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Provokation in der Provinz

 

Erneut wollen Rechtsextreme gegen Journalisten demonstrieren – diesmal fernab der Großstädte. Die Urheber der Kundgebung provozierten zuvor in einem Konzentrationslager.

Von Simon Volpers

Die KZ-Gedenkstätte in Moringen: Hier hatten Mitglieder der Kameradschaft Einbeck für einen Eklat gesorgt. © dpa/Holger Hollemann

Es ist noch keine zwei Wochen her, dass die rechtsextreme NPD bei einem Aufmarsch in Hannover Stimmung gegen Journalisten machte. Was in der Hauptstadt Niedersachsens begann, soll nun im ländlichen Raum weitergehen: Für den Mittwoch haben Aktivisten zu einer ähnlichen Demonstration in der Kleinstadt Moringen aufgerufen. Das Motto: „Schluss mit Hexenjagd und Pressehetze“.

Nach der Vorlage in Hannover ist der Anlass kein Zufall – und auch der Ort der Demonstration nicht: Moringen liegt rund 15 Kilometer südlich der 30.000-Einwohner-Stadt Einbeck. Hier, in der Provinz, fühlen sich Neonazis stark. Sie führen einen Kleinkrieg mit lokalen Antifaschisten.

Eklat im Konzentrationslager

Stärkste Kraft in Einbeck ist die neonazistische Kameradschaft Einbeck. Die Gruppe betreibt eine Facebook-Präsenz namens Einbecker Beobachter, über die der Aufruf zur Antipressekundgebung verbreitet wurde. Auf einer anderen Facebook-Seite der Kameradschaft, genannt Nationaler Aufbruch Einbeck, veröffentlichten die Betreiber Mitte November ein Foto, das einen Eklat illustriert: Es zeigt drei Neonazis mit erhobenem Daumen vor der Konzentrationslager-Gedenkstätte Moringen. Sie tragen T-Shirts mit einem durchgestrichenen Davidstern und dem Schriftzug „Fuck you Israel“ sowie einer Hakenkreuz-Anspielung.

Zuvor hatten die Rechtsextremen bei einer Führung mit Provokationen gestört. Sie stellten das historische Geschehen in Frage und versuchten, es zu relativieren. Dabei verglichen sie ihre eigene Haftzeit mit dem Leiden von KZ-Insassen, wie es in Medienberichten heißt. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte brachen den Rundgang daraufhin ab.

Der kalkulierte Skandal im KZ war die Zuspitzung einer Strategie, mit der die Neonazis gezielt die Öffentlichkeit suchen. Mitte September hielt die Kameradschaft in Einbeck eine Kundgebung ab. Die fiel klein aus: 28 Teilnehmende standen rund 1.000 Gegendemonstranten gegenüber. Die Provokation führte zu weiteren Reaktionen: Einige Tage später kam es zu einer Farbattacke auf ein von Rechten bewohntes Haus, die Urheber sind unbekannt. Daraufhin traf sich eine Handvoll Neonazis erneut zu einer Demonstration.

Kaum Gegenwehr im Alltag

Die Gemengelage in Einbeck ist dabei speziell. Links und rechts stehen sich dort nicht als anonyme Massen gegenüber. Viele der Angehörigen beider Lager kennen sich noch aus der Schule oder aus dem Fußballverein. Namen und Adressen sind einander oft bestens bekannt.

Gegner der Rechten beklagen, dass die Neonazis im Alltag kaum Gegenwind in Einbeck erfahren. „Polizei und Stadt haben das Problem zu lange ignoriert. Die Strukturen der Kameradschaft haben sich dadurch verstärkt“, sagt ein Mitglied des Bündnisses Einbeck ist bunt, das sich gegen Rechtsextreme einsetzt. Mit Namen möchte sich der Aktivist nicht äußern. Die Kameradschaft habe dadurch an Selbstbewusstsein und Radikalität gewonnen. Zudem gerieren sich ihre Mitglieder als Beschützer ihrer Heimatstadt. Davon zeugt nicht zuletzt ihr mantrahaft wiederholtes Motto: „Einbeck bleibt sauber.“

Neben örtlichen Jugendlichen, die über die Jahre eine gefestigte rechte Ideologie entwickelt haben, mischen altbekannte neonazistische Akteure der Region in der Kameradschaft mit. Auf dem Foto vor der KZ-Gedenkstätte Moringen posiert so neben dem Einbecker Jonas A. auch der aus Moringen stammende Tobias H., der der Kameradschaft derzeit als Anmelder von Kundgebungen sowie als Administrator der Facebook-Seiten dient. Er war zuvor bereits ein treues Mitglied der extrem rechten Volksbewegung Niedersachsen. Dies gilt ebenfalls für Pascal Z., den dritten Mann auf dem Bild. Z. ist seit vielen Jahren als gewalttätiger Neonazi bekannt, der unter anderem 2016 am Hooligan-Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt gewesen sein soll. Seine letzte Haftstrafe liegt noch nicht lange zurück.

Reale Bedrohung

Die Kameradschaft bewegt sich so irgendwo zwischen Kleinstadtposse und organisiertem Neonazismus. In Einbeck treten ihre Mitglieder oft gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. Der Aktivist von Einbeck ist bunt sagt: „Die Neonazis treten oft gemeinsam in der Stadt auf. Sie haben sogar einen Nazikiez auserkoren.“ Gemeint ist eine Straße am Rande der Innenstadt, in der einige Neonazis wohnen. „Nazikiez“ bedeutet dabei allerdings wenig mehr, als dass hier übermäßig viele rechte Sticker verklebt sind und sich die Gruppe bei gutem Wetter zum gemeinsamen Nichtstun auf der Straße trifft.

Zugleich geht zunehmend eine reale Bedrohung von der Kameradschaft aus. Die Einbecker sind mit anderen Neonazistrukturen vernetzt. Auswärtige Mitglieder von NPD und Die Rechte waren wiederholt zu Gast in Südniedersachsen. Bei der Kundgebung im September sollen Kameradschaftsangehörige laut Auskunft lokaler Antifaschisten eine Menschengruppe durch die Stadt gejagt haben, die sie als Nazigegner identifizierten. Auch der Verfassungsschutz befasst sich mit der Gruppe, listet in seinem Bericht für das vergangene Jahr eine versuchte Störung der Veranstaltung einer Asylinitiative auf.

Nun will sich die Kameradschaft Journalistinnen vornehmen. Abermals ist eine Gegendemonstration zur Kundgebung der Rechtsextremen angemeldet. Sie dürften wieder deutlich in der Unterzahl sein.