Drehen wir die Zeit knapp ein Vierteljahrhundert zurück: In Hoyerswerda, Rostock und Mölln werfen Anfang der neunziger Jahre Unverbesserliche Molotowcocktails auf Asylbewerberheime. In Solingen wird ein Zweifamilienhaus angezündet, in dem eine Familie türkischer Abstammung wohnt. Fünf Menschen sterben. Und die Gesellschaft? Lässt sich das Treiben der Rechten nicht gefallen. Steht auf. Ist solidarisch. Ihr Soundtrack heißt Schrei nach Liebe und kommt von der Punkrockband Die Ärzte. Heute singt die Nation das Lied wieder. Und was Punkrocker können, können Senioren schon lange.
Die Goldies, ein Seniorenchor der Musikschule aus Geldern in Nordrhein-Westfalen, covern deutsche Rock- und Popsongs. Nena, Udo Lindenberg oder Wir sind Helden gehören zum Repertoire der knapp 30 Sängerinnen und Sänger, die alle älter als 70 Jahre sind. Im Mai wurde den Goldies beim WDR-Chorwettbewerb Singen macht glücklich der Titel Chor der Herzen verliehen. Einige Chormitglieder mussten die Zeit des Nationalsozialismus noch selbst erleben. Ehrensache, dass die musikalischen Senioren mit ihrer Version von Schrei nach Liebe gegen Fremdenfeindlichkeit ansingen.
Denn auch in diesen Tagen demonstrieren sogenannte besorgte Bürger vor Flüchtlingsunterkünften. Wieder brennen Häuser, in denen Asylbewerber wohnen oder einmal wohnen sollen. Und erneut stellt sich der große Teil der Bevölkerung dagegen. Organisiert Hilfen und Spenden, initiiert Kochabende mit Flüchtlingen oder hilft ehrenamtlich bei der Unterbringung.
Dass Schrei nach Liebe heute wieder als Hymne gegen rechts gesungen wird, ist der Aktion Arschloch zu verdanken, die es sich zum Ziel gemacht hatte, den Titel wieder in die Hitparaden und ins Radio zu bringen. Am vergangenen Wochenende war es soweit: Die Marktforscher von Media Control meldeten, dass der 22 Jahre alte Anti-Neonazi-Song Platz eins der Songcharts erreicht hatte. Die Ärzte unterstützen die Aktion: Die Band hat angekündigt, alle Einnahmen aus dem Verkauf der Hymne an die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zu spenden.
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