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SPD-Promis

Glückwunsch! Klaas Heufer-Umlauf ist für Frank-Walter. Floriane Daniel auch. Und Basti Swillims.

Wer das ist? Haben wir uns heute Morgen auch gefragt. Zum Glück gibt es Wikipedia. Heufer-Umflauf moderiert auf Viva, Frau Daniel ist Schauspielerin („Liebe im Halteverbot“, hieß laut Wiki ihr letzter TV-Film), und Swillims ist ein semmelblonder  Sprinter.

Die drei sind Teil einer Gruppe, die sich alle vier Jahre für eine gute Woche konstituiert: die Gruppe der SPD-Promis. Gemeinsam mit 55 anderen mehr oder weniger bekannten Berühmtheiten lachen sie heute in einigen Tageszeitungen von einer ganzen Seite – und rufen zur Wahl Steinmeiers auf.

Immerhin, das haben die Genossen der Union also nach wie vor voraus: Sie sind näher an den Stars und Sternchen dran. Der Geist schlug und schlägt links in dieser Republik. Das war schon in den reaktionären Adenauer-Jahren so, als die Künstler und Literaten Schumacher und Ollenhauer umschwärmten. Diese Beziehung verstärkte sich fast schon ins Ekstatische unter Willy. Selbst unter dem Auto-Kanzler riss sie nicht ab, der nun wirklich kein Intellektueller war.

Und nun verteidigt Steinmeier dieses Erbe, der, so hört man, im Gespräch mit Denkern und Sängern neugierig und spritzig sein kann. Dokumentiert ist das ganze auch auf einem hübschen YouTube-Video, in dem die bekannteren der 58 Promis Loblieder auf ihren Steinmeier singen.

Die Union tut sich traditionell schwerer in der Promi-Akquise. Unvergessen der Wahlkampf 2002, als man eine illustre Runde gewinnen wollte. Allzu viele „Köpfe für Stoiber“ kamen nicht zusammen, so sehr man auch suchte. Die meisten waren älter als 60, jedenfalls nicht geeignet als Türöffner für die MTV-Generation. Hans Clarin und Joachim Fuchsberger, der Hackl-Schorsch und Uschi Glas. Das war’s auch schon fast.

Etwas besser geht’s Angela Merkel. Sie hat auf ihrer CDU-Seite (ganz unten) sogar 88 Unterstützer aufgelistet. Wenn man sich allerdings durchklickt, stellt man fest, dass sich darunter auch u.a. ein CDA-Stadtverbandsvorsitzender und eine frühere Parlamentspräsidentin finden. Dadurch relativiert sich Merkels Vorsprung (88 zu 58) schon wieder. Das wäre so, als wenn Steinmeier irgendwelche Spitzen-Seeheimer zu Promis deklarieren würde, oder Heide Simonis.

Auch qualitativ gibt es Unterschiede. Merkels Unterstützer sind in der Regel Unternehmer oder Sportler (von Olli Bierhoff bis zum Designer Joop). Schriftsteller, Theologen, Kabarettisten oder gar Literatur-Nobelpreisträger finden sich nicht im Merkel-Lager. Die Steinmeier-Promis hingegen sind zumeist einem intellektuelleren Milieu zuzuordnen, sagt zumindest Wikipedia. Man kennt sie ja nicht.

 

„Plasberg war arrogant, Illner unsäglich“

Wer hat nun das TV-Duell gewonnen? Wer konnte am wenigsten punkten? Kloeppel oder Plasberg? Illner oder Limbourg?

Eigentlich wollen wir in der Redaktion heute früh über die Performance der Kanzlerin und des Kanzlerkandidatin sprechen. Schnell zeigt sich aber, dass der Diskussionsbedarf über die Moderatoren fast größer ist als der über die Politiker. Kaum jemand, der sich zu den vier Fragestellern keine Meinung gebildet hat. Den ganzen Vormittag über kocht das Thema in einer Email- und Skype-Debatte weiter.

