Früher Schulhof-CD, heute Podcast: Auf Audio-Portalen wie Spotify und Apple findet der rechte Verein Ein Prozent eine Bühne. Gegner versuchen, das Angebot zu stoppen.
Von Johannes Vogl
„Die Krise ist die Zeit der Nationalstaaten!“ Ein typischer Satz des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke. Nur, dass er ihn nicht auf der Bühne einer Pegida-Demo gesagt hat, sondern in einem Podcast. Lagebesprechung heißt das Angebot, mit dem sich der rechte Verein Ein Prozent seit Ende März regelmäßig zu Themen der Corona-Krise zu Wort meldet. Auf populären Portalen wie Spotify und Apple Podcasts – frei zugänglich, auch für junge, unbedarfte Hörer.
In der ersten Folge kündigt Moderator Arndt Novak an, man werde den „Auswirkungen dieser Ausnahmesituation für unser Land und seine Leute nachspüren“. Doch mit Höcke redet er nur rund zehn Minuten über die Pandemie. Der prominente Gast behauptet anschließend, die Presse in Deutschland betreibe seit Jahren „Regierungspropaganda“; sie orakeln, dass der Nationalstaat vor „seiner großen Renaissance“ stehe.
Bündnis geht gegen Podcast vor
Dass mit Spotify der größte Streaming-Anbieter als Bühne für die Thesen von Ein Prozent dient, ist für das Berliner Bündnis gegen Rechts nicht hinnehmbar: „Die Corona-Krise verunsichert viele Menschen. Rechte Gruppen versuchen, diese Verunsicherung zu nutzen, um ihre Propaganda zu verbreiten“, sagt Sprecher David Kiefer. Unter dem Deckmantel einer Diskussion über die Krise würden „Verschwörungstheorien und Ideologie der Neuen Rechten“ verbreitet.
Das Bündnis ruft Nutzerinnen und Nutzer dazu auf, sich bei Spotify zu beschweren. Ein Prozent spricht angesichts der Kampagne von Zensur und wirft dem Bündnis vor, es gefalle „sich in seiner Position als Chefankläger“.
Folgen des Podcasts heißen unter anderem „Der Faktencheck zu Covid-19“, „Die Lage in Österreich“ oder „Chaos in der Autoindustrie“. Illustre Gäste aus dem rechten Spektrum bekommen eine halbe Stunde Redezeit – ohne kritische Gesprächspartner, ohne lästige Nachfragen: Neben Höcke sind das etwa der rechtsextreme Gewerkschafter Oliver Hilburger und der FPÖ-Politiker Heinrich Sickl.
Rechte wissen Medien zu nutzen
Hilburger sagt im Podcast-Interview, dass die Lehre aus der Krise nur sein könne, „dass wir nicht mehr Globalisierung, sondern weniger Globalisierung brauchen“. Sickl, dem eine enge Verbindung zur Identitären Bewegung nachgesagt wird, warnt vor dem Einsatz von „Corona-Tracking-Apps“: „Wenn man nicht aufpasst, sind wir ganz schnell in einem totalitären Überwachungsstaat.“
Mit diesem Narrativ gehört Lagebesprechung zur Onlinepropaganda von Rechtsextremen, deren Wunsch es laut Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) ist, „eine ‚Gegenöffentlichkeit‘ zur verhassten ‚Systempresse‘ zu schaffen“. Und junges Publikum zu begeistern: Ab 2004 verteilten Freie Kameradschaften und die NPD die sogenannten Schulhof-CDs mit Rechtsrock. Mitte der 2010er-Jahre inszenierten die Autonomen Nationalisten ihre Aufmärsche und Aktionen auf YouTube.
Heute wartet potenzieller Nachwuchs bei Spotify. „Allein durch die Masse an rechtsextremen Inhalten schaffen es die Neonazis, Tausende Menschen zu erreichen, an die sie über klassische Wege, etwa mit Flugblättern oder Aufmärschen, niemals herankommen würden“, heißt es bei der BPB.
Enge Verbindungen in der Szene
Moderator Arndt Novak ist ein bekanntes Gesicht der Neurechten. Er produzierte mit dem Neonazi Lukas Bals* den Videoblog Jugendmut und ist Mitglied der schlagenden Münchener Burschenschaft Danubia, die aufgrund ihrer Verbindungen ins rechtsextreme Milieu bereits im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wurde.
Der Verein hinter dem Projekt, Ein Prozent, hat mit rechter Öffentlichkeitsarbeit viel Erfahrung. Er hat es sich nach eigenen Angaben zum Ziel gemacht, „den Widerstand gegen [die] politische Klasse“ zu vernetzen. Die Organisation tritt als PR-Agentur rechter Kampagnen auf und initiiert Crowdfunding-Kampagnen für Aktionen der Identitären. Zu den Gründern gehören Hans-Thomas Tillschneider, Mitbegründer der mittlerweile aufgelösten radikalen AfD-Gruppierung Der Flügel, und der Verleger Götz Kubitschek, der aus seinem Heimatdorf Schnellroda in Sachen-Anhalt eine Art Zentrum der Neuen Rechten in Deutschland gemacht hat.
Den Vorsitz von Ein Prozent führt Philip Stein, ein Multifunktionär der rechtsextremen Szene. Stein ist unter anderem Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft. Ebenfalls am Podcast beteiligt: das österreichische Magazin Freilich, herausgegeben von FPÖ-Politiker Sickl, der auch als Gast in einer Folge auftrat. Das Beispiel Lagebesprechung zeigt, wie – und vor allem wie eng – Identitäre, Rechtsextreme und neue Rechte in Deutschland und Österreich vernetzt sind.
Spotify greift nicht ein
Bei Spotify ist der Podcast nicht der erste Fall von zweifelhaftem Inhalt: Anfang des Jahres berichtete die Onlinezeitung The Times of Israel über zahlreiche Angebote auf der Plattform, die antisemitisch und faschistisch seien. Warum in der Causa Lagebesprechung bisher noch nichts geschehen sei, ist für David Kiefer vom Berliner Bündnis gegen Rechts unverständlich: „Wir fragen uns, warum Spotify jetzt nicht handelt.“
Auch gegenüber ZEIT ONLINE wollte sich Spotify nicht äußern. Lagebesprechung ist immer noch online.
*Aktualisierungen:
In einer früheren Fassung hatten wir geschrieben, Arndt Novak trete als Kader der Identitären Bewegung auf. Nach eigener Aussage von Arndt Novak ist dies nicht mehr der Fall. Wir haben den Text daher entsprechend angepasst.
Der im Text erwähnte Lukas Bals hat sich nach eigener Aussage im Jahr 2017 aus der Neonaziszene gelöst.