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Mikrohausmusik

Matthew Dear trägt viele Namen. Jetzt veröffentlicht er unter dem Pseudonym False einen hitzigen Mix minimalistischer House-Stücke.

Charles Mingus At UCLA Monterey 1965

Mit Veröffentlichungen auf seinen eigenen Labels Ghostly International und Spectral hat Matthew Dear das Genre Microhouse geprägt. Was ist Microhouse? Die Musik wird auf ihr rhythmisches Gerüst reduziert, Klangflächen lassen fragmentarischen Samples den Vortritt. Microhouse klingt wie mathematische Tanzmusik.

Einem größeren Publikum wurde der Texaner Matthew Dear im vergangenen Jahr mit dem Hit Mouth To Mouth bekannt, veröffentlicht unter dem Namen Audion. Auf seinem letzten Album Asa Breed wendete er sich überraschend dem Indiepop zu und versuchte sich als Sänger. Das klang unausgegoren, stellenweise sogar unfreiwillig komisch. Das Album gab einen diffusen Eindruck von den Möglichkeiten eines vielseitigen Künstlers.

Wieder anders klingt Matthew Dears neues Werk 2007, er veröffentlicht es unter dem Pseudonym False auf dem Label Minus. Schon bei den ersten Stücken stellt man fest, dass er sich auf seine Königsdisziplin besonnen hat: Minimale Techno-Tracks, die von trockenen Grooves und ungewöhnlichen Drehmomenten leben. Da ist kein Platz für gefällige Frickelei. Er lotet die Tiefen seines Klangs aus, Elemente des Detroit Techno sind ebenso zu vernehmen wie Referenzen an die feine Funktionalität klassischer Rave-Stücke. Die Platte klingt fokussiert und souverän, keine Spur von den skizzenhaften Strukturen auf Asa Breed.

Eine seltsame Hitzigkeit geht von den vierzehn Liedern aus, er verbindet sie in einem kontinuierlichen Live-Mix zu einem homogenen Ganzen. Hypnotisierend bewegen sich die schleifenden Loops und Elektro-Referenzen von Warm Co. und das melancholisch-meditative Face The Rain aufeinander zu. Die Klangcollage Act Like Children/Excalibur entlädt sich in dem schleppenden Groove von In The Heather, das eine Stück wird trickreich in das andere geblendet. Solche dramaturgischen Kniffe machen 2007 zu einer aufregenden Platte. In seinen besten Momenten erinnert das Album an die abstrakten Produktionen von Jeff Mills auf Axis Records.

Matthew Dear ist mit 2007 ein bemerkenswertes Album gelungen. Seine musikalische Offenheit lässt Raum für viele Überraschungen.

„2007“ von False ist erschienen bei Minus Records.

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Matthew Herbert: „100 lbs“ (!K7 2006)
Herbert: „Scale“ (Accidental/!K7 2006)

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Minimal im Überschwang

Vor zehn Jahren erschienen und heute noch toll: Matthew Herberts sparsames House-Album „100 lbs“ wird dieser Tage wiederveröffentlicht

Cover Audrey

Anfangs war es unter Techno- und Houseproduzenten verpönt, ihre Momentaufnahmen anders als auf den kurzlebigen Vinyl-Maxis festzuhalten. Die Euphorie von gerader Bassdrum, Schweiß und Liebe in Albumlänge, das erschien als Widerspruch. Der Brite Matthew Herbert erkannte jedoch früh, dass eine Reihe von „günstigen Augenblicken“ oft erst im Rückblick miteinander ihren ganz speziellen Gerinnungsfaktor zwischen Genese und Geschichtswerdung ausbilden.

Unter den Pseudonymen Wishmountain und Doctor Rockit hatte er Abenteuerliches aus verspieltem Elektro und hart knallender Musique Concrete fabriziert, um schließlich als Herbert seine House-Maxis Part One bis Part Three zu veröffentlichten. 100 lbs vereint all dies zum ersten Langspielwerk, mit ihm zog er im Jahr 1996 ein Resümee seiner bisherigen Laufbahn im Klangbastelstudio und auf der DJ-Kanzel.

Zehn Jahre sind seitdem in rasenden elektronischen Schritten vergangen, jetzt bringt das Label !K7 Herberts Höhepunkte quasi zum dritten Mal und gleich als Doppel-CD heraus: 100 lbs und eine Bonus-Silberscheibe mit Aufnahmen von 1995 bis 2000. Im Unterschied zum saftigen, schwülen Discosoul aus der Wiege der klassischen House Music in New York und San Francisco schuf er den wohl trockensten Minimalismus, den diese Musik des Überschwangs vertragen kann. Sein Klangspektrum speist sich aus kühlen akustischen und hellen elektronischen Quellen, entsprungen in einem anderen Universum als die charakteristischen schrill nach oben geschraubten Vokalchöre und das sonst übliche HiHat-Gezischel.

Kalte Schüsse wie aus ungeladenen Feuerwaffen klicken ins Leere, verpuffen als klapperndes Elektro-Stakkato in der stehenden Luft zwischen den Beats. Dennoch sind Herberts Vierviertel nicht weniger warm und treibend, der funky Bass knötert und gniedelt in Thinking Of You, orgelt sich ganz nah ans Herz. Anderswo knistern Keyboard-Cluster im Rückwärtslauf, Sirenen vom Synthesizer zirpen von fern über die Stimmen freundlicher, fast zärtlicher Animateure aus dem Computer: Let‘s disco! Das wirkt nur noch erhitzender im kühlen Ambiente der sparsamen Effekte, gerade so, als schwebten die Leuchtblasen einer Lavalampe befreit durch einen metallgrauen Winterhimmel.