Begonnen hat das schon gestern Abend, unmittelbar nach dem Duell. Unser Reporter Christoph Seils, der in Berlin-Adlershof dabei war, empfindet die Moderatoren als wohltuend kritisch und bissig. Sie hätten kompensiert, dass die gesamte Opposition bei dem Fernsehduell ausgesperrt geblieben ist, schreibt Seils.

Der Politikressortleiter Markus Horeld vertritt in seinem Kommentar die Gegenposition. Mindestens zwei der vier Moderatoren seien überzählig gewesen. Sie hätten sich „darauf beschränkt, die Kandidaten fortwährend zu unterbrechen (Maybritt Illner), sich alberne Namen für Schwarz-Gelb auszudenken (Maybritt Illner: „Tigerenten-Koalition, hihi“) oder hin und wieder selbstzufrieden in die Kamera zu grinsen (Frank Plasberg).“

Überhaupt, viele Kollegen stören sich an der formalen Zusammensetzung. Zwei Politiker, vier Moderatoren – das habe dazu geführt, dass „jeder versuchte, noch witziger und spritziger zu sein“, so beobachtet unsere Wirtschaftskollegin Marlies Uken. Allgemein findet sie, das Korsett der Sendung sei zu starr gewesen. Selten seien interessante Gespräche entstanden.

Ähnlich unzufrieden ist unsere Karriere-Redakteurin Tina Groll: „Zwei Moderatoren hätten gereicht. So sah man vier Möchtegern-Knallhart-Nachfrager und zwei sterbenslangweilige Politnasen.“

Die Moderatoren waren also bissiger als die Politiker, so ein verbreiteter Eindruck. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, welcher Politiker schärfer angegangen worden ist. Unser Meinungs-Chef Steffen Richter sieht zum Beispiel eine Benachteiligung des SPD-Kandidaten. „Mit Merkel waren die vier lammfromm, bei Steinmeier dagegen eher kritischer“.

Und er stellt die rhetorische Frage: „Ist SPD bashen überhaupt noch zeitgemäß?“ Ähnlich der Eindruck unseres Videoredakteurs Adrian Pohr. Merkel sei „fast nie“ kritisiert worden, obwohl sie oft gar nicht direkt auf die Fragen einging, sondern staatstragende Allgemeinplätze vortrug. „Wohl der Kanzlerbonus…“ Konträr dazu ist dem Autor dieser Zeilen und auch Christoph Seils aufgefallen, wie kritisch gerade die Kanzlerin angegangen worden ist.

Unsere Nachrichtenredakteurin Karin Geil hofft, dass das gestern der Todesstoß für ein TV-Format war, das sich überlebt hat. Hoffentlich, so ihre Bitte, „ersparen uns die Sender ein derartiges Monstrum an TV-Duell in vier Jahren“. Sie hatte Verständnis, dass die Politiker irgendwann unwirsch auf die sich heimlich duellierenden Moderatoren reagierten: „Merkel wurde schnippisch“ (‚Ich beantworte die Fragen so, wie ich das denke‘), Steinmeier großväterlich (‚Frau Illner, folgen Sie doch einfach meinem Argument‘).“ Die beiden Politiker seien – unterm Strich – besser gewesen als die vier Modertoren.

Von den vieren am kritischsten bewertet unsere Redaktion den ARD-Talker Frank Plasberg. Der Digital-Ressortleiter Kai Biermann nannte den ARD-Mann, der ohne Krawatte moderierte, „aufgesetzt rebellisch und albern“. Tina Groll fand Plasberg „absolut peinlich und überambitioniert“.  Selbst sein SAT-1-Kollege Limbourg sei „total genervt von ihm, das hat man gesehen“. Sie fand Illner am witzigsten. Von der ZDF-Dame hingegen ist Markus Horeld am meisten genervt.

