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Weltreisende des Jazz

 

Der Saxofonist John Surman ist wieder da und trifft alte Freunde zum Quartettspiel. Auf „Brewster’s Rooster“ wächst schwelgerische Melancholie direkt neben krassen Dissonanzen

Cover

 
John Surman – Brewsters Rooster
 
Von dem gleichnamigen Album mit Jack DeJohnette, John Abercrombie und Drew Gress ECM 2009

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Ein Mann kommt nach Hause. Lange ist er weg gewesen, sehr lange, unterwegs, auf Entdeckungsreise. Der Mann ist Musiker: Begonnen hat er seine Reise in der brodelnden Londoner Jazzszene der sechziger Jahre, wo von der strengen Kür des swingenden Bop im vertrauten akustischen Gewand über die Begegnung mit den rauen Beats und dem lauten Instrumentarium des Rock bis zum Free Jazz und darüber hinaus zur freien Improvisation alles möglich schien. Mit seinem Baritonsaxofon war John Surman, Jahrgang 1944, mittendrin dabei – und gab sich nirgendwo zufrieden. Surman reiste weiter: experimentierte mit Synthesizern und elektronischen Klangerzeugern sowie minimalistischen Kompositionstechniken, verarbeitete Lautenmusik der Renaissance und solche mit arabischer Tönung, spielte mit Kirchenorgeln und Chören, klassischen Streicher- und Blechbläserensembles.

Doch nun ist er wieder hier, trifft alte Freunde, Vertraute, und die Chemie funktioniert wie damals. Und gleichzeitig ganz anders, hörbar gereift, nach dem langen Weg weist sein Spiel Jahresringe auf, Schatten von Erfahrungen. Und den drei Musikern, mit denen er sich trifft, geht es nicht anders, auch sie sind Reisende, weit herumgekommen in den Welten des Jazz. Es weht ein Hauch von Wiedersehensfreude, von entspannter Lässigkeit durch Brewster’s Rooster, die neue CD von John Surman. Mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette spielte Surman tatsächlich schon 1968 bei einer Session in Ronnie Scott’s Jazz Club in London, mit dem Gitarristen John Abercrombie im Rahmen einer Schallplattenproduktion einige Jahre später – und der 15 Jahre jüngere Kontrabassist Drew Gress als einziges neues Gesicht in diesem Zusammenhang spielt sich nahtlos in das Quartett ein. Hand in Hand mit Jack DeJohnette, der die unterschiedlichen Phrasierungen zu einem unwiderstehlich pulsierenden, vielschichtigen Beat verknüpft, der immer wieder seine Farbe zu wechseln und mehrere Bewegungen zugleich anzuregen scheint, Walzer und Swing, Backbeat und Clave, gibt Gress der Musik räumliche Tiefe. Im Raum der Möglichkeiten spielen die vier Musiker in traumwandlerischer Übereinstimmung, mal das ganze Quartett, mal die daraus möglichen Trios, Duos, Solos, stetig wechselt die Szenerie.

Surman ist ein Mann der Melodie, daran hat sich nichts geändert, in der Melodie findet er das Kraftzentrum seiner Musik, die Energie, die seine Improvisationen antreibt. Das Zusammenspiel mit seinen Partnern ist dann der Filter, durch den die Musik ihre Form annimmt. Wenn – nur als Beispiel – Surman mit klarem, fast schon reinem Ton auf dem Sopransaxofon eine Walzermelodie entwickelt und Abercrombie ein Netz von Akkordtönen darunterlegt, schließlich in die Melodie einstimmt, Echos der Saxofonlinie aufgreift, eine Phrase unisono mitspielt, schließlich wieder in den Hintergrund zurücktritt – dann sitzt das so perfekt und angegossen, als folge es einem sorgfältig ausgetüftelten Masterplan.

Kein langsames Herantasten, kein vorsichtiges Herumprobieren, kein Ton zu viel, aber jeder genau an seinem Platz. Alles ist in Fluss in diesem Spiel, mal übernimmt der Bass die Führungsrolle und schwelgt in einer Melodie, dann geht die Gitarre mit garstigen Intervallen und einem Schuss Verzerrung dazwischen, oder Surman lässt sein Baritonsaxofon schreien und über die Ufer der wohltemperierten Tonbildung treten. Die Schönheit ist ein weites Feld, auf dem die schwelgerische Melancholie direkt neben krassen Dissonanzen wächst, und die Intensität des Schrillen diejenige des Stillen verstärkt.

„Brewster’s Rooster“ von John Surman ist bei ECM/Universal erschienen.

Dieser Artikel ist der ZEIT Nr. 30/2009 entnommen.

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