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Bommsen Böff aus der Schmapelschatull

Was ist denn das für ein Quatschheini? Er nennt sich Robag Wruhme und sein Album „Thora Vukk“. Und er hat eine der schönsten Elektroplatten des Sommers gemacht.

© Pampa Records

Manchmal liegt man richtig daneben. Hat’s verdaddelt, verpeilt, einfach nicht gecheckt. Wusste es mal wieder besser. Wollte nicht auf die anderen hören. Weiter„Bommsen Böff aus der Schmapelschatull“

 

Im Club zwischen Homos und Heteros

Terre Thaemlitz ist Musiker und Transgender-Aktivist. Sein wunderbares Deep-House-Album „Routes Not Roots“ vermittelt genug Diskurs für ein Hauptseminar.

© Skylax

I’m more of a man than you’ll ever be and more of a woman than you’ll ever get.“ Diesen schönen Satz pflegte der New Yorker Disco-DJ David Rodriguez in den siebziger Jahren seinen Neidern zuzurufen. Weiter„Im Club zwischen Homos und Heteros“

 

Kalt wie Marmor

Das Debütalbum von Hercules & Love Affair erinnert an die lustvollen Rhythmen von Disco und House in den Achtzigern. So draufgängerisch wie ihr Namensgeber geht die Band leider nicht zu Werke.

Hercules & Love Affair

Herkules war ein Gemütsmensch. Der Sohn des Zeus bestand allerhand Abenteuer und galt als durchtrainierter Hitzkopf. Wie es sich für einen echten Gott gehört, ließ er sich nichts bieten. Als sein Musiklehrer ihn tadelte, erschlug ihn Herkules kurzerhand mit der Leier. Seine zahlreichen Ehen mit Königstöchtern gingen in die Brüche, er feierte lieber mit jungen Männern.

Heute wäre Herkules ein typischer Clubgänger. Sicher auch deshalb wählte der New Yorker Fitnesstrainer Andrew Butler den griechischen Helden als Namensgeber seines Projekts Hercules & Love Affair. Vor einigen Jahren veranstaltete Butler in seiner Heimatstadt regelmäßige Parties, bei denen Künstler und schwule Szenegänger gemeinsam zu House-Klängen feierten. Zutritt erhielt nur, wer sich als griechische Göttergestalt kostümierte. Dieses Spiel mit neo-antiken Motiven hatte sich Butler bei den New Yorker Continental Baths abgeschaut. In diesen Badehäusern und Saunen bildeten schwuler Sex und Disco in den achtziger Jahren eine Einheit, zwischen Säulen und Statuen wurde geliebt und getanzt. DJs wie Frankie Knuckles und Larry Levan legten Platten auf, AIDS bereitete den Ausschweifungen damals ein Ende.

Das Debütalbum von Hercules & Love Affair ist eine Hommage an die hedonistische Musik dieser Zeit. Andrew Butler und sein Musikerkollektiv reproduzieren nicht einfach den körperbetonten Klang früher House-Platten, sie kleiden glamouröse Tanzmusik in ein zeitgemäßes Gewand. Da ist House, aber auch Disco-Pop mit unzähligen Referenzen an die großen Momente der Clubmusik. Überall wird zitiert: hier klingt ein Schlagzeug-Groove wie bei Arthur Russell, dort flirren die Streicher wie das Salsoul-Orchester in seinen besten Zeiten. In Stücken wie You Belong und I Will fühlt man sich in die Anfangstage des Techno zurückversetzt, als Soul und Maschinenmusik plötzlich keine Gegensätze mehr darstellten. Chicago House, Detroit Techno, Italo-Disco – im herkulinischen System scheint alles möglich. Der Tanzboden wird zum pophistorischen Spiegel. Und Disco ist nicht bloße Referenz, es steht für die Sehnsucht nach Körperlichkeit auf dem Tanzboden. Der Einsamkeit im Club versuchen Hercules & Love Affair als lustvolles Ereignis zu begegnen.