Wie eine hochsensible Skala misst das Stück Friday They Dance durch den Raureif seiner zehnjährigen Geschichte den Freitagabendpuls auf und neben dem heutigen Dance Floor. Die Stile elektronischer Tanzmusik haben seitdem häufig gewechselt, Herberts 100 lbs war und bleibt ein Gegenpol der entspannten Reflexion zu den markanteren, wuchtigeren Sounds von Drum&Bass und BigBeat.

Auch wenn die B-Seiten und Raritäten auf der Bonus-CD manchmal dezent den Acid-Turbo quietschender Rhythmusmaschinen anschmeißen und die Partystimmung höher kochen lassen, Ursprung und Idee eines Klangs sind Matthew Herbert nach wie vor am wichtigsten. In seinem diesjährigen Werk Scale hüpfen Pop und Politik als bunt getarnte Flummis, die ihre geräuschhafte Herkunft nicht preisgeben, auf die Tanzfläche. Doch hier winkt jetzt erstmal mit der vieldeutigen Floskel See You On Monday das letzte der Jubiläumsstücke lässig zum Abschied.

„100 lbs“ von Herbert ist als Doppel-CD erschienen bei !K7

Hören Sie hier „Friday They Dance“ von „100 lbs“ und „I’ll Do It“ von der Bonus-CD

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Herbert: „Scale“ (Accidental/!K7 2006)

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Michael Jackson ist nix dagegen

Für Matthew Herberts neues Album „Scale“ mussten 723 Objekte Töne lassen. Der britische House-Produzent hat aus Waldhorn und Anrufbeantworter, Taucheranzug und Düsenjet ein interessantes Pop-Album zusammengesetzt

Matthew_Herbert_Scale

Matthew Herbert geht es immer auch um die politische Botschaft. Er kritisiert die amerikanische Regierung, den Kapitalismus, die Globalisierung. Aber wer das nicht mag, muss das nicht hören. Denn seine jazz- und house-orientierte Musik tanzt auf doppeltem Boden. Nicht die gesungenen Texte verweisen auf die Übel dieser Welt, sondern die verwendeten Klänge.

Um den Irak-Konflikt zu thematisieren, baut Herbert aus Ölpumpenrattern und donnernden Tornado-Bombern einen Rhythmus zusammen. Will er für den Frieden werben, zückt er seinen Rekorder und nimmt den Unglücklichen auf, der sich vor dem Bankett einer Waffenhändler-Messe erbricht. Das gesammelte Tonmaterial wird anschließend digital bearbeitet und fließt in die Soundcollage des nächsten Stückes mit ein. Für sein neuestes Album Scale sind es 723 verschiedene Objekte, denen Herbert Geräusche entlockt hat. Einige von ihnen sind auf dem Album-Cover abgebildet: zum Beispiel ein Sarg, ein Kugelschreiber, eine Zapfsäule und eine Wäscheklammer.

Mit dieser Collagentechnik bewegt sich Herbert im Gefolge der konkreten Musik. Doch das Ausmaß seiner Kunst erschließt sich nur mit Gebrauchsanleitung. Weder Pumpen, noch Düsenflieger, noch der Magenkranke sind mit bloßem Ohr aus dem musikalischen Gesamteindruck herauszufiltern. Auf der Platte Scale verschwinden sie hinter einer facettenreichen Pop-Kulisse. Und das ist Absicht.

Denn Herbert hat das Songwriting wiederentdeckt, als ein Rezept gegen erdrückende Konzeptlast. Unter dieser war sein letztes Album Plat Du Jour von 2004 erstickt. Anschließend produzierte er das opulente Solo-Debüt von Róisín Murphy, der Sängerin von Moloko. Hat sie ihm die Ohren geöffnet? Plötzlich lässt sich Herbert wieder auf Wohlklingendes ein und befreit sich von seinem Kompositionsdogma.

Auf Scale widmet er sich mehr dem akustischen Vordergrund. Mit dem Ergebnis maximaler Eingängigkeit – für seine Verhältnisse. Dabei hat er aber nicht nur den Mut zum Gefälligen, Tanzbaren wiedergefunden, sondern auch Stile und Materialien vorangegangener Platten. Er verbindet Schöngeist-House (Bodily Functions) mit originellen Bigband- und Streicher-Arrangements (Goodbye Swingtime) sowie den für ihn typischen Blechdosen-Rhythmen. Dani Siciliano, seine Gefährtin, singt lässig dazu.

Unter der zitatreichen Siebziger-Funk-Hommage Moving Like A Train bebt der Tanzboden, und Frau Siciliano zeigt, was sie kann. Mit dieser Nummer hätte sie den jungen, weißgewandeten Michael Jackson im türkisfarbenen Laserlicht glatt alt aussehen lassen! Ähnlich eindrucksvoll auch Something Isn’t Right, ein vorwärts drängendes und in sich ruhendes Orchester-Pop-Opus – spannend besonders durch die zusätzlichen Stimmen von Dave Okumu und Neil Thomas. Auch die langsameren Stücke auf der Platte verquicken weichen Jazz und klappernde Experimental-Elektronik.

Matthew Herbert hat also mit Scale den Weg aus der eigenen Sackgasse gefunden: Fürs Erste gar nicht schlecht.

„Scale“ von Matthew Herbert ist erschienen bei Accidental/!K7

Ausschnitte seines neuen Albums präsentiert er am 3. Juni 2006 auf dem Moers-Festival

Hören Sie hier „Moving Like A Train“