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Rechte Bewegungen: Stimmung machen mit Corona

 

In Chemnitz haben Anhänger der rechten Bürgerbewegung Pro Chemnitz gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. In den Forderungen nach Lockerungen haben sie ihr Thema entdeckt – und suchen neue Bündnisse.

Von Johannes Grunert

Polizisten führen einen Teilnehmer der verbotenen Demonstration ab. © dpa/Peter Endig

Als das Verbot kam, waren sie schon da: Eine Mischung aus Neonazis, Mitgliedern rassistischer Bürgerinitiativen und Anhängern von Verschwörungsideologien demonstrierte am Freitag im sächsischen Chemnitz. Anlass war der Widerstand gegen die „Corona-Diktatur“, wie die rechte Bürgerinitiative Pro Chemnitz die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie bezeichnet. Rund 250 Teilnehmer kamen am frühen Abend zum Protest – angemeldet waren lediglich 15. Erst kurze Zeit zuvor hatte das zuständige Oberverwaltungsgericht das Treffen untersagt.

Pro Chemnitz kann sich dennoch mit einem Achtungserfolg brüsten. Die mit fünf Sitzen im Stadtrat vertretene Gruppe hatte Chemnitz im Spätsommer 2018 mit Demonstrationen mehrere Tage lang in einen Ausnahmezustand versetzt. Spätere Protestveranstaltungen scheiterten. Nun aber gibt es ein neues Thema, um Anhänger und Sympathisanten auf die Straße zu bringen: Corona.

Gemeinsame Sache mit NPD und AfD

In rechten und verschwörungstheoretischen Kreisen schafft die Pandemie Einigkeit. So hatte Pro Chemnitz gemeinsam mit NPD und AfD bereits für den vergangenen Montag zu einer Demonstration in Chemnitz aufgerufen. Mehrere Hundert Teilnehmer trafen sich in der Stadt, die Polizei musste durchgreifen. Erprobt worden war die Masche bereits in Berlin, wo Neonazis bereits seit vier Wochen gemeinsam mit Verbündeten demonstrieren.

Pro Chemnitz scheint das aber nicht genug: Die Vereinigung hofft offenbar auf eine Querfront mit linken Gegnern der Corona-Maßnahmen, um gemeinsam gegen die Regierung vorgehen zu können, wie ihr Chef Martin Kohlmann mehrmals in Videos ankündigte. Man habe sogar einen linken Redner eingeladen, der angeblich auch gegen die verordneten Maßnahmen sei – der habe allerdings gar nicht erst geantwortet.

Die schwierige Lage, verursacht durch die Schutzmaßnahmen, befeuert in rechten Kreisen ungeahnte Kreativität: Pro Chemnitz rief in sozialen Netzwerken dazu auf, sich trotz der Beschränkungen in der Innenstadt aufzuhalten. Die Anreise sei schließlich erlaubt. Auch nachdem die Stadt die Demonstration erstmals untersagt hatte, rief die Bürgerbewegung zu gemeinsamen Spaziergängen im Stadtgebiet auf. Ihre Anhänger wissen die Aufrufe zu interpretieren.

Neues Feindbild Polizei

Zwei Hundertschaften der sächsischen Polizei konnten nicht alle Ansammlungen verhindern, dennoch nahm das Verbot den Demonstranten dieses Mal den Wind aus den Segeln. Die Polizei nahm Dutzende Ordnungswidrigkeiten auf, neun Anzeigen wegen Straftaten wie der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Körperverletzung wurden gestellt. Besonders aggressiv zeigte sich eine Gruppe um den Pro-Chemnitz-Stadtrat Bernd Arnold, die einem Journalisten mit „Ausrottung“ und Hausbesuchen drohte und einen Beamten mit einer Fahnenstange angriff.

Ohnehin hat die extrem rechte Szene in der Polizei ein neues Feindbild gefunden. Während man sich selbst mit den momentan nur in Ausnahmefällen erlaubten Versammlungen als Kämpfer für das Grundgesetz stilisiert, wird die Polizei als direkter Gegner empfunden. Vorbei sind die Tage, in denen Hunderte auf Demonstrationen gegen Geflüchtete ihre Demonstrationen mit „Danke-Polizei“-Sprechchören beenden.

Pro-Chemnitz-Anhänger drohten Polizisten in sozialen Netzwerken: Wenn dies auf der Straße nicht ginge, würden sie „zu Hause bei ihren Familien und Kindern besucht und zur Rechenschaft gezogen“. In einem Telegram-Kanal hieß es, Bezug nehmend auf den Polizeieinsatz am Montag, jeder Polizist, „der sich künftig an unserem Volk vergeht, ist vogelfrei!“ Pro Chemnitz selbst hatte zuvor verkündet, man werde „die Täter zur Rechenschaft ziehen“. Gemeint waren die Polizisten, die am vergangenen Montag zahlreiche Demonstranten festgesetzt hatten.

Weitere Demonstrationen angekündigt

Unterdessen kursieren in rechten Kreisen bereits neue Aufrufe. Pegida-Chef Lutz Bachmann rief auf seinem Youtube-Kanal für kommenden Montag zu Aktionen in mehreren Städten auf. Pro Chemnitz kündigte eine Demonstration für den 1. Mai im erzgebirgischen Aue an.

Im Widerstand gegen die Maßnahmen missachten Gegner auch in anderen Städten das Versammlungsrecht. Im sächsischen Pirna waren am Mittwoch 180 AfD-nahe Demonstranten unangemeldet dem Aufruf eines Lokalpolitikers gefolgt. Am Freitag trafen sich im ostsächsischen Neustadt laut Polizeiangaben 160 Menschen. Die Polizei beendete die Versammlung. In Kamenz im Landkreis Görlitz sahen die Beamten die Lage offenbar anders. Da die rund 60 Teilnehmer den Mindestabstand eingehalten hätten, habe man den Vorgang nicht als Versammlung gewertet.