Videoanrufe sind eine tolle Sache. Nur ein Klick – und schon ist das Leben der anderen ganz nah. Toll für Großeltern, deren Enkel zum Studieren in eine andere Stadt ziehen. Blöd für Großeltern, die nicht damit zurechtkommen, was die Enkel so machen.
Viel ist nicht bekannt über die Hintergründe dieses Videos, das vor einigen Tagen im Netz auftauchte. Zu sehen ist ein Facetime-Gespräch von Al und Helen mit ihrer Enkelin, die dem YouTube-Account zufolge Gina heißt. Gina ist unterwegs zum Unterricht. Es ist dunkel, sie ist alleine in der Großstadt – offenbar New York – unterwegs. Wahrscheinlich hat sie zum Zeitvertreib ihre Großeltern angerufen, die zu Hause vor dem Tablet sitzen und sich eigentlich über jedes Lebenszeichen Ginas freuen. Aber an diesem Tag ist alles anders.
„Warum kann sie nicht mit jemandem gehen?“, fragt Al. „Sie ist ein Baby“, ruft Helen aufgebracht. Da hilft es auch nicht, dass andere Familienangehörige, die dem Videoanruf beiwohnen, betonen, dass die junge Frau definitiv kein Baby mehr ist, sondern 18 und damit volljährig. Für die Großeltern ist das kein Argument. „Ich verstehe diese Kinder nicht“, murmelt Al am Ende.
Und Gina versteht wahrscheinlich die Sorgen ihrer Großeltern nicht. Dabei sind Al und Helen nicht alleine. Viele Eltern und Großeltern machen sich ihre Gedanken, wenn der Sprössling zum Studieren in eine andere Stadt zieht. Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und -gestaltung an der Universität der Künste in Berlin, hat an alle Angehörige einen Rat: „Lesen Sie doch bitte, anstatt in den Helikopter zu steigen, in Ihrer freien Zeit Thomas Manns Der Zauberberg. Der Roman ist zwar von 1924, also schon sehr alt. Er hat aber ziemlich viel mit Ihnen zu tun.“
Vielleicht sollte sich die junge Frau im Video vergegenwärtigen, dass Großeltern mit ihren Marotten und Bräuchen auch maßgeblich ihre Nachkommen prägen. Wir freuen uns schon auf die Fortsetzung des Gesprächs in 50 Jahren.
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