Wer dringend einen Handwerker braucht, wartet oft vergeblich. Mindestens drei Monate dauert es, bis ein Maurer oder Klempner ins Haus kommt. Die Aufträge boomen, aber der Nachwuchs fehlt. Die Jugend will lieber an die Uni oder in die Industrie, eine Ausbildung zum Handwerker halten offenbar viele für uncool. Betriebe müssen kreativ werden, um geeignete Bewerber zu finden – so wie die Glaserei Sterz aus dem niedersächsischen Langen. Sie sucht mit einem Facebook-Video Azubis.
Mehr als 1,6 Millionen Mal wurde der Clip mittlerweile abgerufen. Ein Glück, denn auf eine Zeitungsanzeige kam im vergangenen Jahr keine einzige Rückmeldung, wie Claudia Sterz, verantwortlich für die Koordination und Planung im Betrieb, ZEIT ONLINE berichtet. Also habe sich ihr Mann gedacht: „Irgendwie muss ich ja die Jugend erreichen.“
Das Video steht für ein Dilemma der Branche: „Der Handwerkermarkt in Deutschland ist wie leergefegt“, schrieb Nadine Oberhuber kürzlich auf ZEIT ONLINE. Es krankt vor allem am Nachwuchs. Die Auftragsbücher seien voll, doch 40 Prozent der freien Stellen blieben unbesetzt. Laut Statistischem Bundesamt gibt es 43 Prozent weniger Lehrlinge als noch vor 20 Jahren. Damals wurden 633.000 Auszubildende gezählt, im vergangenen Jahr gerade mal 363.000. Jede zehnte Ausbildungsstelle bleibt dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) zufolge unbesetzt.
Die Glaserei Sterz hat ihre Ansprüche an Azubis runtergeschraubt, und bietet zugleich besondere Anreize: „Mich interessiert nicht, wo du herkommst oder welche Schulbildung du hast. Ich bin immer für dich da“, sagt Geschäftsführer Sven Sterz im Video. Der Betrieb zahle 100 Euro mehr als die reguläre Ausbildungsvergütung, übernehme die Reisekosten zur Berufsschule in Bremen und unterstütze finanziell beim Führerschein. Aufgeben oder Abbrechen der Ausbildung aber sei keine Option.
Das Video wurde Freitagabend veröffentlicht, Montagmorgen standen bereits vor Öffnung des Betriebs die ersten Interessenten Schlange. Mittlerweile haben 17 persönlich ihre Bewerbung abgegeben, hinzu kommen etliche Mails und Einsendungen. „Sie haben das Gefühl, da ist jemand, der ihnen eine Chance gibt, auch wenn die Noten nicht so gut sind“, sagt Claudia Sterz. Viele der Bewerber hätten Potenzial, Zeugnisse allein seien wenig aussagekräftig. Schließlich könne jeder Mal Mist in der Jugend gebaut haben.
Vielmehr lege sie Wert auf persönliche Gespräche, die nötige Motivation und eine positive Einstellung gegenüber dem Betrieb. Das komme bei den Bewerbern an, besonders bei jenen, die bereits Rückschläge eingesteckt hätten oder aus schwierigen Verhältnissen stammten. Sie fühlten sich ernst genommen und fänden neuen Mut, sagt Sterz. Vielleicht braucht es genau das, um das Handwerk wieder attraktiv zu machen: eine Chance auch für die, die nicht an sich glauben.