Ein Leipziger Rechtsextremist sendet täglich Mythen über das Coronavirus ins Netz – und wittert eine jüdische Verschwörung. Für seine Videos wirbt auch die AfD.
Von Henrik Merker
Hans-Joachim Müller geht täglich um 19.30 Uhr live. Er spricht über Corona, das Kaiserreich und Juden, die die Geschicke der Welt vom Vatikan aus lenken, wie er glaubt. Seine Zehntausende Fans nennen ihn HaJott – wie die Abkürzung der Hitlerjugend. Über zehn Millionen Mal wurden seine Videos auf YouTube bislang angeschaut, Müller folgen über 69.000 Nutzer.
Wenn der Leipziger die Webcam anknipst, streut er Äußerungen wie diese unter seiner Zuschauerschaft: „Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, was hier, was hier über so einen Virus erzählt wird.“ Wäre der Covid-19-Erreger wirklich gefährlich, „dann müssten die Leute tot umfallen wie bei der Pest oder Cholera, innerhalb drei Tagen tot, und 50 Prozent sterben“. Erst dann wäre es aus seiner Sicht eine Pandemie. Was in Umlauf ist, das sei eine „in Gang gesetzte Epidemie von Bill Gates, also insgesamt Rockefeller“.
Antisemitische Verschwörungstheorie
Rockefeller – der Name der Industriellenfamilie steht in den Kreisen, an die Müller sich wendet, als Synonym für das jüdische Volk. Der YouTuber ist der Star der sogenannten QAnon-Ideologie in Deutschland – einer Strömung, in der Antisemitismus und Verschwörungstheorien zusammenfließen. Anfang März, als sich das Coronavirus flächendeckend ausbreitete, verzeichnete Müllers Kanal einen rasanten Anstieg an Followern.
QAnon geht auf kryptische Verlautbarungen in Onlineforen zurück, die den Anhängern zufolge von einem Whistleblower aus dem US-Energieministerium stammen, der sich selbst Q nennt. Menschen, die daran glauben, nehmen diese kryptischen Aussagen, um mit ihnen das tagespolitische Geschehen als Taten einer jüdischen Weltverschwörung zu interpretieren.
Inspiration für Attentäter
Die Attentäter von Halle und Hanau bezogen sich in ihren Bekennerschreiben auf Versatzstücke dieser rechtsextremen Denkwelt. Der Täter von Halle nannte sich in einem Video seiner Tat “Anon” und gab die Behauptung wieder, Juden würden die Welt regieren. Der Täter von Hanau wähnte sich sogar in einem Krieg gegen eine Art Geheimorganisation und die, wie er schreibt, “Degeneration” der Bevölkerung.
Ähnlich die Botschaften, die Müller verbreitet: In einem Video spricht er von “kryptojüdischen Gruppen”, die den Vatikan kontrollierten. Der Vatikan wiederum kontrolliere die Welt. Müller empfiehlt in mehreren seiner Videos die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion zur Lektüre. In der zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienenen Schrift wird eine jüdische Weltverschwörung behauptet. Die vermeintlichen Protokolle sind seit einhundert Jahren als Fälschung entlarvt. Doch Müller behauptet, das könne “nicht sein, weil jedes Wort, was da drinsteht, heute Realität ist”.
Auch die Corona-Maßnahmen bringt Müller mit einer angeblichen Verschwörung in Verbindung. Die Mundschutzpflicht in Geschäften und Nahverkehr interpretieren Müller und seine Anhänger als Zeichen angeblicher Sklaverei. Müller behauptet, Viren seien „so klein, kleiner als die Luftmoleküle“. Durch einen Stoff, der die Viren abhalte, könne man demnach nicht atmen und man würde am Mundschutz ersticken.
Corona als Versklavung
Eine Theorie, die sich mit den Ansichten von QAnon deckt. Demnach wird mit Corona versucht, die Menschheit zu versklaven. Der realitätsferne Glaube verfängt bei Müllers Anhängern. Auf Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen tragen zahlreiche Teilnehmer absichtlich keinen Mundschutz. Die vorgeschriebenen Abstandsregeln halten sie nicht ein. Die absichtlichen Verstöße werden bereits im Vorfeld in sozialen Medien angekündigt. Die Teilnehmer gefährden sich und andere.
Nicht nur bei den Protesten fallen Müllers Äußerungen auf fruchtbaren Boden. Auch die AfD ist dafür empfänglich: Sowohl der Kreisverband Leipzig-Land als auch der sächsische Landesverband warben für seine YouTube-Kanäle.
Selbst im Bundestag war Müller schon zu Gast bei der AfD, er war 2019 Teilnehmer einer umstrittenen Konferenz neurechter bis rechtsextremer Medien. Dort posierte er für ein Foto mit dem rechten Publizisten und Konferenzorganisator David Berger. Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Erwin Renner steht auf dem Bild neben ihm.
Feindbild Bundesrepublik
Weitere Verbindungen unterhält der Leipziger in die rechtsextreme Szene. Auf Facebook teilte er ein Solidaritätsbild für die inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Zuletzt nahm er ein gemeinsames Video mit dem Pro-Chemnitz-Chef Martin Kohlmann und dem Dresdner Nicos Chawales auf. Kohlmann steht unter Beobachtung des sächsischen Verfassungsschutzes, Chawales war Botschafter des völkischen Vereins Ein Prozent.
In ihrem gemeinsamen Video überlegen die Männer, in Sachsen ein Königreich zu errichten. Kohlmann sagt in dem Gespräch: “Wir müssen nicht unser Grundgesetz verteidigen, sondern wir müssen uns vielleicht auch gegen das Grundgesetz verteidigen”. Bereits bei einem Vortrag Anfang März hatte Müller gesagt: “Die BRD ist nicht unser Staat, es ist eine Simulation. Und die BRD ist unser Feind.”
Dem sächsischen Landeskriminalamt seien Müller und dessen QAnon-Seiten nicht bekannt, sagte ein Sprecher auf Nachfrage von ZEIT ONLINE. Auch bei der Leipziger Polizei habe man zu ihm keine Informationen.