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„Jemand sagte zu mir: ‚Ihr seid keine Menschen.'“

 

Gewaltdrohungen, Beschimpfungen – und immer wieder Verschwörungstheorien: Reporter von Spiegel TV haben den Wahnsinn der Corona-Demos dokumentiert und abbekommen. Warum tun sie sich das an?

Interview: Tom Sundermann

Teilnehmende einer Querdenken-Demonstration im September in München
© [M] ZEIT ONLINE. Sachelle Babbar/imago images
Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sind gruslige Veranstaltungen. Neonazis marschieren neben Verschwörungstheoretikern, Pöbler gehen auf Polizisten los, Rechtsextreme stürmen den Reichstag in Berlin. Nebenbei läuft die Verschwörungsmaschinerie heiß: Anhänger der Querdenken-Bewegung behaupten, die Pandemie gebe es nicht, die Einführung einer Diktatur stehe kurz bevor, sekundiert von einer willfährigen Propagandapresse.

Für Journalisten vermintes Gebiet. Dennoch berichtet Spiegel TV immer wieder von den Protesten. Markenzeichen: die Konfrontation von Corona-Leugnern und Rechten. Viele Beiträge sind eine Parade der schrägsten Teilnehmer – und Zeugnisse eines tiefen Misstrauens gegen den Staat. Die Reporter Marie Groß und Adrian Altmayer mussten sich während ihrer Einsätze auf den Demos schon oft anschreien und als Vertreter der Lügenpresse bezeichnen lassen. Im Interview erzählen sie von besonders unangenehmen Situationen – und warum sie trotz brenzliger Situationen immer wieder hingehen.

ZEIT ONLINE: Sie haben von mehreren Corona-Protesten berichtet. Gibt es einen Moment, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Marie Groß: Bei der ersten großen Querdenken-Demonstration in Berlin am 1. August waren wir bis zum Ende dabei. Elf Stunden lang. Als die Polizei die Demonstration auflösen wollte, wurden die Teilnehmer zunehmend aggressiv. Mein Kamerateam und ich standen eng gedrängt vor einer Bühne. Angesichts der angespannten Situation versuchte ich die Lage zu beruhigen, indem ich sagte: „Wir sind hier alle Menschen“ – ein Argument, das die Teilnehmer selbst oft gerne bemühen, wenn man sie fragt, warum sie Seite an Seite mit Verschwörungstheoretikern und Neonazis demonstrieren. Ein Ordner der Demo erwiderte daraufhin: „Ihr seid keine Menschen.“

Adrian Altmayer: Bei der Demonstration war der Kontrast zum Alltag sehr groß. Es gab im Frühjahr einen Lockdown, viele Menschen versuchten durch ihr Verhalten das Virus nicht weiterzuverbreiten. Und dann liefen in Berlin Tausende Menschen ohne Maske und selber wurde man angefeindet, wenn man eine trug. Das war schon absurd.

ZEIT ONLINE: Warum tun Sie sich diese Situationen an?

Groß: Ich sehe es als meine Pflicht an, als Journalistin vor Ort zu sein. Selbst wenn es brenzlig wird, weiß ich, dass ich in diesem Moment nirgendwo anders sein will. Weil es richtig und wichtig ist über dieses gesellschaftlich relevante Thema zu berichten.

Altmayer: Ich will als Mensch und als Reporter verstehen, was dort passiert. Wer sind die Teilnehmer, warum gehen sie dahin? Darum sucht man das Gespräch, man will sich mit den Menschen unterhalten, über die sich alle unterhalten. Das hat auch etwas mit Neugier zu tun.

ZEIT ONLINE: Manche der Spiegel-TV-Beiträge muten an wie eine Nummernrevue der Spinner. Da sind Leute, die sagen, Bill Gates würde eine Art Impfmafia dirigieren, andere behaupten, ein elitärer Zirkel würde Kinderblut trinken. Ist das eine repräsentative Darstellung der Teilnehmer?

Altmayer: Es teilen sicherlich nicht alle Demonstranten diese abstrusen Ideen, aber es spiegelt schon einen Gesamteindruck wider. Darüber hinaus haben wir vor allem durch unsere Recherchen und Filme gezeigt, wie Verbindungen zwischen Querdenken und dem rechten Milieu in Teilen aussehen – und dass auf Corona-Demonstrationen Rechtsextreme oft Stammgäste sind. Auch wenn man sie auf den ersten Blick nicht immer erkennt.