Bissig waren die Moderatoren. Haben sie aber auch neue Erkenntnisse zutage gefördert? Unser Hospitant Daniel Schlicht bezweifelt das, anhand einer Szene: Der Sat1-Mann Peter Limbourg wollte von der Kanzlerin wissen, wer in einer möglichen schwarz-gelben Regierung Gesundheitsministerin wird. Merkels Antwort: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Keiner brauche sich Sorgen zu machen. Peter Limbourg traut sich nicht noch einmal nachzufragen, denn Peter Klöppel schaut schon wieder auf die Zeitkonten: Frau Merkel hatte schon 49 Sekunden mehr Sprechzeit als Steinmeier.

Philip Faigle hat an diesem Montag seinen freien Tag. Trotzdem schaltet er sich in die Redaktionsdebatte per Mail ein, weil ihn dieses Duell „so maßlos aufgeregt hat“. Frank Plasberg, so beginnt Faigle, sei „der Idealtypus des neuen Journalisten, der alles fragen und sich darüber empören darf, wenn er im „Namen des Volkes“ keine Antwort erhält. Er hat begriffen, dass Fragen nicht nur dazu dienen können, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, sondern auch um Macht auszuüben. Milan Kundera hat auf diese neue Form des Journalismus in seinem Buch „Die Unsterblichkeit“ bereits 1990 hingewiesen: „Es geht darum, die alten Profis der Macht zu entthronen, nicht mit Waffen oder Intrigen, sondern durch die bloße Kraft des Fragens.“

Weiter schreibt Faigle: „Die vier Journalisten (mit Ausnahme vielleicht von Peter Limbourg, der vom alten Schlag ist) mögen diesen Gedanken im Kopf gehabt haben, als sie gestern zu Tat schritten. Den Politiker festnageln, ihn in die Ecke drängen, zu einer Antwort zwingen, das war ihr Ziel. (…) Die gleichen Journalisten, die sich ständig beklagen, dass die Politiker zu wenig „authentisch“ sind, oder nicht „aus den Puschen kommen“ (Illner), sind diejenigen, die so die Verlogenheit in der Politik befördern. Kein Politiker wäre so dumm, sich im Gespräch mit einem Plasberg zu öffnen – er würde dafür furchtbar bestraft werden.“

Puhh, sind wir so kritisch, weil es um unsere Berufskollegen geht? Womöglich! Jedenfalls kommt es selten vor, dass die Mehrheit von uns Spitzenpolitiker in Schutz nimmt. Andererseits fiel gestern vielen anderen ebenfalls auf, dass das Moderatorenkleeblatt aus dem gewohnten Rahmen fiel. Eine Freundin, eine Juristin, schrieb noch während des Duells eine SMS: „Warum dissen die sich so gegenseitig? Man bekommt gar nichts von der Politik mit.“

Irgendwas lief offenbar verkehrt. Und während wir noch darüber nachdenken, ploppt die nächste Mail im Postfach auf. Jörg Lau weist auf seinen neusten Blog-Beitrag hin. Darum geht’s: „TV-Duell. Eine journalistische Katastrophe. Zeit für einen Wutanfall.“

 

Die Plappereien des Ehepaars Tauss

Nachdem es in den letzten Wochen etwas ruhig geworden war um den Ex-SPDler und Neu-Pirat Jörg Tauss, durfte die Netzgemeinde heute einem seltsamen, öffentlichen Schauspiel beiwohnen:

Heute morgen, es ist der Tag, an dem der Bundestag Tauss‘ Immunität aufheben wird, heute morgen also griff Jörg Tauss zu seinem Twitterfon. Das macht er oft, im Schnitt etwa alle zwei Stunden. Derartige Zwitscher-Botschaften haben ja oft etwas Kryptisches. Aber diesmal musste man wirklich mehrfach nachlesen, um nicht der Meinung zu sein, da werde ein öffentlicher Rosenkrieg ausgetragen.

„Meine #SPD-Ehefrau verunglimpft mich heute nach eigener Aussage in der Stuttgarter Zeitung als Piratenopa!! #Eheberatung :)“, stand da.

Der Smiley am Ende weist darauf hin, dass die Geschichte ironisch gemeint ist. „Piratenopa“ und „Eheberatung“, das klingt witzig, fluffig, schnodderig! So ist er oft, der Herr Tauss.

