Es war ein langer Kampf. Fünf Jahre lang hat der Rollstuhlfahrer Doug Paulley vor britischen Gerichten darum gekämpft, ein Alltagsproblem für ihn und seinesgleichen zu lösen – und er hat gewonnen: Rollstuhlfahrer haben in Großbritannien ab sofort ein bevorzugtes Recht, den für Rollstühle und Kinderwagen vorgesehenen Platz in Bussen zu nutzen, und die Busgesellschaft muss dieses Recht, wenn es angemessen ist, auch durchsetzen. Das hat jetzt der oberste Gerichtshof des Landes entschieden.
Paulley lebt in Nordengland. Vor fünf Jahren wurde ihm die Mitfahrt in einem Linienbus verwehrt, weil sich auf dem vorgesehen Platz bereits ein Kinderwagen befand. Daraufhin verpasste er den Zug, der ihn zu einer Verabredung mit seinen Eltern bringen sollte.
Supreme Court fällt endgültige Entscheidung
Fünf Jahre zog sich der Fall hin, er wurde von mehreren Gerichten unterschiedlich entschieden. Mal wurde Paulley Schadenersatz zugesprochen und der Busgesellschaft Fehlverhalten vorgeworfen, mal verlor er. Der Supreme Court in London gab Paulley nun schließlich in weiten Teilen Recht. Es genüge nicht, dass ein Busfahrer bitte, den Platz für einen Rollstuhlfahrer freizumachen, er müsse darauf drängen, wenn das angemessen ist. Das Gericht lehnte es jedoch ab, dass Busfahrer andere Passagiere des Busses verweisen müssen, wenn diese den Platz nicht räumten. Allerdings sei es angemessen, die Weiterfahrt für eine gewisse Zeit zu verweigern, um so Druck auf die blockierenden Passagiere auszuüben.
Urteil wird Alltag verändern
Antidiskriminierungsanwalt Chris Fry, der Doug Paulley während aller Verfahren vertreten hat, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil: „Die Entscheidung bringt kulturelle und praktische Veränderungen für behinderte Menschen mit sich.“ Das sogenannte Paulley-Prinzip, benannt nach dem Kläger, verpflichte Busunternehmen nun dazu, behinderten Kunden bei der Nutzung von Rollstuhlplätzen Vorrang zu gewähren, sagte Fry. Die bisherige Wer-zuerst-kommt-mahlt-zuerst-Regelung sei nach der nun getroffenen Gerichtsentscheidung ein Verstoß gegen das britische Antidiskriminierungsgesetz. Das beklagte Busunternehmen First Group sowie andere Anbieter öffentlicher Verkehrsmittel müssten „sofortige Änderungen“ vornehmen, um ein barrierefreieres Angebot sicherzustellen, sagte Fry. „Dieses Urteil wird den Alltag behinderter Menschen verändern“, so der Anwalt.
Kein rein britisches Problem
Das Rollstuhl-Kinderwagen-Problem ist keineswegs ein rein britisches. In ganz Europa müssen Rollstuhlfahrer oft an der Bushaltestelle stehen bleiben, weil der Rollstuhlplatz bereits mit Kinderwagen belegt ist. Auch wenn das Urteil nur für Großbritannien gilt, es dürfte Signalwirkung auf den Rest Europas haben. Deshalb wurde die Entscheidung des Gerichts nicht nur in Großbritannien von Betroffenen verfolgt, sondern auch in anderen Ländern. Da Kinderwagen immer größer und länger werden, hat sich das Problem in den letzten Jahren noch verschärft. War es früher öfter möglich, sich den Platz mit einem Kinderwagen zu teilen, nehmen gerade dreirädrige lange Kinderwagen heutzutage viel Raum ein und lassen keinen Platz mehr für einen Rollstuhlfahrer.
Behindertenverbände und Aktivisten begrüßten das Urteil einhellig. Vor dem Gericht hatten sich Rollstuhlfahrer und andere behinderte Menschen versammelt, um das Urteil zu feiern. Die britischen Medien berichteten ausführlich über die Entscheidung. Tausende meldeten sich auf sozialen Medien zu Wort. Die Mehrheit begrüßte die Entscheidung. Auch die britische Regierung zeigte sich mit dem Urteil zufrieden.