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Die Ikonografie des Fußballs

 

Mario-Balotelli-Meme in Anlehnung an den Film „Brokeback Mountain“ © knowyourmeme

Mit ihnen wird Siegern im Internet gehuldigt, mit ihnen prasseln Hohn und Spott auf Verlierer nieder: Kein großes Fußballturnier kommt ohne Memes aus. Es gibt sie, seit es das Internet gibt – hier sei kurz an den Hamster Dance, Chuck Norris Facts oder den Dramatic Chipmonk erinnert, um nur einige zu nennen. Doch mittlerweile sind sie volljährig geworden.

Der 18. Geburtstag des Internetphänomens kann vermutlich auf das Halbfinale der Europameisterschaft 2012 zwischen Deutschland und Italien zurückdatiert werden. Hängengeblieben ist natürlich die bittere 1:2-Niederlage der Nationalmannschaft gegen die Squadra Azzurra, die nach der Heim-WM 2006 wieder einmal die Titelträume des DFB-Teams beerdigte. Das alles aber wäre wohl nur halb so schmerzhaft gewesen, wenn nicht der italienische Skandalprofi Mario Balotelli seine beiden Tore mit einer Pose gefeiert hätte, die sich in das kollektive Fußballgedächtnis eingebrannt hat:

Die gladiatorenhafte Haltung war ein Traum für Freunde der Bilddeutung. Kreative Photoshop-Bastler fluteten das Internet mit eigenwilligen Interpretationen, in welchen Kontext die Geste eingebettet werden sollte. Sie rief sogar Wissenschaftler auf den Plan. Demnach handelte es sich nicht um eine normale Jubelgeste, sondern um eine Stolz-Gebärde, die als Triumph der Erstarrung tituliert wurde. Spätestens seit dieser Geste gehören Memes zum Fußball wie der Stiel zum Eis am Stiel.

Was Fans auf dem Second Screen unterhält, machen sich auch Medien zu eigen: mit dem völlig inhaltsarmen, aber dennoch sehr lustigen Genre „Darüber lacht das Netz“. Die Weltmeisterschaft 2014 sollte zum Festival dieses Genres werden, denn Futter lieferten Mannschaften wie Spieler ausreichend.

Die Niederlande etwa hatten sich für das Turnier qualifiziert und konnten sich „Ohne Holland …“-Gesänge ersparen, wurden dafür aber schon in der Vorrunde mit Memes überhäuft: etwa nachdem Robin van Persie mit einem akrobatischen Flugkopfball den 1:5-Kantersieg gegen Spanien einleitete.

Das Hashtag #FlyingDutchman war geboren – und wurde so erfolgreich, dass sogar van Persies 93 Jahre alter Großvater die Showeinlage auf seinem Wohnzimmerboden nachstellte.

Robin van Persies Großvater stellt den Flugkopfball seines Enkels nach © Omroep Brabant

Van Persie blieb nicht der einzige fliegende Holländer. Im Achtelfinale gegen Mexiko hob Arien Robben im Sechzehner ab. Ob es eine Schwalbe war, könnte bei der diesjährigen WM vermutlich der Videobeweis klären, damals gab es Foulelfmeter – und den 2:1-Siegtreffer. Die Oranje-Auswahl feierte, das Internet auch:

Wären Memes Panini-Sammelkarten, dürfte dieses nicht fehlen: WM-Vorrunde. Neunte Minute. Uruguays Stürmer Luis Suárez nähert sich dem italienischen Verteidiger Giorgio Chiellini. Dann eine hektische Kopfbewegung. Chiellini fällt, hält sich die Schulter. „Er hat mich gebissen, das ist klar. Ich habe immer noch den Abdruck des Bisses“, wetterte der Italiener später.

Suárez verteidigte sich: „Es war eine normale Bewegung, solche Dinge passieren auf dem Platz.“ Zumindest dem Stürmerstar scheinen solche Dinge zu passieren, schließlich war es für ihn die dritte Beißattacke. Die Fifa ahndete den Rückfall des Wiederholungstäters mit einer Sperre für neun Länderspiele und vier Monate – Rekordstrafe!

Weit weniger spektakulär war Jasper Cillessens Einsatz im Spiel um Platz drei. Beim 3:0 der Niederländer gegen Brasilien hatte der Torhüter wenig zu tun, sogar so wenig, dass er sich in Hockeposition gegen den Torpfosten lehnte. Eine freundliche Einladung an alle Meme-Liebhaber, die unter dem Hashtag #JasperCillessenSitsOnThings die Twitter-Trends sprengten.

Jasper-Cillessing-Meme in Anlehnung an die Serie „Game of Thrones“ © Memecenter

Apropos Brasilien. 1:7! Was für Deutschland ein Fußballfest war, manche sprachen vom größten deutschen Spiel seit Bern 1954, war für den WM-Gastgeber ein Fußballfiasko, das die Anhänger zu herzzerreißenden Szenen rührte …

… und gegnerische Fans zu blankem Hohn verführte. Weiter ausführen muss man das an dieser Stelle wohl nicht.

Auch die Europameisterschaft 2016 lieferte reichlich Stoff für die Meme-Fabrik: Besonders heraus stach die K.o.-Runde, wieder mal. Deutschland gegen Italien, wieder mal. Doch dieses Mal besiegte das DFB-Team den Angstgegner, allerdings erst nach der Nachspielzeit und nach drei gefühlten Nervenzusammenbrüchen.

So riss Jérôme Boateng unerklärlicherweise die Arme bei einem Freistoß hoch. Dem Schiedsrichter blieb nichts anderes übrig, als Elfmeter zu pfeifen. Ausgleich. Gott sei Dank, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Denn mit 1:1 ging es in die Verlängerung und dann ins Elfmeterschießen, und das lohnte sich allemal. Die Zuschauer und Zuschauerinnen bekamen sieben verschossene Buden der Italiener zu sehen, von denen ein Elfmeter ein besonderer Hingucker war: Simone Zaza trippelte und trippelte – offenbar in der Hoffnung, Manuel Neuer im deutschen Tor zu verwirren –, brachte sich damit aber selbst aus dem Konzept und vergab um Längen.

Damit lieferte der zuvor extra für das Elfmeterschießen eingewechselte Stürmer eine Steilvorlage, die mit viel Häme goutiert wurde.

Wirklich tragisch aber war das Finale: Portugal gewann gegen Frankreich, was sogar so manchen Experten überrascht haben dürfte. Für Cristiano Ronaldo war es der erste Titel mit der Nationalmannschaft, den er nach seiner Auswechslung allerdings von der Bank aus feiern musste. In der 17. Minute hatte er sich am Knie verletzt und bitterlich geweint. Ein bisschen Mitleid hatte man in diesem Moment schon für den umstrittenen Superstar, dem sonst so wenig gegönnt wird. Bis die Motte kam und das Mitleid von Spott abgelöst wurde.

Noch vor Abpfiff hatte die Motte einen Twitter-Account. Sie war übrigens eine von Tausenden sogenannten Gammaeulen, die durch das Flutlicht im Stadion angelockt wurden.


Tränen dürfte es auch bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in Russland geben, Motten vermutlich weniger. Dafür aber hoffentlich umso mehr unterhaltsame Memes.