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„Das ist unser Haus“

 

Teilnehmende der Berliner Corona-Demo haben versucht, den Reichstag zu stürmen. Dokumente belegen: Viele von ihnen sind Covid-19-Leugner, radikalisiert unter Aufsicht von Reichsbürgern.

Von Dennis Pesch

Demonstrierende auf der Treppe vorm Reichstag halten ein Schild der Corona Rebellen Düsseldorf in die Höhe. © Reuters/Christian Mang

„Wir müssen vom Reichstag die bundesrepublikanische Fahne runterholen. Da muss eine schwarz-weiß-rote Fahne hingehängt werden“, sagt der Reichsbürger Manfred H. Mitte August in einer WhatsApp-Sprachnachricht. H. spricht über die Großdemonstration, die gut zwei Wochen später in Berlin geplant ist: „Erst mal müssen wir mit den Fahnen vor den Botschaften auftauchen!“

Ziemlich genau so kam es am vergangenen Samstag auf der Demonstration gegen die Corona-Politik der Bundesregierung in der Hauptstadt mit rund 38.000 Teilnehmenden, unter denen auch Rechtsextremisten waren. Gegner der Schutzmaßnahmen tummelten sich vor den Botschaften Amerikas und Russlands. Viele trugen die schwarz-weiß-rote Reichsflagge, ein Symbol der Reichsbürgerbewegung. Am Abend schließlich überwanden rund 400 Menschen die Gitter vor dem Reichstag und stürmten die Treppe zum Gebäude. Polizisten hielten sie davon ab, ins Innere einzudringen.

Pläne reichen länger zurück

Material wie die Sprachnachricht, das ZEIT ONLINE vorliegt, und Recherchen des Antifaschistischen Infoportals Düsseldorf belegen: Der symbolträchtige Sturm auf den Reichstag war schon länger geplant, ebenso wie Fantasien von einem gewaltsamen Umsturz. Urheber ist eine rechtsgerichtete Mischszene, deren Akteure zum Teil den Corona Rebellen Düsseldorf angehören – so wie Reichsbürger H. Die Gruppe macht seit rund vier Monaten regelmäßig Stimmung gegen die Maßnahmen, viele Anhänger leugnen die Pandemie. Die Ereignisse vom Samstag belegen die Radikalisierung, die ihre Anhängerinnen unter dem Deckmantel der Regierungskritik durchlaufen haben.

Einen Tag nach dem Treppensturm filmt sich Manfred H. im Hotelbett liegend. „Das ist unser Haus. Gestern hatten wir den ersten Sieg, wir waren in der ersten Reihe“, kommentiert er die Ereignisse des Vorabends. Es ist ein Lob für die erfolgreiche Umsetzung der Pläne, die Mitglieder in der Chatgruppe diskutiert hatten. Am 14. August schlägt ein Nutzer vor, man müsse sich zu einer Kundgebung vor dem Reichstag versammeln – „was dann passiert, liegt an den Menschen selber“. Dennis S., ein Reichsbürger, schreibt am Sonntag darauf, er sei für „nen gewaltsamen Sturm der Regierungsgebäude“. Darauf antwortet ein User direkt: „Ja, einfach den Reichstag stürmen.“

Bekannte Gesichter aus Nordrhein-Westfalen

Auf Dutzenden Fotos vor dem Reichstag ist später ein Schild mit der Aufschrift „Corona Rebellen Düsseldorf“ zu sehen. Signifikante Teile ihrer Anführer sind dabei, als die Reichsbürgerin und Heilpraktikerin Tamara K. von einer Bühne vor dem Gebäude die wirre Kunde verbreitet, dass Donald Trump in Berlin angekommen und Polizisten zu den Demonstranten übergelaufen seien.

Die Wuppertalerin Natalia M. ruft ihren Kameraden am Reichstag „Hinsetzen“ zu und filmt, wie Menschen mit schwarz-weiß-roten Flaggen auf sie zulaufen. In ihrer Nähe stehen drei Männer, die ebenfalls zu den Corona Rebellen gehören, darunter Dennis S. Ein anderer fungiert regelmäßig als Ordner in Düsseldorf, ist also für die Umsetzung der behördlichen Auflagen zuständig. M. gehört ebenfalls zu den Anführern. Sie ist Admin der Gruppe im Chatdienst Telegram, sammelt Spenden auf den Versammlungen.

Teilnehmer der Demonstration zeigten Reichsflaggen. © dpa/Christoph Soeder

Zwei Tage später behauptet M., die Überwindung der Gitter zum Reichstag sei eine False-Flag-Aktion gewesen, also eine von der Regierung organisierte Provokation. Zugleich steht sie zu dem Sturm und lobt, dass der Akt, „in dem wir uns friedlich auf die Treppe setzen, sehr schön und positiv war“. Neben ihr liefen noch bekanntere Gesichter der nordrhein-westfälischen extremen Rechten mit. Dominik Horst Roeseler, Mitgründer der Hooliganbewegung HoGeSa, zündete vor dem Eingang zum Reichstag einen Feuerwerkskörper, wie Fotos belegen.

Sammlung von Esoterikern, Reichsbürgern, Neonazis

Roeseler hatte kurz nach Beginn der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen an die Düsseldorfer Gruppe angedockt. Dabei bewies er großes Talent darin, die Szene zu vernetzen: Gemeinsam mit dem Reichsbürger und Rapper Sascha Vossen organisierte er eine Kundgebung in seiner Heimatstadt Mönchengladbach. Wochen später versuchten beide, an die Proteste gegen Fahrverbote von Motorradfahrern anzuknüpfen. Sie setzen auf eine spektrenübergreifende Verbindung, die sogenannte Mischszene. In ihr sammelten sich Impfgegnerinnen, Esoteriker, Reichsbürgerinnen, Hooligans, Rocker, Neonazis und Verschwörungsideologinnen. Teile von ihnen radikalisierten sich.

Vossen schrieb am Samstagnachmittag in der Chatgruppe: „Alle zum Reichstag“. Auf der Bühne davor stand er gemeinsam mit Heilpraktikerin Tamara K. und rappte, wie er es regelmäßig bei den Aufmärschen der Corona Rebellen in Düsseldorf tut. Dort wiederum sprach häufig Manfred H., der die Stürmung per Videobotschaft gefeiert hatte. Darin rief er die Mitglieder auch gleich zu neuen Aktionen auf: Demonstrierende sollten erneut in Richtung Reichstag ziehen – „und dann sagen wir denen noch mal, was die Abmache ist!“