Ein Männerchor will eins sein mit der Natur: Das wunderbare Debütalbum der Fleet Foxes hätte Brian Wilson um den Verstand gebracht
Man muss gehört haben, wie die Stimmen sich finden. Wie vier, manchmal fünf von ihnen sich zu umarmen scheinen. Wie sie, inniglich umschlungen, immer höher steigen, in perfekter Harmonie die Tonleiter erklimmen, während die Welt unten und ihre Fährnisse zurückbleiben. Man muss in diesem Sommer die Fleet Foxes gehört haben.
Die Perfektion, mit der das zum Teil recht bärtige Quintett seine Harmoniegesänge übereinanderschichtet, ist im Pop der nuller Jahre ohne Vergleich. Nun gut, einige Bezugspunkte gibt es schon – die mittelalterliche Anmutung einer Joanna Newsom oder die barocke Opulenz und Langsamkeit von My Morning Jacket. Die Instrumentierung folgt mit Piano und Banjo, Cello und Mandoline streng den Vorgaben akustischer Folkmusik, die mit der chinesischen Zither Guzheng um eine neue Klangfarbe erweitert, aber niemals durch Experimente gebrochen werden.
In der Musik, die unter diesen eher konventionellen Voraussetzungen entsteht, schwingen wie selbstverständlich altbekannte Stimmen mit: The Byrds und The Band, Crosby, Stills, Nash & Young, Simon & Garfunkel, die ganzen himmlischen Heerscharen des Sechziger- und Siebziger-Pop. Die Beach Boys werden gleichsam als Zisterzienserorden wiedergeboren. Nach demütigen Lehrjahren in ihrer Provinz bauen die Fleet Foxes eine Kathedrale für Americana, Folk, Gospel, Country und Westküsten-Sound. Und dank dieses Chors aus der Vergangenheit, der durchs Kirchenschiff schwebt, entwickelt das Debütalbum der Band aus Seattle ähnliche Qualitäten wie die gregorianischen Gesänge, die manchem Kloster momentan unerwartete Zusatzeinkünfte bescheren.
Vergleichbar sind der heilige Ernst und die Ruhe, die von diesen Songs ausgehen. Sie heißen nicht nur Sun It Rises, White Winter Hymnal oder Blue Ridge Mountains, sie handeln nicht nur von Sonnenaufgängen, weißen Winterlandschaften und Bergketten im gleißenden Morgenlicht, sie beschwören das Einssein mit der Natur in mönchisch geprägten und doch letztlich weltlichen Gesängen herauf – ein spiritueller Grenzgang für Agnostiker. Manchmal driften sie dabei an den Rand des Gefühligen ab. Dann fragt man sich, wo genau die Grenzlinie verläuft zwischen postsakralem Meditationsfolk und jener Wohlfühlmucke, die am Fließband produziert wird.
Die gelungensten Experimente sind eben meist die, die auch leicht hätten schiefgehen können. Ein Blick zurück in die Geschichte der Popmusik zeigt, dass vergleichbare Versuche selbst anerkannt großen Geistern nicht gut bekommen sind. Brian Wilson, dessen metaphysische Surfmusik den Fleet Foxes unüberhörbar Pate gestanden hat, wurde aus seiner eigenen Band geworfen, als er die immer komplexer werdenden Klänge in seinem Kopf nicht mehr hinaus in die Welt befördern konnte. Vielleicht hörte er in sich drin ja die Musik, die heute die Fleet Foxes spielen. Es wäre die perfekte Erklärung dafür, dass der Mann jahrelang keinen Grund mehr sah, sein Bett zu verlassen.
Das Debütalbum der Fleet Foxes ist auf CD und Doppel-LP bei Cooperative/Universal erschienen.
Dieser Text ist entnommen aus DIE ZEIT Nr. 36/2008
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