Unbekannte haben einen Sprengstoffanschlag auf die Wohnung einer Linken-Politikerin verübt. Zuvor erhielt die Stadträtin Drohungen. In der Region existiert ein militantes Neonazi-Netzwerk.
Von Henrik Merker
Ramona Gehring hat eine unerwartet ruhige, unaufgeregte Stimme, als sie am Telefon von der vergangenen Nacht erzählt. Sie erinnert sich an einen orangen Blitz, der aufleuchtete. Gegen 23:30 Uhr splitterten die Scheiben, sagt sie. Dann ein ohrenbetäubender Knall, Rauch. Lokalmedien schreiben, selbst in der Nachbargemeinde habe man die Explosion gehört. Gehring stand im Nebenzimmer, als der Anschlag auf ihre Wohnung im sächsischen Zittau verübt wurde. Sie wollte schlafen gehen, rauchte noch eine Zigarette am Fenster.
Zittau liegt an der Grenze zu Polen. Die 55-jährige Gehring ist Lokalpolitikerin, sitzt für die Linken im Stadtrat. In dem Zimmer ihrer Wohnung, vor dem der Sprengkörper detonierte, schläft normalerweise ihr Enkel. Zufällig war er nicht im Raum, niemand wurde verletzt.
Gehring zählt die Schäden auf: „Die linken Fenster hat es komplett rausgebrochen, sogar die Holzrahmen sind kaputt. Und bei dem anderen Fenster ist das Oberlicht kaputt, und die Außenscheibe hat’s komplett zerlegt.“ Dreck und Staub habe die Explosion im Zimmer hinterlassen.
Drohungen über Facebook
Sie wohnt im Erdgeschoss. Gehring vermutet, dass die Bombe einfach auf das Fensterbrett gelegt und gezündet wurde. Was für ein Sprengkörper so einen Schaden anrichtet, kann die Polizei noch nicht sagen – die Ermittlungen laufen. „Man sieht hier ab und zu solche Polenböller oder solche Kugelbomben“, sagt Gehring. Nur so eine Explosion wie letzte Nacht habe sie noch nicht gesehen. Von dem Sprengkörper sei nur ein Papierfetzen übrig geblieben. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt gerade, wie schwer mögliche Personenschäden gewesen wären. Das wird für das spätere Strafmaß entscheidend sein, sagt eine Polizeisprecherin – vorausgesetzt, die Ermittler finden die Urheber.
Über den Hintergrund der Tat kann die Polizei nach eigenen Angaben jedoch noch nichts sagen, man stehe erst ganz am Anfang. Vor wenigen Stunden erst hat der Staatsschutz den Tatort verlassen. Zuvor rieten die Beamten der Politikerin, ihren Facebook-Account zu sperren und keine privaten Bilder hochzuladen. Gehring wundern die Ratschläge: „Das mache ich grundsätzlich nicht, da wird man nirgends was von mir finden – also weder über meine Familie noch meine Kinder. Die habe ich immer auf Facebook rausgehalten. Das geht keinen was an“, sagt sie.
Allerdings habe es immer mal wieder Drohungen gegeben. Ein Unbekannter schrieb ihr: „Wir beobachten dich, wir wissen was du machst“. Auch in einer lokalen Facebook-Gruppe wurde Gehring von einem Nutzer mehrfach belästigt, vor wenigen Tagen wurde er ausgeschlossen.
Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus
Weil die Betroffene eine Politikerin ist, ermittelt die Soko Rex des sächsischen Terror- und Extremismusabwehrzentrums, ein Sonderstab für rechtsextreme Kriminalität. Die Polizeisprecherin sagt, dass Bedrohungen vor der Landtagswahl angestiegen seien. Bereits vor der Kommunalwahl sei das spürbar gewesen. „Dementsprechend sensibel sind wir auch, und reagieren natürlich sofort.“
„Ich hab meine Meinung, damit halte ich ja nicht hinterm Berg“, sagt Gehring. „Ich hab auch eine Seite, da hab ich letztens einen Text über Ostritz geschrieben – vielleicht fanden die das nicht so cool. Ich war ja auch in Ostritz“. Auf dem von Hunderten Neonazis besuchten Festival wurden Morddrohungen gegen einen Journalisten ausgesprochen, der Veranstalter ist mit der Gruppe Combat 18 vertraut. Combat 18 ist der bewaffnete Arm des verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood and Honour und hat einen Ableger in Ostsachsen, der sich Brigade 8 nennt. Die Gruppe veranstaltete zuletzt konspirative Konzerte, an denen militante Neonazis teilnahmen.
In Zittau und Umgebung ist die rechtsextreme Szene gut organisiert. „Ein Prozent sind hier sehr aktiv, vor Kurzem waren hier auch die Identitären, und die AfD ist in den Stadtrat eingezogen“, sagt Gehring. Das der Identitären Bewegung nahe stehende Kampagnenprojekt Ein Prozent hat seinen Sitz im neun Kilometer entfernten Oybin. Frühere Kader der NPD seien dagegen kaum noch aktiv. Das Büro der Neonazi-Partei ist geschlossen. Im Stadtbild seien vor allem die neuen Gruppen sichtbar. Die klebten fast jede Nacht Aufkleber mit ihren Slogans, berichtet Gehring: „Unendlich viele Sticker von Ein Prozent und Druck 18, an jedem Laternenmast.“ Druck 18 gehört Tommy Frenck, einem umtriebigen Geschäftsmann der Thüringer Neonazi-Szene. Er war mit seinem Stand auch in Ostritz. Andere Zittauer bestätigen die regelmäßigen Klebe-Aktionen. Seit dem Festival in Ostritz gehe das schon so.
Warum ausgerechnet ihre Wohnung angegriffen wurde, Ramona Gehring kann es sich nicht erklären. Sie erhofft sich schnelle Aufklärung. Auch lasse sie sich nicht einschüchtern. „Meine Nachbarin, die war so aufgelöst, die hat geheult, als sie runter kam. Sie war völlig aufgelöst, viel mehr als ich“, sagt Gehring.