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Rücksicht? Nein, danke

Bahnhof Berlin-Alexanderplatz, abends. Mitten auf dem Bahnsteig steht eine Gruppe Erwachsener, etwa so alt wie meine Eltern, von denen jeder eine Weihnachtsmannmütze trägt und an einer Zigarette pafft. Ich, Anfang 20, sage höflich: „Entschuldigen Sie bitte, das hier ist ein Nichtraucherbahnhof.“ Eine Frau schaut mich kurz an: „Jaja.“ Nach einem weiteren Wortwechsel fällt mir nichts Höflicheres ein als: „Hier darf nicht geraucht werden. Basta.“ Die Frau raucht weiter, wendet sich ab, murmelt: „Blabla.“ Mein Zug fährt ein, mir wird von der Gruppe noch eine unschöne Handbewegung hinterhergeschickt. Ich habe nichts gegen Raucher. Aber ich habe etwas gegen Menschen, die sich nicht an die vereinbarten Regeln halten und im Alltag keine Rücksicht auf andere nehmen.

Maria Löhnert, Frankfurt (Oder)

 

Subtiler Druck

In den Briefen vieler Hilfsorganisationen findet sich der Satz: „Schon mit 20 oder 30 Euro können Sie das Projekt X unterstützen.“ Warum geht es nicht ohne diesen ganz subtilen Druck, zum Beispiel so: „Jede Spende ist hilfreich, auch die kleinste“?

Wilhelm Widenmann, Stuttgart

 

Floskelhaft

Mich stören zwei oft benutzte, inhaltlich falsche Floskeln. Wenn etwa am Ende einer TV-Sendung gesagt wird: „Wir sehen uns morgen wieder.“ Der Moderator sieht mich doch gar nicht – also kann ich ihn zwar wiedersehen, er mich aber nicht. Oder wenn jemand sagt: „Ich würde sagen…“. Er sagt es doch, oder?

Max Hansen, Dautphetal, Hessen

 

Goebbels überall

Bin in der Kölner City unterwegs, um für meine Nichte (20, Jurastudentin) und meinen Neffen (19, zur Zeit Sanitäter-Ausbildung, er möchte Medizin studieren) die 2009 erschienene Albert-Schweitzer-Biografie von Nils Ole Oermann als Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Am Neumarkt gehe ich in die Mayersche Buchhandlung, groß, modern. Albert-Schweitzer-Biografie? Nicht vorrätig. Dafür fällt mir ein Tisch ins Auge, auf dem mindestens zwanzig Exemplare der neu erschienenen Goebbels-Biografie angepriesen werden. Später gehe ich im Kölner Hauptbahnhof in die Buchhandlung, klein, fein, gut sortiert. Aber auch hier: Schweitzer-Biografie? Fehlanzeige! Goebbels-Biografie? Ich könnte meine ganze Familie damit ausstatten. Mich regt das auf! Vielleicht hätten andere Kunden auch lieber zur Schweitzer-Biografie gegriffen – man müsste ihr nur einen angemessenen Platz einräumen.

Andrea Lang, Köln

 

Nicht alle Familienmitglieder sind gleich

Unlängst habe ich mein Auto aufgegeben und benutze seither öffentliche Verkehrsmittel. Umweltfreundlicher und günstiger – dachte ich. Dank Bahncard 25 und Sparangebot habe ich auch gleich ein preiswertes Zugticket erstanden, um Weihnachten mit meiner Familie in der 400 Kilometer entfernten Oberpfalz zu verbringen. Dann der Hammer: Das Beförderungsentgelt für meinen mitreisenden Vierbeiner ist teurer als mein eigenes Ticket! Wäre er mein Kind bis 14 Jahre, würde er sogar kostenlos mitfahren! Stattdessen ist mein Hund nun stolzer Besitzer eines teuren Tickets mit Sitzplatz zwischen meinen Füßen – was für eine absurde Preispolitik.

Barbara Rutter, Gießen

 

Münze rein, los geht’s

In Hamburg angekommen, will ich ein Fahrrad nehmen. Ein öffentliches. EC-Karte in den Automaten zum Bezahlen. Welche PIN? Kontonummer? Telefonnummer? Handynummer? E-Mail-Adresse? Jetzt reicht’s! Karte raus. In Århus angekommen will ich ein Fahrrad nehmen. 20 Kronen rein in den Schlitz. Losfahren. Die 20 Kronen gibt’s anschließend wieder zurück. Die Welt kann so einfach sein!

Christof Becker, Kiel

 

Gleichberechtigt?

Derzeit wird hierzulande viel über Integration diskutiert. Muslimische Frauen seien nicht gleichberechtigt, heißt es. Das Grundgesetz mit seinen christlichen Wurzeln sei einzuhalten. Ich stelle mir vor, dass meine Tochter mich fragt, warum sie nicht katholische Pfarrerin werden darf. „Weil noch keine Frau vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt hat.“ Sollte es nicht möglich sein, das zu erreichen, was einer Soldatin vor zehn Jahren gelungen ist?