Worum geht’s also ? Irmgard Tauss, Genossin und Gewerkschafterin, hatte sich vor Taussens Twitterei ihrem Heimatblatt, der Stuttgarter Zeitung, anvertraut. Den schwäbischen Redakteuren teilte sie mit, dass sie „nur wenig Verständnis für das Verhalten“ ihres Mannes habe.

„Wie blöd kann ein Mensch eigentlich sein, zu glauben, er könne einen Kinderpornoring ausheben? Das ist völlig irre“, fragte sie sich, laut Stuttgarter, nach der ersten Durchsuchung seiner Büroräume durch die Staatsanwaltschaft.

Tauss hatte beteuert, er habe Porno-Material während seiner Recherchen als Parlamentarier genutzt. Ihrem Mann sei es damals „völlig unbegreiflich“ gewesen, „dass ihm das keiner abnimmt“, sagte Frau Tauss. Die beiden sind seit 33 Jahren verheiratet.

Dennoch, jetzt wird’s romantisch, werde sie weiter zu ihm stehen. Irmgard hält auch weiter zu Jörg. Sie habe sich und ihren Mann geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass sie ihm vertrauen könne, vertraute sie der Zeitung an. Sie betonte, Kinderpornografie sei „widerlich und ekelhaft“.

Demnächst wird wohl vor Gericht geklärt werden müssen, ob ihr Mann damit mehr als „dienstliche“ Anliegen verfolgte.

 

Vier Gründe für Althaus’ Rückkehr

Rücktritt? Welcher Rücktritt? Dieter Althaus kehrt zurück, gleich morgen, nur vier Tage nachdem er ankündigte, seine Ämter mit sofortiger Wirkung ruhen zu lassen. Warum? Wir wissen es!

Wow, das macht neugierig. Dieter Althaus galt jahrelang als einer der drögesten Ministerpräsidenten Deutschlands. In den vergangenen vier Tagen jedoch handelte er so kühn, so verwegen, so unergründlich, dass man leicht den Überblick verlieren könnte. Sein Rücktritt sollte „mit sofortiger Wirkung“ greifen, wie er es in einer dünnen Mail mitteilte. Seiner CDU hatte er zuvor nichts verraten. Einsam und allein traf er seine Entscheidung.

Nun aber der Salto, der Umkehrschwung, wie wir Skifahrer sagen. Nicht einmal hundert Stunden nach seinem Rücktritt kündigte Althaus an, es sich anders überlegt zu haben. Das teilte sein Sprecher den verdutzten Journalisten mit. Schon am morgigen Dienstag wird er als geschäftsführender Regierungschef die Kabinettssitzung in Erfurt leiten.

Seither machen wilde Spekulationen in Erfurt die Runde. Warum kommt Althaus zurück? Vier Erklärungsansätze

1. Althaus lässt die Bombe platzen

So orakelt jedenfalls der Online-Auftritt der Bild-Zeitung. Und die sollte man bekanntermaßen, was Althaus angeht, nie unterschätzen. War doch das Blatt so gut über seinen Gesundheitszustand und seine psychologischen Kämpfe nach dem Skiunfall informiert wie kein zweites anderes Medium in Deutschland.

Den Boulevardjournalisten erzählte Althaus, was er nicht mal seinen Parteifreunden sagte. Sie traf er, wenn er selbst für Parteitage zu schwach war. Möglich also, dass Althaus tatsächlich noch ein paar Rechnungen begleichen will. Leider wird die Bild nicht konkreter. Auf die Frage, welchen Inhalt die Abrechnung haben könnte, geht sie nicht ein.

2. Althaus bedient den Reißwolf

Einen Haken hat die Abrechnungs-These dann aber doch. Althaus ist kein Wüterich, kein Stänkerer. Er gilt seit jeher als beratungsresistent. Dass er aber jemanden bedroht hätte, dass er sich öffentlich als Racheengel inszeniert hätte, hat man noch nicht gehört. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass Althaus morgen das tut, was viele abgesägte oder entmachtete Chefs so tun: Akten beseitigen, den Reißwolf bedienen, Kopien schwärzen, den Schnapsschrank räumen.