Unglücklicherweise wird dieses nostalgische Konzept von der spiegelglatten Produktion weitgehend unterlaufen. Denn wo der Klang der Zitierten noch Ecken und Kanten besaß, wirkt die Produktion von Tim Goldsworthy poliert. Immer wieder drohen die Kompositionen in selbstgefälligen Posen zu erstarren. Da können die ansonsten passablen Sängerinnen Nomi und Kim Ann Foxmann noch so lasziv augenzwinkern – der unterkühlten Distanz der Stücke kommen sie nicht bei. Und auch wenn Antony Hegarty von der kanadischen Band Antony & The Johnsons sich Mühe gibt, wie Marc Almond zu klingen, seiner Stimme fehlt die Erotik eines Robert Owens. Einzig bei Blind ist sein Gesang wirklich großartig.

Blind ist auch der Höhepunkt eines Albums, das den Hörer seltsam unberührt zurücklässt. Wie die von Andrew Butler geschätzten griechischen Statuen erscheinen seine Stücke unnahbar. Sie sind in ihrer äußeren Form beeindruckend, Emotionen gewinnt man ihnen kaum ab. Die wichtigste Zutat von Disco und House war immer die Wärme, die den Tänzer umfing. Die Musik von Hercules & Love Affair gleicht kühlem Marmor. Darauf hätte sich auch ein Draufgänger wie Herkules nicht eingelassen.

Das unbetitelte Debütalbum von Hercules & Love Affair ist als CD und Doppel-LP erschienen bei DFA Records/EMI.

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Der Prediger schwächelt

Robert Owens veredelte mit seiner Stimme viele alte House-Klassiker. Sein neues Album „Night-Time Stories“ klingt unterhaltsam, hätte aber ein paar frische Ideen vertragen können.

Robert Owens Night-Time Stories

Nur wenige Stimmen vermögen das Lebensgefühl einer musikalischen Ära heraufzubeschwören. Robert Owens ist für den House das, was Frank Sinatra für den Swing und Marvin Gaye für den Soul sind: Verkörperungen eines Stils, dessen Einfluss auf die Popkultur sich weit über den musikalischen Rahmen hinausbewegt. In der Kirche seiner Heimatstadt Ohio stimmlich geschult, zog es Owens zunächst hinter die Plattenspieler. Als DJ arbeitete er in Chicago, wo er den jungen Musiker Larry Heard kennenlernte. Gemeinsam hörten sie Musik, spielten mit Heards Drum-Machine herum und erfanden ganz nebenbei eine neue Musikrichtung: die House Music. Die Stücke, die Owens und Heard unter dem Projektnamen Fingers Inc. aufnahmen, wurden zu Klassikern – Mysterys of Love, Can You Feel It und Bring Down The Walls verbanden Owens suggestiven Bariton mit den harten Vierviertel-Rhythmen, die die Clubmusik prägen sollten.

Als Chicago House Ende der achtziger Jahre seinen kreativen Zenit überschritten hatte, zog Owens nach New York. Er versuchte sich als Keyboarder und Produzent, konnte aber nicht an die Erfolge mit Fingers Inc. anknüpfen. Sein Umzug nach London brachte ihn ein paar Jahre später mit europäischer Clubkultur in Berührung und auf neue Ideen. Seine Rückkehr feierte er als Gastsänger auf dem Album Solaris des Drum’n’Bass-Produzenten Photek. Zuletzt war Owens‘ Stimme in Walk A Mile In My Shoes zu hören, einem beseelten Deephouse-Stück des Duos Coldcut.

Nun erscheint Owens’ Platte Night-Time Stories, sein drittes Album in 18 Jahren. Unterstützt wurde er bei den Aufnahmen von einem guten Dutzend Musiker und Produzenten. Neben internationalen Größen wie Atjazz, Charles Webster und Jimpster stehen auch deutsche Produzenten wie Ian Pooley und das Duo Wahoo auf der Gästeliste. Trotz vieler Hände ist Night-Time Stories ein Album aus einem Guss, denn die Stücke sind ganz auf den Gesang zugeschnitten. Kaum ein Produzent verlässt das musikalische Terrain aus elegantem House, der sowohl im klimatisierten Loft als auch auf dem Tanzboden funktioniert.

Owens hat sich hörbar Mühe gegeben, jeden Geschmack zu treffen: Da stehen packende Chicago-House-Zitate neben sommerlichen Nummern für den Großraumclub, Prisen von R’n’B und HipHop inklusive. Charles Webster verpasst Never Give Up ein pulsierendes Breakbeat-Gerüst, während Kid Massive mit Only Me düstere Wege geht. Ebenso vielseitig klingt Owens’ Stimme: Mal lasziv flüsternd, mal mit kraftvollem Pathos besingt er die klassischen Motive des House. Körperliche Selbstbefreiung, erotische Anspielungen und gospelhafte Durchhalteparolen bestimmen die Texte der 15 Stücke.