Michael Ernst, Bonn

 

Frankfurterin, 58, arbeitssuchend

Es begann mit diesem unguten Bauchgefühl. Die Firma, in der ich seit 6 Jahren arbeitete, lief nicht mehr rund. Ein Wechsel in der Geschäftsführung verlief nicht zum Besten, und da ich als Sekretärin der Geschäftsführung nahe an der Schaltzentrale saß, spürte ich manche Veränderungen hautnah.

Das 1. Jahr, Alter: 56

Ich begann mich zu bewerben – nur hin und wieder auf Stellen, die mich besonders ansprachen, wenn ich am Wochenende die Stellenanzeigen überflog. Aber ich bekam nur Absagen. Da ich nicht besonders intensiv suchte, war das nicht so schlimm für mich, besonders nicht, wenn die Absagen freundlich formuliert waren, meine Qualifikationen gelobt wurden und mir alles Gute für die Zukunft gewünscht wurde. Letzteren Zusatz formulierte immerhin ungefähr jede fünfte Firma. Ich hatte einen Termin bei einer großen, renommierten Personal- und Zeitarbeitsvermittlungsfirma. Die Mitarbeiterin war sehr freundlich, lobte mich über den grünen Klee, fragte mich eine Stunde lang über meinen derzeitige Tätigkeit aus. Als ich schießlich ging, erklärte sie mir, sie habe in zwei Tagen ihren letzten Tag in der Firma, aber die Unterlagen würden an eine Kollegin gehen. Als ich drei Wochen später nachfragte, waren meine Unterlagen nicht mehr zu finden und in der zentralen Datei war ich nicht erfasst.

Das 2. Jahr, Alter: 57

Die Lage begann sich zuzuspitzen. Mir wurde immer mulmiger in der Firma, mein nächster Geburtstag, der 57. war in Sicht und ich verdoppelte den Einsatz: So alle 6 Wochen schrieb ich eine Bewerbung und stellte mich auch bei einem Headhunter vor. Die zuständige Beraterin meinte, sie könne mir bestimmt eine Stelle vermitteln, es käme nur darauf an, die Ausschreibung geschickt zu formulieren und meine Qualifikationen ins rechte Licht zu rücken. Ich verließ das Gebäude nach diesem Gespräch beschwingt und voller Hoffnung. Erst einmal hörte ich wochenlang nichts von der Headhunterin, dann wurde mir, obwohl ich noch in ungekündigter Position war, eine befristete Stelle angeboten und mit einem Drittel weniger an Gehalt. Als ich ablehnte, hörte ich wieder wochenlang nichts, dann wurde ich gefragt, ob ich an einer Position im weiteren Umkreis von Frankfurt interessiert sei. Als ich bejahte, hörte ich lange nichts, bis ich schließlich nachfragte und erfuhr, dass sich der Kunde der Headhunter für eine Mitbewerberin entschieden habe.

Das 3. Jahr, Alter: 58

Ich erfuhr von beunruhigenden Entwicklungen in meiner derzeitigen Firma und wusste, jetzt wird es ernst. Ich ging zur Beratung bei der Rentenversicherung, erfuhr, dass meine zu erwartende Rente um etwa ein Drittel gekürzt würde, wenn ich keine neue Arbeitsstelle finde, machte Kassensturz, stellte alle Sonderausgaben ein, und listete mich in zwei Jobbörsen im Internet, gab ein kostenloses Stellengesuch in einem Online-Portal auf, las jedes Wochenende sorgfältig die ausgeschriebenen Stellenangebote in zwei Tageszeitungen, ließ neue Passfotos nach einem Friseurbesuch machen und schrieb Bewerbung auf Bewerbung. Gelegentlich erhielt ich eine Empfangsbestätigung, hin und wieder ein Schreiben mit dem Hinweis, dass die Bearbeitung der zahlreichen Zuschriften einige Zeit beanspruchen würde, aber dann passierte nichts mehr, und meist kam dann die Bewerbung zurück bzw. auf die Online-Bewerbungen kamen Absagen – meistens, aber manchmal nicht einmal das.
Kurz nach meinem 58. Geburtstag warf mich die Firma der Headhunter aus der Kartei. Es gäbe zur Zeit nichts Passendes für mich. Ich fragte nach, ob ich nicht in der Kartei bleiben könnte, aber die Antwort war lakonisch: „Wir haben zur Zeit nichts für Sie“. Was soll eine im Personalwesen versierte Fachkraft auch sonst sagen in den Zeiten der Antidiskriminierungsgesetze… In der Zeitung lese ich gleichzeitig viele Artikel und Kommentare über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und den Kampf gegen die Frühverrentnerung, worauf angeblich so viele Menschen aus sind. Was gäbe ich darum, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Es geschieht: Die Firma, in der ich arbeite, meldet Insolvenz an. Erst die vorläufige, dann die endgültige. Ich gehe wieder zum Friseur, lasse neue Bewerbungsfotos machen, für die ich zuversichtlich in die Linse blicke und bewerbe mich, bewerbe mich, bewerbe mich. Das Jobportal der Arbeitsagentur tut sich auf: So viele Stellen, die ab sofort zu besetzen sind! Zwischen den vielen, vielen Vermittlern von Zeitarbeitsstellen oder im besten Fall festen Stellen, findet sich ab und zu eine direkte Ausschreibung einer „normalen“ Firma. Wen stört es da, wenn von einer Wochenarbeitszeit von 46 Stunden geredet wird oder eine Arbeitszeit vom Nachmittag bis 22 Uhr ausgeschrieben wird. Ich möchte nur arbeiten und bewerbe mich. Die Post erlebt einen Konjunkturaufschwung: Ich schreibe Bewerbungen, schicke sie ab, die Firma schickt die Bewerbungsmappe wieder zurück.