3. Althaus demonstriert seine Macht

Die Verfassung deckt die Sprunghaftigkeit des Landesvaters. Theoretisch ist es möglich, dass Althaus jede Woche zurücktritt, kommissarisch eine Nachfolgerin benennt, die dann aber wieder von Althaus ersetzt wird. Sein Sprecher zitierte heute nicht von ungefähr die Landesverfassung, nach der der Ministerpräsident so lange im Amt bleibt, bis ein Nachfolger gewählt ist. Frau Dietzel ist nicht gewählt, jedenfalls nicht vom Landtag.

Nun, auch eine derart motivierte Rückkehr wäre durchaus menschlich. Althaus wäre nicht der erste, den es schmerzt, dass sich die Welt auch ohne ihn weiterdreht. Da tritt man zurück, und kaum einer trauert einem nach. Alle wollen wissen: Wer wird der Nachfolger? Alle diskutieren plötzlich über Frau Liebknecht und über diesen Pumuckel namens Matschie. Kein Wunder also, dass Althaus da noch einmal seine Macht ausübt, solange er sie hat.

4. Spätfolgen des Unfalls

Es ist ungehörig so etwas anzunehmen. Offenbar sitzen in der ZEIT ONLINE-Redaktion lauter Flegel: Als die Nachricht vorhin über den Ticker lief, gab es kaum jemanden, der das unstete Verhalten Althaus’ nicht spontan in Verbindung mit seinem Unfall brachte. Ein Kollege sagte, wahrscheinlich hat Althaus erst jetzt seinen Tischkalender von 2008 wieder entdeckt. Eine Kollegin spekuliert, es stünden noch viele Sektflaschen vom letzten Silvester in der Staatskanzlei, die er nicht verkommen lassen will. Gut, geschmackvoll ist das nicht. Es reiht sich aber ein in die gängige Althaus-Rezeption der vergangenen Monate: Alles, was er seit dem 1. Januar diesen Jahres tat, wurde in Bezug zu seinem tragischen Unfall gestellt. Vermutlich nicht zu Unrecht: Beobachter, die Althaus lange kennen, sagen, er sei seither nicht mehr der Alte geworden: fahrig und konzentrationsschwach. Auch sein heutiger Rücktritt vom Rücktritt klingt nun mal, sorry, ein bisschen gaga.

 

Merkel legt sich fest

God bless, die Kanzlerin hat Farbe bekannt. Nun weiß man endlich, mit wem sie am liebsten koalieren würde, wenn sie das nach der Wahl am 27. September frei entscheiden könnte.

In Bayern nahm Merkel ihren Mut zusammen – und packte aus, ungeschminkt und ehrlich, so wie das ihre Kritiker immer gefordert haben. Heimlich bezweifelten diese ja, ob die Ostdeutsche nicht eine leicht angeschwärzte Sozialdemokratin sei oder schlimmer noch: eine verkappte Schwarz-Grüne.

Aber, nein Freunde, Merkel sagte dem Bayerischen Rundfunk mit Luther’scher Festigkeit: „Wenn es nur eine Stimme Mehrheit im Bundestag gibt, werden Union und FDP eine Koalition eingehen“.

Viele Online-Medien und Radiostationen griffen diese Äußerungen aus dem Süden fiebrig auf, machten sie zum Aufmacher oder zur Top-Story. Vielleicht aber hätte ein Blick ins Archiv ebenfalls genügt:

Merkel bekennt sich zu Wunschpartner FDP
(26.8.2009, AFP)

Merkel bekennt sich klar zur FDP
(7.6.2009, DerWesten)

Merkel bekennt sich zu Schwarz-Gelb
(12.2.2009, ZEIT ONLINE, dpa)

Merkel bekennt sich zu Schwarz-Gelb
(19.1.2009, stern)

Merkel kündigt klare Koalitionsaussage für FDP an
(9.1.2009, Spiegel ONLINE)

 