Das klingt alles gut und unterhaltsam, leider aber auch recht konservativ. Das Album bietet kaum Überraschungen, von den Innovationen zeitgenössischer Tanzmusik ist wenig zu vernehmen. Gefällig geht es zu, Owens setzt ganz auf das bewährte Rollenspiel zwischen Prediger und Verführer – Geschichten hat er nicht zu erzählen. Vielleicht hätten einige frische Ideen dem Klang der Platte gut getan? Mit Night-Time Stories verwaltet Robert Owens sein Erbe als Stimme des House allzu bedächtig.

„Night-Time Stories“ von Robert Owens ist als CD erschienen bei Compost/Groove Attack.

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Schwul, kühl, flott: Disco

Der Kölner Justus Köhncke hat viele Leidenschaften. Die wummernden Rhythmen seines dritten Albums „Safe And Sound“ verfeinert er mit elegantem Pop und einer Prise Schlager.

Justus Köhncke Safe and Sound

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift Groove stellt der Kölner House-Musiker Justus Köhncke seine sechs liebsten Platten vor. Neben einer Platte von Velvet Underground und einer von DJ Pierre stehen gleich vier Alben aus den Achtzigern, Alles ist gut von DAF, Computerwelt von Kraftwerk, The Lexicon Of Love von ABC und Cupid & Psyche 85 von Scritti Politti. Die Auswahl ist ein Bekenntnis zur Künstlichkeit. Bezeichnend sind Köhnckes Ausführungen zu Scritti Politti: „Dieser glitzernde, futuristische, hochglanzpolierte ‚Kalt, modern und teuer‘-Sound dieser Produktion war stark verantwortlich für mein berufliches Traumziel Plattenstudio.“ Die Platte markiere das Ende des „handwerklichen Muckertums“. Justus Köhnckes Produktionen knüpfen hier an, sie sind immer schon so glatt und kühl wie der Pop der Achtziger. Auch sein neues Album Safe And Sound glitzert elegant.

Köhncke hat eine zweite Leidenschaft: Disco, in all ihren Spielarten. Die monotonen Rhythmen und die exaltierten Gesten der Discomusik waren in den Siebzigern jedem Mucker ein Gräuel, Justus Köhncke belebt sie wieder um einer schwulen Ästhetik Willen. Seine ersten beiden Alben Was ist Musik und Doppelleben waren glamouröse Amalgame aus Disco-Klängen und schlagerartigem Gesang – Hildegard Knef ist ihm ein Vorbild. Dazwischen baute er immer wieder gradlinige House-Rhythmen. Auf Safe And Sound singt er lediglich zu (It’s Gonna Be) Alright, der Rest des Albums ist instrumental.

Es geht los mit Grace Jones. Ihr Spiel mit Geschlechter-Kategorien ist Köhncke eine wichtige Referenz. Yacht basiert auf einem Sample aus ihrem Slave To The Rhythm. Was einst kalt wirkte, mutet heute warm an, das ehedem Futuristische klingt zeitlos. Das Sample fügt sich nahtlos ein in Köhnckes flottes House-Stück.

Er hat ein sicheres Gespür für Melodien und Strukturen, seine eingängigen Stücke haben immer das Zeug zum Club-Hit. Nicht alles klingt nach Disco, $26 ist einprägsamer Intelligenz-Techno, Molybdän ein melodieverliebtes Trance-Stück. Selbst hier schimmert der Hedonismus des Tanzpalasts durch, die Lieder laufen auf beglückende Höhepunkte zu. Wenige Stücke klingen so offensichtlich nach Disco wie Parage mit seinen Streichern und dem federnden Bass.

Tilda braucht gar keinen wummernden Rhythmus, es ist die klangliche Brücke zur Coverversion von Michael Rothers Feuerland. In Köhnckes Bearbeitung treibt ein träge watschelnder Rhythmus krautrockige Synthesizer und Ambient-Gitarren vor sich her. So klang Cosmic Disco Anfang der Achtziger. In Gestalt des House sind diese tanzbaren Rhythmen auferstanden, wie Phönix aus der Asche.

„Safe And Sound“ von Justus Köhncke ist als CD erschienen bei Kompakt/Rough Trade.

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