„Gebt euren Sitz frei. Das ist mein Land. Euer Land bombardiert andere Länder, und ihr verdient es nicht, hier zu sein.“ Ruhi Rahman, eine junge Studentin, die in der S-Bahn nach Newcastle sitzt, weiß sofort, dass sie und ihre Schwester gemeint sind. Sie ist zu perplex, um dem Mann zu antworten. Muss sie aber auch nicht: Die anderen Passagiere übernehmen das für sie. Sie stehen den beiden Muslima bei und reden so lange auf den Mann ein, bis dieser an der nächsten Station, unter Applaus der Fahrgäste, die Bahn verlässt.
Nachdem Ruhi Rahman diese Geschichte auf Facebook postete, wurde ihr Beitrag hundertfach geteilt. Auch englische Medien wie der Guardian griffen das Posting auf. Weil Ruhi Rahman mit ihren Erfahrungen offenbar kein Einzelfall ist. Denn in den zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris werden Muslime immer wieder von Mitbürgern beschimpft oder zumindest argwöhnisch beäugt.
US-Airline verweigert Muslimen das Boarding – das Netz reagiert
Das geht in den USA sogar so weit, dass Flüge unterbrochen oder verschoben werden, weil Passagiere aus Angst vor „islamistisch aussehenden“ Mitreisenden das Personal (oder sogar die Polizei) alarmieren. So geschehen, beispielsweise, bei Southwest Airlines: Auf einem Inlandsflug musste am vergangenen Sonntag ein Zwischenstopp eingelegt werden, um eine Gruppe von Männern – einer von ihnen hatte eine dunklere Hautfarbe – des Flugzeugs zu verweisen. Ihr Vergehen? Sie hatten während der Sicherheitseinweisung ihre Sitze getauscht. Nachdem die Männer von Bord waren, wurde das Flugzeug nach Sprengstoff durchsucht. Es wurde nichts Verdächtiges gefunden. Bereits zuvor hatte Southwest Airlines sechs Muslimen das Boarding verweigert.
Nicht immer sind, wie bei Ruhi Rahman, couragierte Menschen zur Stelle, um einzugreifen oder Missverständnisse aufzuklären. Dafür zeigen viele ihre Solidarität in den sozialen Netzwerken. Nachdem die Zwischenfälle bei Southwest publik wurden, meldeten sich zahlreiche Twitterer zu Wort. Einige von ihnen riefen sogar zum Boykott der Airline auf:
Rob Wile, Journalist beim Mediennetzwerk Fusion, hat eine Chronologie dieser und anderer Zwischenfälle bei US-Flugunternehmen erstellt. Er will damit aufzeigen, wie irrational die Fluglinien bereits beim kleinsten Verdacht agieren. Wile ergänzt seine GoogleMap fortlaufend:
… und in Paris?
Bürger von Paris, denen viele wohl am ehesten Furcht vor Muslimen unterstellen würden, zeigten sich in der vergangenen Woche solidarisch. Ein junger Mann hatte auf dem Platz der Republik zwei Schilder aufgestellt. Auf einem stand „Ich bin Musilim. Manche nennen mich Terrorist“, auf dem anderen „Ich vertraue dir. Vertraust du mir? Wenn ja, umarme mich“. Die Pariser reagierten, wie man es von einem Land, das die Brüderlichkeit quasi in der DNA trägt, erwartet:
https://www.youtube.com/watch?v=lRbbEQkraYg
- Wie verarbeitet man die Trauer, wenn die Person, die man liebt, getötet wurde? Antoine Leiris hat eine Botschaft an den „Islamischen Staat“.
- Was der IS fürchtet, ist die deutsche Willkommenskultur. Das zumindest sagt der IS-Gefangene Nicolas Hénin.
- Wer sind die Opfer von Paris? Unser Teilchen zeigt: Herkunft, Hautfarbe und Glaube spielte für die Attentäter keine Rolle.