Es gibt großartige Coveralben – und unerträgliche. Zwei aktuelle Beispiele: Masha Qrella und die Lemonheads
Evan Dando war einmal ein knuddeliger Jungstar, damals, als er mit den Lemonheads die Matschgruben auf alternativen Festivals zum Brodeln brachte. Ihr schnodderiger Folkpop war vielen ein willkommenes Gegenprogramm zum krachigen Grunge, ihr größter Hit eine charmant rumpelnde Neuinterpretation von Paul Simons Mrs. Robinson. Zwei Alben lang standen die Lemonheads im Scheinwerferlicht. Dando wurde älter, als eh kaum mehr jemand hinhörte löste er die Band Mitte der Neunziger auf.
Vor drei Jahren rief er eine Schar Musiker zu sich und spielte mit ihnen ein neues, respektables Lemonheads-Album ein. Das interessierte beinahe niemanden – so soll es nun erneut die Nachspielerei richten. Varshons heißt eine Sammlung von elf Liedern, allesamt Coverversionen. Der Titel des Albums, ein etwas krumpeliger Slang für Versions, ist dabei schon die mutigste Verfremdung, die Dando dem Hörer zumutet.
Auch Masha Qrella (sprich: Kurella) hat ein Album mit Coverversionen aufgenommen – und es ganz anders gemacht. Seit Mitte der Neunziger spielt sie Bass bei den Instrumentalbands Mina und Contriva, nebenher veröffentlichte sie zwei Soloalben – mit Gesang. Nun tingelt sie mit Speak Low den Broadway hinab und singt die Musical-Lieder der europäischen Emigranten Kurt Weill und Frederick Loewe nach.
Und man wundert sich: Ist das nicht On The Street Where You Live aus My Fair Lady? Und I’m A Stranger Here Myself aus One Touch Of Venus? Sie sind kaum wiederzuerkennen. Es ist, als träfe man an der Kreuzung Broadway/Kastanienallee alte Bekannte, die plötzlich um Jahre jünger sind.
Das Album folgt einem Konzept, die Lieder entstanden aus einer Auftragsarbeit für das Berliner Haus der Kulturen der Welt zum Thema New York. Evan Dando hingegen fehlte bei der Auswahl der Stücke auf Varshons jedes Konzept, sie ist so berechnend wie willkürlich. Von allem ist etwas dabei, Country und Folk, aktueller Pop und Angeberrock, Punk und Leonard Cohen. Die Lieder selbst sind lustlos vorgetragen, lange nicht so flott und schnodderig, wie noch Mrs. Robinson. Wem will Evan Dando schmeicheln? Wen interessiert seine musikalische Sozialisation, wenn er so unpointiert und gelangweilt erzählt?
Apropos Leonard Cohen: Dermaßen verhallt, dünn, schmierig wurden seine Lieder noch nicht oft nachgespielt. Evan Dandos Stimme ist eben nur eine von vielen. Und so führt beinahe jedes neue Lied eine künstlerische Unzulänglichkeit der Lemonheads vor Augen. Wire hatten echte Kraft, Gram Parsons echtes Herz, Townes Van Zandt ehrliche Traurigkeit. Da liegen Selbstentblößung und -entblödung dicht beieinander. Bei derartig enervierender Zurschaustellung der eigenen musikalischen Wurzeln möchte man den Gärtner rufen: „Abholzen!“
Befreit von solchem biografischen Druck dringt Masha Qrella zum Kern der alten Lieder vor. Kein Pomp, kein Pathos. Heimorgel und Gitarre sind ihr Orchester, ein schepperndes kleines Schlagzeug ihr Taktstock. Liebevoll – nicht zu verwechseln mit Dandos Selbstzufriedenheit – und behutsam – nicht zu verwechseln mit Dandos Berührungsangst – singt sie Gassenhauer wie Wandering Star und The Saga Of Jenny neu und haucht den oft schwermütigen Kompositionen Kurt Weills, den luftigen Liedern Frederick Loewes neues Leben ein. Sie strahlt dabei genau die Lockerheit aus, mit der die Lemonheads im Jahr 1992 Mrs. Robinson zu ihrem Lied machten.
„Varshons“ von den Lemonheads ist auf CD und LP bei Cooking Vinyl/Indigo erschienen; Masha Qrellas „Speak Low – Weill & Loewe In Exile“ ist auf CD und LP bei Morr Music/Indigo erschienen.
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