In der CDU (und auch außerhalb der Partei) wird Angela Merkel gerne Mutti genannt. Das ist eigentlich erstaunlich, weil Angela Merkel keine eigenen Kinder hat. Dennoch kommt die Kanzlerin als Mutter von 81 Millionen Deutschen und gut 450.000 CDU-Mitgliedern gut an, was Umfragen in schöner Regelmäßigkeit belegen. Bei einem Auftritt in Rostock stieß die Kanzlerin mit ihren Mutti-Kompetenzen an ihre Grenzen. Auslöser: Reem, ein palästinensisches Flüchtlingsmädchen aus dem Libanon.
Eigentlich wollte Merkel in der Sporthalle des Schulzentrums Paul Friedrich Scheel mit Schülern in einen sogenannten Bürgerdialog (hier der komplette Mitschnitt) treten, der Titel: Gut leben in Deutschland. Für Reem würde „Gut leben in Deutschland“ vor allem bedeuten, dass sie überhaupt weiter in Deutschland leben kann. Doch das Mädchen, das vor vier Jahren aus dem Libanon nach Mecklenburg-Vorpommern kam und an der Schule fließend Deutsch gelernt hat, sollte mit seiner Familie abgeschoben werden. „Ich will studieren“, sagt sie zu Merkel, „es ist wirklich ein Wunsch“. Es sei „wirklich sehr unangenehm zuzusehen, wie andere das Leben genießen können. Und man selbst halt nicht.“
Als Mutti hätte man jetzt wahrscheinlich gesagt, dass man sich den Fall noch einmal anschaut und dass ihr das Mädchen leid tue. Als Kanzlerin und CDU-Politikerin muss man aber sagen, wie das ist mit der Flüchtlingsproblematik. Dass man nicht alle aufnehmen kann, die kommen wollen, und dass Deutschland lediglich dafür sorgen kann, dass es nicht so lange dauert, „bis die Sachen entschieden sind“. Merkel entscheidet sich für den CDU-Modus. Doch dann weint Reem. „Du hast das doch prima gemacht“, sagt Merkel und eilt zu der Jugendlichen. Der Moderator hakt ein, er sagt, es gehe nicht darum, etwas prima zu machen, vielmehr sei es für das Mädchen eine sehr belastende Situation. „Das weiß ich“, entgegnet Merkel. „Und deshalb möchte ich sie trotzdem einmal streicheln.“ Dann streichelt sie Reem über die Wange.
Ist diese Reaktion der Kanzlerin angemessen oder nicht? Darüber streiten die Twitter-Nutzer unter dem Hashtag #merkelstreichelt. Der Ausschnitt der Nachrichtensendung NDR-Aktuell (siehe oben) verbreitet sich rasant im Netz, allerdings gibt dieser nur einen kleinen Ausschnitt der Diskussion wieder. Wer sich den kompletten Video-Mitschnitt anschaut, sieht, dass sich Merkel (auch wenn sie in der Sache hart bleibt) durchaus mit Reem, die übrigens vorerst in Deutschland bleiben darf (Minute 42:20), beschäftigt. Allerdings sagt sie auch, dass im Libanon kein direkter Bürgerkrieg herrsche (Minute 43:30). Es gebe Menschen, die in noch größerer Not sind, weil sie direkt von Verfolgung und Krieg betroffen seien.
Die Website zum Bürgerdialog, betrieben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, beschreibt die Veranstaltung am nächsten Tag als „lebhafte Diskussion“, liefert dann zunächst jedoch eine etwas eigenartige Begründung für den Zwischenfall mit Reem: „Vor lauter Aufregung musste das Mädchen schließlich weinen.“ Inzwischen wurde der Satz geändert.
Es geht dann noch um Tierrechte, um Abfalleimer in Innenstädten und darum, dass man den Müll nicht einfach so auf die Straße werfen soll. Schlechte Nachrichten hat die Kanzlerin noch für Peter, der homosexuell ist und wissen will, warum Ehe und Adoption nicht für gleichgeschlechtliche Beziehungen freigegeben werden können (wie es übrigens auch der Bundesrat fordert). Da will die Kanzlerin lieber „bedachtsam“ an die Sache herangehen, auch wenn das die 29 Jugendlichen aus Rostock komplett anders sehen.
Als Mutter der Konservativen macht Merkel an diesem Tag in Rostock eine gute Figur. Als Mom für die Generation LeFloid tut sie sich noch etwas schwer.
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