Christdemokratisches Wahlkampf-Video

Was bitte ist das? Eine Dame aus dem Memelland, geboren 1923, erzählt ihre Lebens- und Leidensgeschichte. Die Stimme ist erstickt, ihre Hand, die ständig nach etwas greift (Fotos, Kaffeemaschine, Computer-Maus) zittert. Sie sagt Sätze wie „Wir mussten vor den Russen fliehen“. Oder: „Ich habe unendliches Leid gesehen.“

Die Lösung: Es ist der aktuelle Aufmacher auf der Webpage der CDU. 1:51 Minuten ist er lang. Eine politische Aussage enthält er nicht, keine einzige. Viel Melodramatik, schmalzige Musik und zum Schluss eine Lebensweisheit „an die jungen Leute“: „Mit Fleiß und Ausdauer“ könne man Berge versetzen.

Tusch – und dann das CDU-Logo in Deutschland-Typo: „Wir haben die Kraft.“

 

Exodos, die letzte Bar schließt

Die Bochumer Straße ist eine der vielen Problemstraßen in Gelsenkirchen: Sie ist viel befahren, aber die meisten Wohnungen stehen leer. Die wenigen Menschen, die hier leben, sind in der Regel arbeitslos. Die Geschäfte, Bäcker und Kneipen schlossen nach und nach. Heute war das Exodos dran. Der Wirt sagt beim Entrümpeln: „Das hier ist die schlimmste Straße in Gelsenkirchen. Alles geht kaputt.“

Gelsenkirchen hat in den vergangenen vier Jahrzehnten ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. 20.000 Menschen sind arbeitslos.

Wahlkampf-Reporter Michael Schlieben bereist derzeit die Republik. Begonnen hat er seine Tour in Pinneberg, weiter ging es über Cloppenburg nach Gelsenkirchen. Seine Reportage aus dem Pott erscheint morgen auf ZEIT ONLINE. Kurznachrichten zur Reise gibt es auf Twitter.

 

Genosse Pirat

Die SPD-Linke hat das Internet entdeckt. Sie fordert eine „sozialdemokratische Netzpolitik“ und klaut dabei fröhlich Thesen und Label der politischen Konkurrenz.

Die Ideen sind nicht übel: Bürgerrechte muss es auch im Internet geben. Die Privatsphäre sollte in den Weiten des WWW geschützt werden, und Zensur, na ja, die hat uns freiheitsliebenden Menschen noch nie so besonders gut gefallen.

Eine Gruppe junger Sozialdemokraten hat diese avantgardistischen Thesen formuliert. 1495 Menschen unterstützen ihr Ansinnen bereits bei Facebook.

Und es gibt einen Aufruf im Internet, der sogenannte Ludwigsburger Dialog, den stündlich mehr Menschen im Netz unterschreiben.  Dort wird vor einer „sicherheitspolitischen Aufrüstung ohne Augenmaß“ gewarnt, vor einer schleichenden „Erosion der Grundrechte“, vor einer „totalen Überwachung“.

Spätestens hier, wenn der Ton ins apokalyptische umschlägt, denkt man: Irgendwo hat man das kürzlich erst gelesen.

Klar, ganz ähnlich klang das zuletzt bei den Piraten, dieser paneuropäischen Bewegung also, die sich seit geraumer Zeit für ein barrierefreies Internet einsetzt. In den SPD-Texten von diesem Wochenende wird auf die freibeuterische Konkurrenz nicht eingegangen. Das Logo ist zwar eine Referenz an die internationale Piraten-Bewegung. Über deren deutsche Dependance wird aber keine Silbe verloren.

Stattdessen dominiert bei der SPD selbstbewusster Pathos. Es sei endlich „Zeit für eine sozialdemokratische Netzpolitik“, sagte am Wochenende Björn Böhning, der Sprecher der SPD-Linken und selbsternannter Captain Sparrow der SPD.

