Im vergangenen Sommer nahmen die Pianistin Aki Takase und der Bassklarinettist Rudi Mahall vierzehn Jazzklassiker auf. Unsere Autorin durfte damals lauschen – und freut sich nun über die CD „Evergreen“
Berlin im Juli 2008. Ein verregneter Sommertag mit weißgrauem Himmel. Am Ostbahnhof spreizen sich die Straßen in schmale schattige Bänder und die Schritte hallen auf dem Pflastersteine. In einem Fabrikgebäude einige Querstraßen weiter befindet sich im zweiten Stock die Wohnung und das Aufnahmestudio des Musikers und Tontechnikers Rainer Robben. Heute soll hier im Auftrag des Schweizer Labels Intakt eine Aufnahme mit der japanischen Pianistin Aki Takase und dem Bassklarinettisten Rudi Mahall gemacht werden.
Es sind Gäste da: Der mittlerweile siebzigjährige Free-Jazz- und Avantgarde-Pianist (und Ehemann von Aki Takase) Alexander von Schlippenbach hat eine Kiste Bärenpils mitgebracht, dazu selbst gemachte Buletten. Außerdem anwesend sind der Bassist Johannes Fink, der Chef von Intakt, Patrik Landolt, und ein paar Familienmitglieder und Freunde der Musiker.
Aki Takase lässt sich kaum in der Küche blicken. Auch sie hat Buletten mitgebracht, japanische Reiskugeln mit Kräutern und Gewürzen. Sie sind einzeln in Zellophan gewickelt und schmecken gut zu Bärenpils, Kaffee und den gebratenen Fleischklopsen ihres Mannes. Eine Mischung, so kurios wie das Paar selbst – und es ist eine schöne Vorstellung, wie beide Künstler in ihrer Küche stehen und das Essen für die Aufnahmen zubereiten.
Im Aufnahmeraum sitzt Aki Takase am Flügel und geht die Stücke durch. Immer wieder justiert der Klavierstimmer ihr Instrument, endlich ist sie zufrieden. Takase ist eine Perfektionistin, sorgfältig und aufmerksam spielt sie ihre Alben ein. Mit Rudi Mahall verbindet sie eine langjährige musikalische Partnerschaft und Freundschaft. Mehrmals in der Woche treffen sie sich auch zum Üben und Probieren neuer Ideen in Takases eigenem Studio in ihrer Wohnung, einem winzigen schaumstoffgepolsterten Raum, in dem gerade der Flügel Platz zu haben scheint.
Rudi Mahall, der mit seiner Frau und seinem Sohn außerhalb Berlins auf dem Land lebt, wirkt nervös. Auch er hat schon zahlreiche Aufnahmen gemacht, das Festhalten eines musikalischen Moments ist ihm immer wieder ein Wagnis. Vor den Aufnahmen zieht Aki Takase sich zurück, Rudi Mahall scherzt am Tisch und verzehrt so lange eine Reiskugel nach der anderen, bis sie ihn bittet, erneut die Reihenfolge der Stücke zu besprechen.
Sie haben Stücke aus dem amerikanischen Songbook der vierziger Jahre ausgewählt. Mood Indigo von Duke Ellington etwa und Tea For Two von Vincent Youmans. Melodien, die sich schon vor langer Zeit irgendwann ins Ohr eingegraben und dort verankert haben, die Evergreens des Jazz. Dabei wollen Takase und Mahall das besondere Klangspektrum von Klavier und Bassklarinette nutzen, um nur innerhalb des jeweiligen musikalischen Themas zu improvisieren und nicht, wie sonst, sich vom Thema ausgehend zu verlieren, um nach der Improvisation wieder dorthin zurückzukehren.
Als es soweit ist und über der Tür des Studios Achtung Aufnahme aufleuchtet, sitzen die Gäste in einem Nebenraum auf Sesseln und Sofas und beobachten die beiden Musiker durch die geöffnete Tür. Mahall bittet darum, erst zu klatschen, wenn die Stücke einige Sekunden ausgeklungen sind. Von Schlippenbach moderiert die Pausen und gibt die Klatscheinsätze, mancher geht daneben, weil die Zuschauer Rudi Mahalls Handzeichen falsch deuten.
Auf dem Album Evergreen sind die vierzehn im Sommer 2008 aufgenommenen Stücke nun zu hören, allesamt Duo-Improvisationen von Aki Takase und Rudi Mahall. Kleine Kostbarkeiten, in denen sich die Musiker gegenseitig Raum lassen und sich vorsichtig umspielen. Behutsam reiben sie an der Patina der Klassiker – und entlocken Stücken wie Two Sleepy People von Hoagy Carmichael oder Cleopatra’s Dream von Bud Powell ganz langsam ihre Schönheit.
„Evergreen“ von Aki Takase und Rudi Mahal ist bei Intakt erschienen.
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