Groß: Die QAnon-Bewegung, die diesen Mythos mit einer Kinderblut trinkenden Elite verbreitet, macht einen großen Teil der Querdenken-Demonstrationen aus. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer tragen das Q-Symbol, der Veranstalter der Querdenken-Demonstrationen, Michael Ballweg, zitiert gerne den Leitspruch der QAnon-Bewegung: „WWG1WGA“, „Where we go one, we go all.“ Zwar distanzieren sich die Veranstalter immer wieder, klar aber ist: Das sind keine vereinzelten Spinner, die wir zu Wort kommen lassen. Es wird toleriert und offen kundgetan. Natürlich laufen auch Menschen mit, die eine nachvollziehbare Kritik an den Corona-Maßnahmen üben wollen. Diese haben aber offensichtlich kein Problem damit, Arm in Arm mit Leuten zu marschieren, die gefährlich sind.

ZEIT ONLINE: Einschließlich der Rechtsextremisten.

Groß: Darum fragen wir sie auch: Warum ist es für Sie kein Problem, mit Nazis aufzumarschieren? Warum stehen Sie direkt neben Menschen mit rechtsradikalen Tendenzen?

Altmayer: Ich persönlich habe auf diesen Demonstrationen nicht beobachten können, dass Teilnehmer zu Rechtsextremen oder Reichsbürgern hingehen und sagen: Ich bin mit einem ernsthaften Anliegen hier, ich will nicht mit dir zusammen demonstrieren. Spricht man sie darauf an, entgegnen sie, dass alle zusammenhalten müssten, ob links oder rechts. Oder sie werfen den Medien vor, sich bei den Demonstrationen immer nur auf Rechtsextreme oder Reichsbürger zu konzentrieren und ziehen sich so aus der Verantwortung. Auch gibt es so etwas wie eine Verdrängung: Man behauptet, es würden keine gesehen und man wisse nicht, dass diese auch mobilisieren.

ZEIT ONLINE: Gibt es eine politische Strömung, die die Teilnehmer eint?

Altmayer: Die Corona-Diskussion funktioniert anders als die Flüchtlingsdebatte. Das Links-Rechts-Spektrum ist teilweise aufgehoben. Gegen die Maßnahmen gehen Menschen aus verschiedensten Gründen und Ansichten vereint auf die Straße. Das bedeutet aber auch, dass radikalere Strukturen die Proteste viel besser für sich nutzen können. Und die kommen halt in dem Falle von rechts.

Groß: Es gibt einen gemeinsamen Gegner. Man kämpft gegen die sogenannten Eliten, die Obrigkeit, die das Volk unterdrücken wolle. Ein altes Feindbild mit antisemitischen Wurzeln, das nun wieder ans Tageslicht kommt. Die Teilnehmer sehen sich als Widerstand und vergleichen sich mit Mahatma Gandhi oder Sophie Scholl. Das macht fassungslos. Die Veranstalter bestärken dieses Narrativ und einen damit die Protestierenden. So haben alle das Gefühl, gemeinsam das Richtige zu tun.

ZEIT ONLINE: Mit welchem Gefühl gehen Sie nach solchen Demonstrationen nach Hause?

Groß: Es ist eine Mischung aus Unverständnis und Wut. Die Pandemie zeigt: Wenn die Welt aus den Fugen gerät, treten uralte Feindbilder und Ängste wieder zu Tage. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird von diesen diffusen Ängsten auf die Probe gestellt. Das ist ernüchternd. Zumal wir im Gegensatz zu anderen Ländern in Sachen Corona noch recht gut dastehen.

ZEIT ONLINE: Haben Sie trotzdem etwas erlebt, das Ihnen Hoffnung macht?

Groß: Als wir bei der eingangs beschriebenen Szene von mehreren Demonstranten bedrängt wurden, kam eine Frau zu uns und sagte: „Ich mag euch zwar nicht, aber ich habe Angst um euch.“ Sie hat in diesem Moment realisiert, dass sie nicht auf einer „friedvollen“ Demonstration ist. Sie hat gesehen, dass wir vor Ort sind, zuhören und uns nicht einschüchtern lassen. Das macht Hoffnung.