Die bereits existierenden Piraten nehmen es mit gemischten Gefühlen auf, dass sich die SPD plötzlich für ihre Agenda interessiert. Pikiert weisen sie in ihren Foren darauf hin, dass der SPD-Medienexperte Sascha Lobo vor Kurzem die Piraten noch als unwichtig abqualifiziert habe – und nun kapere sie die Themen. Ein anderer fragt, was wohl als Nächstes kommt: „SPD in der Piratenpartei – oder Sozialisten in der CDU.“

Bei einem dritten Kommentator, mit dem schönen Namen Tiramisu, schwingt aber auch ein bisschen Stolz mit, wenn er fragt: Soll ich „mich als Piratenanhänger geehrt fühlen“?

Offenbar sind die Piraten auf dem besten Weg, Teil des Mainstream zu werden. Auch die Grünen wurden erst ignoriert, danach kopiert. Irgendwann koalierte man mit ihnen. Und die SPD? Die scheint zurück auf dem Weg zur Volkspartei. Sie greift populäre Themen auf – und übernimmt sowohl das Pro als auch das Contra. Schließlich hatten die meisten SPD-Abgeordneten im Juni im Bundestag noch für das Netzsperren-Gesetz gestimmt. Böhning sagte der Süddeutschen Zeitung, die Genossen im Bundestag hätten damals nicht gewusst, worüber sie abstimmen.

Furchtbar, das ist das Gegenteil von Bürgerrecht: Parlamentarier, die den Arm heben, ohne zu wissen, warum. Aber das könnte sich, zumindest Internet-mäßig, ja bald ändern. Wahrscheinlich haben bald alle modernen Parteien ihren Piraten-Flügel. 

 

Noch mehr Chaos bei den Paulis

Mensch, Mensch, Frau Pauli. Die Partei der früheren Landrätin aus Fürth, der früheren CSU-Rebellin, der früheren Spitzenkandidatin der Freien Wähler versinkt offenbar im Chaos. Wir hatten hier schon berichtet, dass der Vize-Landeschef aus Hessen gegangen worden ist, wenige Tage nach Gründung des Landesverbands.

Und so geht es munter weiter. Fast jeden Tag erreichen uns neue Klagen. Wie gestern Abend bekannt wurde, trennte sich die Freie Union nun auch von ihren beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden. Michael Meier und Sabrina Olsson hätten die „Aufbauarbeit der Partei“ und der Landesverbände „extrem zu behindern“ versucht, steht auf Paulis Homepage. Die Vorwürfe, die Meier und Olsson gegen sie erheben, seien „ungeheuerlich und durch nichts belegt“. Sie werfen Pauli Korruption und Erpressung vor.

Vermutlich ist das Quatsch. Aber wer weiß das schon, Pauli ist tatsächlich nicht zimperlich, was ihre neuen Parteifreunde angeht. Dem gestürzten Hessen-Chef warf sie vor, er wolle sie stürzen. Zur Untermauerung ihrer These sagte sie: Man habe ihn wochenlang beobachtet. Klingt alles ziemlich fies. Allerdings auch nicht ganz neu: Bevor Pauli die CSU im Streit verließ, warf sie dem Team von Edmund Stoiber vor, sie ausspioniert zu haben.

Wäre die Partei nicht so unwichtig, könnte man einen ganzen Redakteur darauf ansetzen, der über nichts anderes als über die Schlammschlacht bei der FU berichtet. Stoff genug gäbe sie jedenfalls her. Selbst Promi-Klatsch: Kader Loth, eine meist leicht bekleidete TV-Schönheit, dem ein oder anderen bekannt aus Big Brother oder anderen Trash-Formaten aus dem Privatfernsehen, wurde jüngst zu Frauenbeauftragte des Berliner FU-Landesverbandes gewählt. Die BILD-Zeitung inspirierte dies zu dieser Schlagzeile: „Nackt-Luder wird Frauenbeauftragte!“

Allerdings gab es auch Knatsch wegen dieser Personalie. Frau Loth ruft dazu auf, ein paar Feiertage zu streichen, damit die Deutschen mehr arbeiten. Doch bitte, falls es Sie interessiert, lesen Sie das auf Frau Paulis Homepage selbst nach oder sehen Sie dieses Kandidaten-Video von Kader auf YouTube …