Glücklicherweise habe ich online eine Flatrate und kann manche Bewerbung gleich am Bildschirm losschicken.
Noch drei Monate, dann ist Weihnachten – und ich habe keine Arbeit mehr. Eine hochqualifizierte Sekretärin mit sehr guten Englischkenntnissen, viel Erfahrung im Personalwesen und versierte Facility Managerin in einer mittelständischen Firma wird anscheinend nicht alle Tage gebraucht. Auch nicht, wenn sie zu Abstrichen gehaltlicher Art und was den Weg zur Arbeitsstelle angeht, bereit ist.

Mein derzeitiger Lieblingsschlager: „Wunder gibt es immer wieder“ – wie heißt es so treffend im Volksmund: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Eva H., Frankfurt

 

Übersetzungsschwierigkeiten

Was mich wirklich jedes Mal richtig sauer macht: wenn ich Übersetzungsluschigkeiten finde. Das Hochglanzmagazin zum Beispiel, das ich während des Wartens beim Orthopäden sehr schätze, schreibt von der tollen Hautcreme eines deutschen Herstellers, die angeblich sogar das Model Naomi Campbell benutze und die „organisch“ sei. Ja, was soll denn das bitte schön sein? Eine Creme auf Nierenbasis? Dass im Englischen organic schlicht und einfach bio heißt, ist solchen Redakteuren einfach zu banal und erinnert sie wahrscheinlich zu sehr an Müsli, um es korrekt übersetzen zu können. Ich will ihnen erst gar nicht unterstellen, dass sie es nicht besser wissen. Oder doch? Was wäre eigentlich schlimmer? Woran ich mich auch nicht gewöhnen kann, ist die Tatsache, dass in Filmen eigentlich immer, wenn irgendwelche reuigen Alkoholiker in ihren Selbsthilfegruppen gezeigt werden, die Aussagen ganz direkt übersetzt werden. Nun, man weiß, es gibt nur Hungerlöhne für Übersetzer, und man kann ihnen nicht zumuten, alles genau zu recherchieren. Aber dass eine Bewegung von Selbsthilfegruppen, die es schließlich in Deutschland auch schon seit achtzig Jahren gibt, komplett ignoriert wird, das wurmt mich. Zuletzt sah ich den Film Crazy Heart im Original mit Untertiteln. Wenn Jeff Bridges am Schluss sagt: „One day at a time“, kann man das natürlich mit „Jeder Tag für sich“ übersetzen. Nothing for ungood: Mit einem Hauch von Recherche hätte man die korrekte Übersetzung dieses Slogans gefunden: „Nur für heute“.

Katharina Maiss, Münster

 

Zehn Cent Wartezeit

Supermarktkassen sind ideale Orte, um das Verhalten von Menschen zu studieren. Man trifft höfliche, zuvorkommende Kunden, aber oft genug leider auch das Gegenteil. Heute stand ich in der Schlange vor der einzigen geöffneten Kasse eines Supermarktes. Vor mir eine Kundin, die beim Eingeben der Preise bemerkt hatte, dass der Preis eines Artikels offenbar nicht mit dem Preis am Regal übereinstimmte. Es handelte sich um eine Packung Käse, die Preisdifferenz betrug angeblich zehn Cent, und die Kundin bestand darauf, dass der Preis korrigiert werden sollte. Also wurde eine Kollegin der Verkäuferin an das Käseregal beordert, um die Preisdifferenz zu ermitteln. Ja, es stimmte: Der Artikel war tatsächlich falsch ausgezeichnet. Um nun den bereits eingegebenen Preis korrigieren zu können, wurde per Durchsage eine weitere, offenbar dafür zuständige Kollegin an die Kasse beordert. Diese Kollegin erschien auch nach mehrmaliger Durchsage nicht, sodass eine weitere Mitarbeiterin des Ladens losgeschickt wurde, sie zu suchen. Das führte auch nicht gleich zum Erfolg, und die Schlange an der Kasse wurde länger und länger. Schließlich erschien die gesuchte Kollegin – nicht ohne an der Gemüseabteilung noch ein paar scherzende Worte mit der dortigen Kollegin zu wechseln. Die Kundin brauchte dann wirklich nur den niedrigeren Betrag zu bezahlen, was ihr gutes Recht war. Aber sie nahm ihre Einkäufe und verließ den Laden, ohne uns, die wir geduldig in der Schlange gewartet hatten, auch nur anzusehen. Geschweige denn, uns für unser Verständnis und unsere Geduld zu danken.

Wolfgang Sopp, Marienfels