Politische Affäre nehmen für gewöhnlich einen erwartbaren Verlauf: Erst kommt eine Sache hoch, die einen bisher vermeintlich „sauberen’“ Politiker ins Zwielicht setzt. Der Politiker leugnet oder zeigt sich keiner Schuld bewusst. Dann kommen immer mehr Fragwürdigkeiten ans Tageslicht, weil nun weitere Medien die Spur aufnehmen. Der betroffene Politiker gibt in einer Salamitaktik immer nur das zu, was schon bekannt ist, beharrt aber darauf, gegen kein Gesetz verstoßen zu haben.
Schließlich tritt er, wenn der Druck zu groß wird, vor die Öffentlichkeit und gibt sich reumütig. Damit hofft er, den Brand austreten zu können. Parteifreunde fordern daraufhin ein Ende der Debatte, „aus Rücksicht auf das Amt“, und werfen den Medien eine „Hetzjagd“ vor, obwohl die nur ihrer Pflicht nachgehen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Und so weiter und so fort.
Am Ende aber stürzt der Angegriffene. Nicht über seine tatsächliche oder vermeintliche Verfehlung. Sondern über seinen Umgang mit der Affäre. Und weil es selbst treuen Partei- und Koalitionsfreunden irgendwann zu viel ist und sie bei einem Fortgang Schaden für ihre Partei/Koalition fürchten.
So war es zuletzt im Fall Guttenberg. Und so wird es auch im Fall Wulff wohl bald sein.
Ungewöhnlich und erstaunlich selbst für einen, der schon viele Affären erlebt hat, ist jedoch in diesem Fall das Ausmaß an politischer Instinktlosigkeit und Skrupellosigkeit, das Christian Wulff an den Tag legt. Denn nun kommt heraus, dass der Bundespräsident offenbar auch noch versucht hat, die Veröffentlichung des Skandals um seinen Hauskredit und die Annahme sonstiger Gefälligkeiten vermögender Wirtschaftsfreunde mit allen Mitteln zu verhindern – durch Druck auf die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann.
Genau dieses könnte in dieser Affäre das „Zu-viel“ sein: Ein Bundespräsident, der als vormaliger niedersächsischer Ministerpräsident das Landesparlament beschummelt hat; der die Öffentlichkeit noch immer hinters Licht führt und der Medien zu erpressen versucht, ist nicht haltbar. Denn er schädigt das Ansehen der gesamten politischen Klasse.
In den Augen vieler Bürger verstärkt Wulff mit seinem Verhalten das Bild, das alle Politiker „so sind“: raffgierig, skrupellos, nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
So aber sind Politiker längst nicht alle. Die meisten von ihnen sind – bis zum Beweis des Gegenteils – politisch integer. Sie handeln am Gemeinwohl oder zumindest dem Interesse ihrer Partei orientiert und sind nicht nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht.
Christian Wulff jedoch, das zeigt sich immer mehr, ist ganz offenkundig das Gegenteil davon. Sein Anruf bei Diekmann, sollte er tatsächlich so stattgefunden haben, offenbart, wie Wulff wirklich tickt: Er versuchte, eine Berichterstattung zu verhindern, in der es um Verfehlungen ging, die er später selbst einräumte. Er drohte mit einem Strafantrag, obwohl die Fakten der Kreditgeschichte stimmten. Und das verrücktest: Er hinterließ all dies auf Diekmanns Mailbox. Ein zorniger, tumber Dorfschultheiss mag sich so verhalten können, ein Bundespräsident nicht. Er wird zum Schaden für dieses Land.
Wulff sollte daher, wenn er diesen Schaden abwenden will, wie er es im Amtseid geschworen hat, einsehen, dass seine Stunde geschlagen hat – und gehen. Nicht (nur), weil es sein hohes Amt gebietet. Sondern weil er politisch-moralisch gefehlt hat.
Wenn Wulff aber uneinsichtig bleibt, müssen ihm seine Parteifreunde und die Kanzlerin klar machen, dass er nicht länger tragbar ist. Sonst wird die Provinzaffäre dieses politischen Emporkömmlings zum Sprengsatz auch für sie.
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