsischen Chemnitz, dem Safran, passiert war. Drei Männer mit Motorradhelmen stürmten herein und griffen ihn an. Sie zeigten den Hitlergruß, zerstörten Teile der Einrichtung. Hashemi wurde verletzt und kam ins Krankenhaus. Ein rechtsextremer Übergriff. Zu der Zeit nicht der einzige Vorfall seiner Art.

Vor einem Jahr, am 26. August 2018, wurde in der Stadt der 35-jährige Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfests erstochen. Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde der Täter, ein 24-Jähriger, wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. In die Schlagzeilen kam die Stadt vor allem wegen der Nachwirkungen der blutigen Tat: Neonazis versammelten sich zu Großaufmärschen, sie griffen Menschen an, die sie für Migranten hielten. Chemnitz wurde zur Gewaltzone.

Rechte marschieren wieder

Am vergangenen Sonntag gab es wieder eine Demonstration, initiiert abermals von der rechten Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die mit fünf Sitzen im Chemnitzer Stadtrat vertreten ist. Statt der angemeldeten 1.000 Teilnehmer kamen nach Angaben von Polizei und Ordnungsbehörde aber nur rund 450.

Zugleich feierte Chemnitz ein dreitägiges Fest namens Herzschlag – organisiert von Bürgern, besucht von 67.000 Menschen. Das Stadtfest war nach den Ereignissen des Vorjahres abgesagt worden. Da ergriffen Chemnitzer selbst die Initiative. Eine Aufbruchstimmung, wie sie seit den hässlichen Bildern der Aufmärsche immer stärker unter den Bürgern zu spüren ist.

Migranten in Angst

Masoud Hashemi, der Restaurantbetreiber, ließ sich damals vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen. „Jede Minute, die mein Restaurant geschlossen hat, ist ein Sieg für die Nazis“, sagt er. Die Menschen kommen und essen. Allerdings habe er Probleme, migrantische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Viele lebten in Angst, einige wollten nur noch weg aus Chemnitz.

Masoud Hashemi steht vor seinem Restaurant im sächsischen Chemnitz © Robert Michael/dpa
Restaurantchef Masoud Hashemi © Robert Michael/dpa

Besonders Flüchtlinge hätten Probleme im Alltag, berichtet Rola Saleh. Die Sozialarbeiterin hatte die rechte Menschenjagd im vergangenen Jahr selbst beobachtet und sich allein an den Rand des spontanen Aufmarschs gestellt, um dagegen zu protestieren. Saleh ist bei der Initiative Welcome United aktiv, mit der sie kürzlich eine Tour durch sächsische Kleinstädte gemacht hatte, um dort Asylsuchende zu unterstützen. „In Chemnitz und besonders in den kleineren Städten ist der Alltagsrassismus noch mehr geworden“, erzählt sie. Kollegen haben ihr berichtet, dass sie inzwischen vermehrt Umzugsanträge von Flüchtlingen auf dem Schreibtisch hätten. Viele wollten aufgrund der Stimmung in der Stadt an einen anderen Ort ziehen. Doch wer vor weniger als drei Jahren nach Deutschland gekommen sei, müsse aufgrund der sogenannten Wohnsitzauflage in der Stadt bleiben.

Neue Initiativen entstehen

Angst machen auch andere Geschehnisse in der Stadt: Im Oktober 2018 hoben Ermittler die Terrorgruppe Revolution Chemnitz aus, die sich aus den Aufmärschen heraus rekrutiert hatte. In diesem Jahr hielten Fans des Fußballvereins Chemnitzer FC eine Trauerminute für einen verstorbenen rechten Hooligan ab. Der Mannschaftskapitän solidarisierte sich mit den Hooligans und reiste Anfang August mit einschlägigen Neonazis privat zu einem Spiel. Er wurde aus dem Kader geworfen.

Das ist eine Seite von Chemnitz, jene, die es weitaus häufiger in die Zeitungen schafft. Doch in der Stadt habe sich auch viel zum Positiven entwickelt, sagt Anett Linke. Sie ist Mitglied der Gruppe die Buntmacher*innen – ein Verein, gegründet nach den Ausschreitungen. Die Mitglieder organisieren sogenannte Basare, offene Räume, in denen Menschen ins Gespräch kommen können. Vor der Kommunal- und Europawahl waren die Buntmacher*innen auf einer Tour, mit der sie Bürger zum Wählen motivieren wollten. Im vergangenen Herbst hätten vermehrt junge Leute angefangen, sich zu engagieren, doch von den neuen Initiativen seien ein paar wieder eingeschlafen. „Bestehende Gruppen suchen heute wieder nach Leuten“, sagt Linke. Die Initiativen für Demokratie und gegen Rassismus würden heute allerdings so gut zusammenarbeiten wie nie zuvor.

Die Aufmärsche als Anstoß

Von einer guten Vernetzung sprechen auch Kenan Alejji und Yaman Kanakri vom Arabischen Verein für Kultur und Integration in Chemnitz. Sie haben ebenfalls in Folge der Neonazidemos die Initiative ergriffen. Ihr Verein bietet unter anderem Sprachkurse und Nachhilfe für Flüchtlingskinder an. Der Dialog ist ihnen besonders wichtig, sagen sie. „Wir wollen den Chemnitzern zeigen, dass wir normale Menschen sind und keine Figuren auf einem Schachspiel“, sagt Alejji. Mittlerweile sehen sie sich als Interessenvertretung für die arabischen Flüchtlinge in der Stadt. Die Idee für den Verein sei ihnen schon vor zwei Jahren gekommen, doch mit dem August 2018 wuchs der Druck, etwas zu tun: „Jetzt sahen wir uns gezwungen, gegen die Situation in der Stadt zu kämpfen.“

Überhaupt – der Kampfeswille. Für viele von denen, die bis heute nicht gegangen sind, ist der Widerstand etwas Selbstverständliches geworden. Auch unter schweren Umständen. Masoud Hashemi vom Safran möchte bleiben, selbst wenn die AfD bei der Landtagswahl am Sonntag siegen würde: „Hier ist es noch wichtiger als woanders. Denn wenn die Rechten hier gewinnen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt.“